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Die geschilderten Einzelkämpfe waren nur das Vorspiel für das, was der Wiener Hof und seine Generale seit lange planten. Als der Prinz von Lothringen sah, daß die Preußen den Rückzug aus Böhmen antraten, folgte er ihnen und lagerte sich bei Königinhof, um sie aus der Nähe zu beobachten. Das Lager bei Staudenz war nicht nach allen Regeln der Kunst angelegt. Der König hatte sein Heer durch mehrere Detachierungen geschwächt und behielt nicht Truppen genug übrig, um den Raum, den er zu besetzen hatte, ganz auszufüllen. Nassau stand in Oberschlesien, Polentz in der Neumark. Du Moulin war von Trautenau nach Schatzlar geschickt worden, weil Franquini einige Vorstöße gegen den Ort gemacht hatte, und Lehwaldt war an Du Moulins Stelle nach Trautenau gerückt. Nach all diesen Detachierungen war das Heer des Königs nur noch 18 000 Mann stark. Diese Truppenzahl reichte nicht ganz zur Besetzung des Lagerplatzes aus, den die Natur angewiesen hatte. Das Lager beherrschte zwar hier und da die benachbarten Anhöhen, aber der rechte Flügel war völlig von einem Hügel1 beherrscht, den man bei der Schwäche des Heeres nur mit Kavalleriewachen und Husarenabteilungen hatte besetzen können, um wenigstens im Notfalle in seinem Besitz zu sein. Aber wegen der Wälder, Hohlwege und Gebirgspässe konnte die Kavallerie sich nicht weiter als eine halbe Meile zum Rekognoszieren vorwagen. Der Feind hingegen schickte Tag für Tag Trupps von 400 bis 500 Reitern vor, die um das preußische Lager streiften. Sie zogen hin und her, gingen längs des Silvawaldes vor und zurück und unterhielten Verbindung mit Franquini, der bei Marschendorf stand. Das feindliche Heer war nur einen Tagemarsch von dem preußischen entfernt. Deshalb war der König in Sorge, der Prinz von Lothringen möchte Trautenau vor ihm erreichen. Dann wäre die preußische Armee von Schlesien abgeschnitten gewesen. Um dem Feinde zuvorzukommen, beschloß der König, am nächsten Tage aufzubrechen. Um aber zuvor Näheres von den Bewegungen der Österreicher zu erfahren, schickte er sofort ein Detachement von 2 000 Pferden unter General Katzler zur Rekognoszierung der Wege nach Arnau und Königinhof ab, mit dem Befehl, Gefangene zu machen und Bauern aus der Gegend aufzugreifen, um von ihnen zu erfahren, was im Lager des Prinzen von Lothringen vorginge. Katzler rückte ab und geriet nichtsahnend zwischen zwei österreichische Kolonnen, die durch die Wälder marschierten, um sich den Blicken des Gegners zu entziehen. Katzler erblickte vor sich einen Haufen leichter Truppen, denen ein ihm überlegenes Kavalleriekorps folgte. Daraufhin zog er sich in guter Ordnung zurück und meldete dem König, was er gesehen hatte. Viel war es freilich nicht gewesen. Die Armee erhielt Befehl, am nächsten Morgen um 10 Uhr abzumarschieren.

Am 30. September, morgens um 4 Uhr versammelte der König die Generale vom Tagesdienst, um ihnen die Marschdisposition zu diktieren. Da kam ein Offizier mit der Meldung, daß die Feldwachen auf dem rechten Flügel des Lagers eine lange


1 Die Graner Koppe, seit der Schlacht bei Soor auch der „Bataillenberg“ genannt.