<29>strafte, die er an sich selbst duldete. Konnte er, der gewalttätigste aller Usurpatoren, der falscheste unter allen Meineidigen, von allen Mördern und Giftmischern der Grausamsie, konnte er Schurken und Verbrecher bestrafen, die mit ihren schwachen Kräften dem Beispiel ihres neuen Herrn und Meisters nur nachstümperten?

Der König von Polen1, dessen Tod jüngst soviel Wirren in Europa zur Folge hatte, handelte da viel folgerichtiger und vornehmer gegen seine sächsischen Untertanen. Die sächsischen Gesetze bestraften jeden Ehebrecher mit Enthauptung. Ich will nicht den Ursprung jenes barbarischen Gesetzes untersuchen, das mehr nach italienischer Eifersucht aussieht als nach duldsamer deutscher Art. Ein Unglücklicher, den Liebesleidenschaft dahin gebracht hatte, der Sitte und dem Gesetz zu trotzen, war dem Urteil verfallen, und August sollte das Todesurteil unterzeichnen; für die Stimme der Menschlichkeit ebenso empfänglich wie für die Regungen der Liebe, begnadigte er den Schuldigen und hob ein Gesetz auf, das jedesmal, so oft er ein derartiges Urteil Unterzeichnen mußte, stillschweigend ihn selber verdammt hätte. Seitdem genoß in Sachsen die Galanterie das Vorrecht der Straflosigkeit.

Das Verhalten dieses Königs zeugte von Menschlichkeit und einem fühlenden Her, zen, das Cäsar Borgias von einer ruchlosen Tyrannenseele. Der eine, ein Vater seiner Völker, übte Nachsicht mit jenen Schwächen, die nun einmal, das wußte er, zur Menschennatur gehören; der andere, immer hart, immer blutdürstig, ahndete an seinen Untertanen die Lasier, von denen er fürchten mußte, daß sie seinen eigenen nur zu ähnlich sähen. Der eine konnte den Anblick seiner eigenen Schwächen ertragen, der andere wagte es nicht, seinen Verbrechen ins Gesicht zu sehen. Borgia läßt den grausamen d'Orco in Stücke hauen, der ein williger Diener all seiner Absichten gewesen ist, um sich das Volt zu gewinnen, indem er das Werkzeug seiner barbarischen Grausamkeit büßen läßt. Die Last der Tyrannei drückt niemals wuchtiger als dann, wenn der Tyrann sich ins Kleid der Unschuld hüllen will und die Bedrückung unter dem Deckmantel der Gesetzlichkeit geschieht. Der Tyrann gönnt dem Volke nicht einmal den schwachen Trost, daß er sein Unrecht einsehe; um den eigenen Greueltaten ein harmloseres Gesicht zu geben, müssen andere die Schuld daran auf sich nehmen, die Strafe dafür erleiden — als sähe man einen Mordbuben, der das Werkzeug seiner wilden Tat in die Flammen wirft, im Wahn, er könne so die Leute hinters Licht führen, sodaß sie ihn freisprechen. Das ist das Schicksal, auf das die unwürdigen Helfer fürstlichen Verbrechens gefaßt sein mögen: ob sie auch, solange man ihrer bedarf, belohnt werden, früher oder später fallen sie einmal als Opfer ihrer Herren — gleichzeitig übrigens eine Lehre für die, die leichtherzig Schurken wie Cäsar Borgia vertrauen, und für die, so sich rückhaltlos und ohne jedes sittliche Bedenken dem Dienst ihrer Herrscher hingeben. So trägt das Verbrechen stets den Keim der Strafe in sich.


1 August II.(† 1733).