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6. Kapitel

Von neuen Herrschaften, die Waffengewalt und Tapferkeit gründete.

Wären die Menschen ohne Leidenschaft, so möchte es Machiavell wohl hingehen, wollte er ihnen welche einflößen, wie ein zweiter Prometheus, der das Himmelsfeuer raubt, um Automaten ohne Gefühl und ohne Fähigkeit, zu Nutz und Frommen der Menschheit zu wirken, eine Seele zu geben. Dem ist aber nicht so, denn ohne Leidenschaften ist kein Mensch; und sie haben alle ihr Gutes für die Menschheit, solange sie in ihren Grenzen bleiben, aber schädlich, ja vernichtend werden sie, sobald sie zügellos walten dürfen.

Von allen Regungen, die mit herrischer Gewalt unserer Seele zusetzen, ist keine verhängnisvoller, keine dem Gedanken der Menschlichkeit fremder, keine bedenklicher für die Ruhe der Welt denn maßlose Ehrsucht, ausschweifende Begier nach falschem Ruhme.

Hat ein Bürger das Unglück, mit solchem Hang geboren zu sein, so ist er mehr noch ein armer Teufel denn ein Narr. Ohne der Gegenwart recht inne zu werden, lebt er nur in Zukunfttagen; unablässig nährt ihn seine Einbildung mit unklaren Zukunftsvorstellungen, und da seine unselige Leidenschaft keine Grenzen kennt, kann nichts in der Welt ihm Genüge geben, und seine Ehrbegier würzt ihm all seine Freuden mit bitterem Wermut.

Ein Fürst in der gleichen Seelenverfassung ist zum mindesten ebenso traurig dran wie ein Bürger; ist doch seine Tollheit, well er höher sieht, nur um so schwärmerischer, unheilbarer, unstillbarer. Lebt die Leidenschaft des Bürgers vom Gedanken an Ansehen und Ehren, so hungert die Ehrbegier des Monarchen nach Provinzen und Kronen. Nun ist's aber noch leichter, zu Ämtern und Ehrenstellen zu gelangen als Reiche zu erobern, und so gibt's für jenen Bürger wohl noch eher einmal eine Erfüllung als für den Fürsten.

Wieviel jener unsteten und unruhigen Geister begegnen einem im Leben, deren unersättlicher Machthunger die Welt auf den Kopf stellen möchte, Gemüter, darein die Liebe zu einem falschen und eitlen Ruhm nur allzu tief ihre Wurzeln gesenkt hat! Solche Menschen sind die reinen Brandfackeln, man sollte sie sorgfältig löschen,<23> jedoch bei ihrer Feuergefährlichkeit beileibe nicht schütteln und anfachen. Für ihresgleichen sind Machiavells Lehren um so gefährlicher, weil sie ihren Leidenschaften schmeicheln und sie auf Gedanken bringen, die sie vielleicht ohne seine Hilfe nicht aus dem eigenen Innern geschöpft hätten.

Machiavell hält ihnen die Beispiele von Moses, Cyrus, Romulus, Theseus und Hieron23-1 vor; mit Leichtigkeit ließe sich die Reihe erweitern durch die Stifter von Sekten, wie Mohammed und William Penn; und mögen mir's die Herren Jesuiten von Paraguay23-2 gestatten, ihnen hier ein Plätzchen anzubieten, das für sie nur eine Ehre sein kann, da es sie in die Reihe der Helden versetzt.

Die Unehrlichkeit, mit der der Verfasser hier zu Werke geht, verdient eine Kennzeichnung; es ist gut, alle Schliche und Listen des nichtswürdigen Verführers aufzudecken.

Ein Redlicher stellt seinen Gegenstand nicht ausschließlich unter einem einzigen Gesichtspunkte dar, er macht vielmehr alle Seiten der Sache sichtbar, auf daß dem Leser die Wahrheit ja nicht verschleiert werde, und sollte sie auch des Darstellers eigenen Voraussetzungen widerstreiten. Machiavell zeigt den Ehrgeiz, im Gegensatz zu jenem Redlichen, nur von seiner lichtesten Seite; es sieht damit wie mit einem geschminkten Gesicht, das er nur am Abend bei Kerzenlicht sehen läßt, während er es ängstlich vor den Strahlen der Sonne birgt: er spricht nur von den Ehrsüchtigen, denen das Glück hold gewesen, bewahrt aber ein tiefes Schweigen über alle, die ihrer Leidenschaft zum Opfer gefallen sind; ungefähr wie's in den Nonnenklöstern Brauch ist, wo man den jungen Mädchen bei ihrer Aufnahme alle Süßigkeiten des Himmels im voraus zu kosten gibt, ohne ihnen ein Wort zu sagen von der bitteren Pein, die man noch in dieser Welt ihnen zugedacht hat. Das heißt der Welt Sand in die Augen streuen, auf Betrug ausgehen, und es läßt sich nicht in Abrede stellen, Machiavell spielt in diesem Kapitel die traurige Rolle eines Marktschreiers des Verbrechens.

Wenn er vom Führer, Fürsten und Gesetzgeber der Juden spricht, von dem Befreier der Griechen, vom Eroberer des Mederlandes, von dem Gründer Roms — alles Männer, deren Streben der Erfolg krönte, warum führt er nicht auch das Beispiel gewisser Parteihäupter an, die ein schlimmes Ende nahmen, und zeigt so, daß der Ehrgeiz zwar einige wenige emporträgt, die Mehrzahl aber ins Verderben stürzt? So ließe sich dem Glück des Moses das Unglück jener ersten Gotenvölker gegenüberstellen, die das Römerreich verheerten, dem Erfolge des Romulus der Untergang Masaniellos, des neapolitanischen Schlächters, den seine Verwegenheit bis zur Königswürde emporhob und der dann das Opfer seines Verbrechens wurde23-3; dem gekrönten Ehrgeiz Hierons der bestrafte Ehrgeiz Wallensteins; neben den blutigen<24> Thron Cromwells, der seinen König mordete, ließe sich wohl der umgestürzte des stolzen Guisen setzen, der in Blois ermordet ward24-1. So würde das Gegengift, unmittelbar auf das Gift verabreicht, dessen gefährlichen Wirkungen zuvorkommen, wie Achills Lanze, die verwundet, aber auch heilt.

Übrigens scheint mir's recht unüberlegt von Machiavell, Moses mit Romulus, Cyrus und Theseus zusammenzustellen. Entweder handelte Moses unter höherer Eingebung oder nicht. Im letzteren Fall kann man Moses nur als einen Erzschurken, Gauner und Betrüger ansehen, der sich Gottes bediente wie ein Dichter des Deus ex machina, der den Knoten lösen muß, wenn der Verfasser keinen Ausweg weiß. Moses war im übrigen so ungeschickt, daß er das jüdische Volk 40 Jahre lang einen Weg führte, den es bequem in sechs Wochen hätte zurücklegen können; von der geistigen Höhe der Ägypter hat er sich sehr wenig angeeignet und sieht somit in dieser Hinsicht tief unter Romulus und Theseus und den andern Heroen. Handelte aber Moses unter der Eingebung Gottes, so kann man eben nur das blinde Werkzeug der göttlichen Allmacht in ihm sehen, und dann blieb der Führer der Juden weit hinter dem Gründer des Römerreiches, hinter dem Perserkönig und dem griechischen Helden zurück, die durch ihren Eigenwert und eigene Kraft Bedeutenderes leisteten als jener unter dem unmittelbaren Beistande Gottes.

Geisteskraft, Mut, Gewandtheit und Haltung — all dessen bedarf es in hohem Maße, um es den Genannten gleichzutun, das gebe ich im allgemeinen vorurteilslos zu. Doch kommt ihnen darum ein höherer Menschenwert zu? Tapferkeit und Gewandtheit finden sich gleichermaßen bei dem Räuber auf der Landstraße wie bei Helden; der Unterschied ist nur, daß der Eroberer ein erlauchter Räuber ist, der durch die Erheblichkeit seiner Taten Eindruck macht und durch seine Machtmittel sich Achtung erzwingt, während der Durchschnittsspitzbube ein namenloser Wicht ist, um so verachteter, je verworfener er ist. Der eine erntet Lorbeeren als Preis seiner Gewalttaten, der andere endet am Galgen. So beurteilen wir die Dinge niemals nach ihrem wirklichen Werte, well undurchdringliche Wolken unser Auge umlagern; hier bewundern wir, was wir dort tadeln, ein Missetäter braucht nur erlauchter Herkunft zu sein, und er kann auf den Beifall der meisten Menschen zählen.

Es ist zwar richtig, daß jeder Neuerung, die einer in die Welt einführen will, sich immer wieder tausend Hindernisse in den Weg stellen werden, und daß darum ein Prophet an der Spitze eines Heeres mehr Jünger gewinnen wird, als wenn er nur mit rein geistigen Waffen kämpfte24-2. Beweis: das Christentum — solange es sich nur<25> auf seine Lehre stützte, war es schwach und unterdrückt; erst als es viel Blut hatte stießen machen, breitete es sich in Europa aus. Ebenso richtig aber ist die andere Beobachtung, daß Lehren und Neuerungen manchmal fast mühelos ihren Weg finden. Wieviel Religionen, wieviel Sekten fanden mit unglaublicher Leichtigkeit ihre Aufnahme! Nichts schafft neuen Gedanken so leicht Nachdruck als der Fanatismus, und mir scheint, als hätte Machiavell über diesen Gegenstand allzu vorschnell abgeurteilt.

Schließlich noch einige Betrachtungen zu dem Beispiel des Hieron von Syrakus, das Machiavell für die anzieht, die mit Hilfe ihrer Freunde und ihrer Truppen emporkommen. Hieron traute seinen Freunden und seinen Kriegern, die ihm mit zu seinem Ziele verholfen hatten, nicht mehr und schloß lieber neue Freundschaften und hob neue Truppen aus. Machiavell und allen Undankbaren zum Trotz behaupte ich, daß das eine elende Politik war, und daß Hieron klüger daran getan hätte, sich auf Truppen von bewährter Tapferkeit, auf Freunde von bewährter Treue zu verlassen, als auf Unbekannte, deren man niemals sicher ist. Ich überlasse es dem Leser, diesen Gedankengang weiterzuführen; jeder, der Undankbarkeit verabscheut und das Glück der Freundschaft kennt, wird hierbei nicht um Stoff verlegen sein.

Indessen möchte ich den Leser auf die Doppeldeutigkeit der Ausdrucksweise Machiavells aufmerksam machen. Man lasse sich nichts vormachen, wenn er sagt: „Was hilft aller persönliche Wert, wenn's an der Gelegenheit fehlt?“ Das bedeutet im Munde dieses Buben: ohne die Gunst der Umstände können auch Schurken und Abenteurer mit ihren Talenten nichts anfangen. Die Dunkelheiten dieses verächtlichen Schreibers versieht nur, wer den geheimen Sinn seiner Verbrechersprache deutet.

Ich meine, ganz allgemein gesprochen — um mit diesem Kapitel zu Ende zu kommen —: für einen Bürger ist die einzige Gelegenheit, ohne Verbrechen nach dem Höchsten zu streben, wenn er in einem Wahlkönigreiche geboren ist oder wenn ein unterdrücktes Volt ihn zu seinem Befreier ausruft. Ein Ruhm ohnegleichen wäre es, ein Volk erretten und ihm dann die Freiheit wiedergeben! Doch wir wollen keine Menschenbildnisse entwerfen nach dem Vorbilde Corneillescher Helden. Bescheiden wir uns mit Racineschen, schon das ist viel.


23-1 Hieron II., König von Syrakus (306—215).

23-2 Seit Anfang des 17. Jahrhunderts hatten die Jesuiten in Paraguay ein theokratisch geordnetes Staatswesen geschaffen.

23-3 Durch einen Volksaufstand am 7. Juli 1647 wurde der Fischer Masaniello Herr von Neapel, siel aber schon am 16. Juli durch Mörderhand.

24-1 Heinrich I. von Lothringen, Herzog von Guise, der Stifter der heiligen Liga gegen König Heinrich III. von Frankreich und auf Befehl des Königs 1588 umgebracht.

24-2 Machiavell hatte die Behauptung aufgestellt, daß nichts größere Schwierigkeiten in der Ausführung biete und von zweifelhafterem Erfolge sei, als sich zum Haupt einer neuen Staatsordnung zu machen, daß die Anwendung von Gewalt indessen fast stets zum Erfolge führe. „Daher haben alle bewaffneten Propheten den Sieg davongetragen, die unbewaffneten aber sind zugrunde gegangen.“