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1. Kapitel

Innere Einrichtungen Preußens und Österreichs während des Friedens.

Dank dem Frieden, dessen sich Europa erfreute, konnten sich alle Mächte den inneren Reformen in ihren Staaten widmen. Der König von Preußen begann mit der Beseitigung der Mißbräuche, die sich in die Verwaltung eingeschlichen hatten. Er bemühte sich, durch Anlagen aller Art die Einkünfte zu vermehren. Er arbeitete an der Befestigung der Mannszucht im Heere, am Ausbau der Festungen. Er ließ Vorräte von Waffen und Kriegsmaterial anlegen, die ein Heer nötig hat und im Felde in ungeheurer Menge verbraucht. Die Rechtspflege lag unter der Regierung seines Vaters sehr danieder. Sie war so voller Mißbräuche, daß sie besonderer Sorgfalt und Aufmerksamkeit bedurfte. Allgemein wurden die Gesetze umgangen. Die Anwälte trieben mit Treu und Glauben ein schändliches Gewerbe. Wer reich war, gewann seine Sache, und der Arme verlor sie. Die Mißstände wurden von Tag zu Tag unerträglicher und erheischten dringend Abhilfe. Nicht nur der Stand der Richter, Advokaten und Anwälte war reformbedürftig, sondern auch die Gesetze. Sie mußten klarer gefaßt und vor allem von dem Formelkram befreit werden, der mit dem Kern der Sache nichts zu tun hatte und den Prozeß nur in die Länge zog. Mit dieser Arbeit beauftragte der König seinen Großkanzler Cocceji7-1, einen Mann von lauterem und geradem Charakter, der durch seine Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit der besten Zeiten der römischen Republik würdig war. Weise und aufgeklärt, ein neuer Tribonian, schien er für die Gesetzgebung und das Glück der Menschen geboren zu sein. Der kluge Rechtsgelehrte unternahm das schwierige und heikle Reformwerk mit solchem Eifer, daß die obersten Gerichtshöfe schon nach einem Jahre mühevoller Arbeit von allen Elementen, die sie ent<8>ehrten, gesäubert und mit rechtlichen Beamten besetzt waren. Das neue Gesetzbuch8-1, das gleiche Geltung für alle preußischen Provinzen hatte, wurde fertiggestellt und nach Annahme durch die Stände veröffentlicht. Man hatte aber auch die Zukunft bedacht. Da die Erfahrung lehrt, daß die besten Einrichtungen schlecht und unbrauchbar werden, wenn man sie aus den Augen verliert und ihre Hüter nicht immer von neuem auf die Prinzipien hinweist, auf denen sie beruhen, so bestimmte der König, daß alle drei Jahre eine allgemeine Visitation der obersten Gerichtshöfe stattfinden sollte. Ihr Zweck war, die Befolgung der neuen Gesetze zu sichern und pflichtvergessene Justizbeamte zu bestrafen8-2. Diese Reform der Rechtspflege förderte die öffentliche Wohlfahrt, denn nun war der Besitz jeder Familie durchaus gesichert, die Gesetze waren allein maßgebend, und jedermann konnte unter ihrem Schutze in Frieden leben.

Soviel Mühe sich auch der verstorbene König um die Ordnung der Staatsfinanzen gegeben hatte, er hatte doch nicht alles tun können. Ihm fehlten Zeit und Mittel zur Durchführung einer so großen Aufgabe, und so blieb noch ungeheuer viel zu verbessern. Ländereien mußten urbar gemacht, Manufakturen eingeführt, die Handelsbeziehungen erweitert und die Industrie aufgemuntert werden. Die ersten Regierungsjahre des Königs waren von Kriegen erfüllt. Er konnte sein Augenmerk nicht eher auf die inneren Zustände richten, als bis die äußere Ruhe gesichert war.

Längs des Oderlaufes von Swinemünde bis Küstrin dehnten sich öde Sümpfe, die vielleicht schon von alters her brachlagen. Nun wurde ein Plan zur Urbarmachung dieser Landstriche ausgearbeitet. Von Küstrin bis Wriezen wurde ein Kanal gegraben, der das Sumpfgebiet entwässerte, und zweitausend Familien wurden dort angesiedelt. Die Entsumpfung wurde von Schwedt bis über Stettin hinaus fortgesetzt. Auf dem gewonnenen Boden fanden zwölfhundert Familien ein angenehmes, einträgliches Dasein. So entstand eine neue kleine Provinz durch den Sieg des Fleißes über Unwissenheit und Trägheit. Die ziemlich bedeutenden Wollfabriken hatten Mangel an Spinnern. Der König ließ Arbeiter aus dem Auslande kommen und siedelte sie in Dörfern zu je zweihundert Familien an. Im Herzogtum Magdeburg war es von jeher Brauch, daß die Bewohner des Vogtlandes zur Ernte kamen und hernach in ihre Heimat zurückkehrten. Der König gab ihnen Wohnstätten im Lande selbst und siedelte dadurch viele in seinen Staaten an. Dank diesen verschiedenen Maßnahmen erhielt das Land während des Friedens einen Zuwachs von zweihundertachtzig neugegründeten Dörfern.

Über der Fürsorge für das Land wurden jedoch die Städte nicht vernachlässigt. Der König erbaute eine neue Stadt an der Swine, die von ihr den Namen erhielt, und legte dort zugleich einen Hafen an, indem er den Kanal vertiefen und das Becken aus<9>baggern ließ. Dadurch gewann die Stadt Stettin den Zoll, den sie früher bei der Durchfahrt in Wolgast an Schweden hatte zahlen müssen. Das trug viel zum Aufblühen des Handels und zur Anziehung der Fremden bei. In allen Städten entstanden neue Fabriken. Manufakturen für Samt und feine Stoffe fanden den angemessensten Platz in Berlin, die für leichten Samt und schlichte Stoffe in Potsdam. Splitgerber versorgte alle Provinzen mit Zucker aus seiner Siederei in Berlin. Die Stadt Brandenburg blühte durch eine Barchentfabrik auf. Russisches Leder wurde in Frankfurt an der Oder hergestellt, seidene Strümpfe und Taschentücher in Berlin, Magdeburg und Potsdam. Die Wegelische Fabrik vergrößerte sich um das Doppelte. Überall in den Provinzen wurde die Anpflanzung von Maulbeerbäumen gefördert. Die Geistlichen gingen den Züchtern mit gutem Beispiel voran und lehrten sie, das wertvolle, aus Indien stammende Insekt zu züchten, dessen Gespinst die Seide liefert. Wo es ausgedehnte Waldungen gab, deren Abholzung sich wegen zu großer Entfernung von den Flußläufen nicht lohnte, legte man Eisenhütten an, die binnen kurzem eiserne Kanonen, Kugeln und Bomben für die Festungen und den Heeresbedarf lieferten. Im Fürstentum Minden und in der Grafschaft Mark erschloß man neue Salzquellen und beutete sie aus. Die Salinen in Halle wurden verbessert durch Anlage von Gradierwerken, durch die man viel Holz sparte. Kurz, die Industrie wurde in der Hauptstadt wie in den Provinzen gefördert.

Der König brachte das Stapelrecht, das Sachsen der Stadt Magdeburg streitig gemacht hatte, zu neuer Geltung und stellte durch einige neue Grenzzölle das Gleichgewicht zwischen dem Handel der preußischen Provinzen und dem sächsischen so ziemlich her. Die Emdener Kompagnie knüpfte einen wichtigen Handelsverkehr mit China an. Durch Herabsetzung der Ausfuhrzölle in Stettin, Königsberg und Kolberg stiegen die Zolleinnahmen auf das Doppelte. Die Folge dieser verschiedenen Finanzoperationen war, daß im Jahre 1756 die Staatseinkünfte um 1 200 000 Taler gestiegen waren, ungerechnet die Einnahmen aus Schlesien und Ostfriesland9-1, und ohne daß der König seinem Volke einen Pfennig an neuen Steuern aufbürdete. Eine Volkszählung in allen Provinzen ergab, daß die Zahl der Einwohner auf 5 300 000 Seelen gestiegen war. Da es nun eine feststehende Tatsache ist, daß die Zahl der Bevölkerung den Reichtum der Staaten bildet, so konnte sich Preußen für doppelt so stark schätzen als in den letzten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms, des Vaters des Königs.

Aber die Finanzen und die Rechtspflege nahmen die Aufmerksamkeit des Königs nicht ausschließlich in Anspruch. Auch das Heer, das Werkzeug des Ruhmes und der Erhaltung der Staaten, wurde nicht vernachlässigt. Der König wachte selbst sorgfältig über die Wahrung der Mannszucht und des Gehorsams. In allen Provinzen wurden die Truppen Jahr für Jahr regelmäßig in Lagern versammelt, um in den<10> großen Evolutionen und Kriegsmanövern ausgebildet zu werden. Die Infanterie übte sich in den verschiedenen Arten des Aufmarsches, in Gefechtsformationen, im Angriff auf freiem Felde und gegen befestigte Stellungen, in der Verteidigung von Ortschaften und Verschanzungen, in Flußübergängen, in verdeckten Rückzugsabmärschen, in Rückzügen, kurz in allen Manövern, die vor dem Feind in Betracht kommen. Die Kavallerie übte sich in den verschiedenen Angriffsarten, geschlossen und mit Abständen, im Rekognoszieren, im Einholen von trockner und grüner Fourage, in verschiedenen Formationen, im Einhalten angegebener Richtungspunkte zum Aufmarsch in Linie. Bei einigen Regimentern, deren Kantons stark bevölkert waren, wurde die Zahl der Überkompletten auf 36 erhöht10-1. Die anderen hatten 24 pro Kompagnie. So vermehrten die Überkompletten die Armee ohne jede neue Aushebung im ganzen um zehntausend Mann. An der Spitze aller Bataillone und Kavallerieregimenter standen alte Kommandeure, erprobte, tapfere und verdiente Offiziere. Die Hauptleute waren reife, tüchtige, wackere Männer, die Subalternen auserlesen, viele begabt und einer höheren Stellung wert. Kurz, ein bewundernswerter Fleiß und Wetteifer beseelten die Armee. Bei den Generalen traf das nicht in gleichem Maße zu, obgleich sich unter ihnen sehr verdienstvolle Männer befanden. Die meisten besaßen zwar große Tapferkeit, waren aber zu nachlässig. Das Avancement erfolgte nach der Rangordnung, sodaß das Dienstalter und nicht die Begabung den Ausschlag gab. Das war ein alter Mißbrauch, der in den vorhergehenden Kriegen<11> nur deshalb keine bösen Folgen gehabt hatte, weil der König mit einer einzigen Armee operierte und daher nicht zu vielen Detachierungen genötigt war. Auch waren die österreichischen Truppen und Generale, mit denen man kämpfte, nur mittelmäßig und ließen die taktischen Regeln völlig außer acht. So war es für den König denn ein großer Gewinn, daß er aus Rußland den Marschall Keith11-1 in seine Dienste zog. Das war ein Mann von angenehmen Umgangsformen, sittenrein und tüchtig, erfahren in seinem Beruf und bei feinster Lebensart von heroischer Tapferkeit in der Schlacht.

Das Artilleriekorps wurde verstärkt. Der König brachte es auf drei Bataillone. Das letzte wurde für die Garnisonen bestimmt. Das Korps war gut einexerziert und in vortrefflichem Zustand, aber nicht stark genug bei dem riesigen Aufwand an Artillerie und Feuerschlünden, der bald in den Armeen Mode wurde. Dazu hätte es der doppelten Anzahl bedurft. Da aber die massenhafte Verwendung von Artillerie in den bisherigen Kriegen nicht gebräuchlich war und die zwei Bataillone allen Ansprüchen genügt hatten, so dachte man gar nicht an ihre Vermehrung.

Während des Friedens wurde Schweidnitz befestigt, und die Festungswerke in Neiße, Kosel, Glatz und Glogau wurden ausgebaut. Schweidnitz wurde zum Depot für die Armee bestimmt, für den Fall, daß der Krieg sich über die Grenze nach Böhmen hinüberspielen sollte. Da die Österreicher sich im letzten Kriege wenig gewandt im Angriff und der Verteidigung fester Plätze gezeigt hatten, so begnügte man sich mit ganz leichter Befestigung. Das war indes ein Rechenfehler; denn Festungen soll man nicht für eine gewisse Zeit, sondern für die Dauer anlegen. Und wer bürgte denn auch dafür, daß die Kaiserin-Königin nicht irgendeinen geschickten Ingenieur in ihre Dienste zog, der der österreichischen Armee die ihr fehlende Kunst lehrte, ja sie zum Allgemeingut machte? Später sollte man Grund genug haben, die begangenen Fehler zu bereuen und künftig genauer zu überlegen.

Dagegen sah man voraus, daß es zum Kriegführen noch nicht genügt, wenn eine Armee in gutem Zustand und gut unterhalten ist, sondern daß man auch große Reservevorräte zu ihrer Bewaffnung und Bekleidung, sozusagen zu ihrer Wiederherstellung braucht. Aus dem Grunde wurde aller mögliche Kriegsbedarf, Sättel, Steigbügel, Zaumzeuge, Stiefel, Patronentaschen, Degengehänge usw. aufgespeichert. Im Berliner Zeughause lagerten 50 000 Flinten, 20 000 Säbel, 12 000 Degen, ebenso viele Pistolen, Karabiner und Wehrgehenke, kurz, Ausrüstungsgegenstände aller Art, die fortwährender Erneuerung bedürfen, und zu deren rascher Lieferung die Zeit nicht immer ausreicht. Ferner hatte man zahlreiches Belagerungsgeschütz gießen lassen, insgesamt 80 Kanonen und 20 Mörser, die in der Festung Neiße lagen. Die hergestellten Pulvervorräte beliefen sich auf 56 000 Zentner, die auf die verschiedenen festen Plätze des Königreiches verteilt waren. Die Vorratsmagazine enthielten 36 000 Wispel<12> Mehl und 12 000 Wispel Hafer. Dank diesen im voraus getroffenen Maßnahmen war alles bereit für den Krieg, den man vorhersah und der auch nicht mehr fern schien.

Im Jahre 1755 vermehrte der König sogar die Garnisonregimenter. Die schlesischen wurden um 8, die ostpreußischen um 4, die kurmärkischen um 2 Bataillone verstärkt, zusammen 14 Bataillone12-1. In einem armen Lande findet der Herrscher keine Hilfsquellen im Geldbeutel seiner Untertanen, und so ist es seine Pflicht, durch Klugheit und gute Wirtschaft die Mittel für notwendige, außerordentliche Ausgaben zu beschaffen. Speichern doch auch die Ameisen im Sommer auf, was sie im Winter brauchen! So soll auch ein Fürst im Frieden das Geld sparen, das er im Kriege ausgeben muß. Dieser leider so wichtige Punkt wurde nicht außer acht gelassen, und so war denn Preußen imstande, einige Feldzüge aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Kurz, es war bereit, beim ersten Zeichen auf dem Kampfplatz zu erscheinen und sich mit seinen Feinden zu messen. Im folgenden wird sich zeigen, wie nützlich diese Vorsicht war, und wie notwendig es für den König von Preußen bei der eigenartigen Lage seiner Provinzen ist, gerüstet und auf alle Ereignisse gefaßt zu sein, will er nicht zum Spielball seiner Nachbarn und Feinde werden. Ja, man hätte noch mehr tun sollen, wenn es die Mittel des Staates erlaubt hätten. Denn in der Kaiserin-Königin hatte der König eine ehrgeizige und rachsüchtige Feindin, und was die Gefahr erhöhte, sie war eine Frau, starrköpfig und unversöhnlich. Schmiedete die Kaiserin-Königin doch in der Stille ihres Kabinetts schon damals die großen Pläne, die sie in der Folgezeit zur Ausführung brachte.

Der stolzen, vom Ehrgeiz verzehrten Frau war jeder Weg recht, der zum Ruhme führte. Sie schuf in ihren Finanzen eine ihren Vorfahren unbekannte Ordnung und brachte durch gute Wirtschaft nicht nur wieder ein, was sie durch die Abtretung mehrerer Provinzen an die Könige von Preußen und von Sardinien verloren hatte12-2, sondern vermehrte ihre Einkünfte auch noch um ein beträchtliches. Mit der Leitung ihrer Finanzen betraute sie den Grafen Haugwitz12-3. Unter seiner Verwaltung stiegen die Einkünfte der Kaiserin auf 36 Millionen Gulden, gleich 24 Millionen Talern. Ihr Vater, Kaiser Karl VI., der noch das Königreich Neapel, Serbien und Schlesien besaß, hatte trotzdem nicht soviel gehabt. Ihr kaiserlicher Gemahl, der sich nicht in die Regierungsgeschäfte zu mischen wagte, wurde Geschäftsmann. Er sparte alle Jahre große Summen aus seinen toskanischen Einkünften und legte sie nutzbringend im Handel an. Er errichtete Fabriken, lieh auf Pfand, ja, er übernahm die Lieferung der Uniformen, Waffen, Pferde und der Ordonnanzkleider für die gesamte kaiserliche Armee. In Gemeinschaft mit einem Grafen Bolza und einem Kaufmann namens Schimmelmann hatte er die sächsischen Zölle gepachtet. Im Jahre 1756 lieferte er sogar die Fourage und das Mehl für die preußische Armee, ob<13>wohl der König von Preußen mit der Kaiserin, seiner eigenen Gemahlin, im Kriege lag. Während des Krieges schoß der Kaiser ihr bedeutende Summen auf sicheres Unterpfand vor. Mit einem Wort: er war der Bankier des Hofes, und da er nun einmal König von Jerusalem war13-1, so schloß er sich den uralten Gebräuchen des jüdischen Volkes an.

Die Kaiserin hatte in den vorhergehenden Kriegen die Notwendigkeit einer besseren Disziplinierung ihrer Armee erkannt. Sie machte tatkräftige Männer zu Generalen, die imstande waren, Mannszucht in die Truppen zu bringen. Sie pensionierte alte Offiziere, die ihrer Stellung nicht mehr gewachsen waren, und ersetzte sie durch jüngere Leute von Rang, die Eifer und Liebe zum Kriegshandwerk zeigten. Jahr für Jahr wurden die Truppen in den Provinzen in Feldlagern versammelt und von kommissarischen Inspekteuren geschult, die mit den großen Kriegsmanövern vertraut und dafür ausgebildet waren. Die Kaiserin selbst begab sich zu wiederholten Malen in die Lager von Prag und von Olmütz, um die Truppen durch ihre Gegenwart und durch Belohnungen anzufeuern. Besser als irgendein Fürst verstand sie sich auf schmeichelhafte Auszeichnungen, auf die jeder im Staatsdienst Stehende so großen Wert legt. Sie belohnte die von ihren Generalen empfohlenen Offiziere und verstand überall den Wetteifer, die Talente und den Wunsch, ihr zu gefallen, wachzurufen. Zugleich wurde eine Artillerieschule unter der Leitung des Fürsten von Liechtenstein gegründet. Er brachte das Korps auf 6 Bataillone und führte in der Verwendung der Kanonen jenen unerhörten Mißbrauch ein, der heute üblich ist. In seinem Diensteifer für die Kaiserin gab er über 100 000 Taler aus eigenen Mitteln dazu. Um schließlich nichts zu verabsäumen, was mit dem Heerwesen zusammenhing, gründete die Kaiserin in der Nähe von Wien eine Anstalt, wo die adlige Jugend in allen Kriegswissenschaften unterrichtet wurde13-2. Sie zog geschickte Lehrer der Geometrie, der Befestigungskunst, der Geographie und Geschichte zur Ausbildung fähiger Leute heran, sodaß hier eine Pflanzschule von Offizieren für ihre Armee entstand. Durch ihre Fürsorge erlangte das Militär in Österreich einen Grad der Vollkommenheit, wie es ihn unter den Kaisern aus dem Hause Österreich nie besessen hat. So führte eine Frau Vorsätze durch, die eines großen Mannes würdig waren.

Die Kaiserin, die auf alle Zweige der Staatsverwaltung ein wachsames Auge hatte, war mit der Leitung der auswärtigen Politik unzufrieden und übertrug sie am Ende des Jahres 1753 dem Grafen Kaunitz13-3. Sie machte ihn zum Premierminister, um alle Fäden der Regierung in einer Hand zu vereinigen. Wir werden noch Gelegenheit haben, diesen Mann, der eine so große Rolle gespielt hat, eingehender zu schildern. Er ging auf alle Stimmungen seiner Gebieterin ein, verstand es, ihren Leidenschaften zu schmeicheln und sich das volle Vertrauen der Kaiserin zu gewinnen.<14> Seit dem Tage, wo er das Ministerium übernahm, arbeitete er an dem Abschluß von Bündnissen und an der Isolierung des Königs von Preußen, um die Verwirklichung des Planes anzubahnen, der der Kaiserin am Herzen lag: nämlich Schlesien zurückzuerobern und den König von Preußen zu demütigen. Da aber hiervon eigentlich das zweite Kapitel handeln soll, so wollen wir vorläufig noch nichts darüber sagen.

Derart rüsteten Preußen und Österreich während des Friedens zum Kriege, wie zwei Fechter, die ihre Waffen schärfen und vor Ungeduld brennen, sie zu kreuzen.


10-1 Die Überkompletten wurden nur zu den jährlichen Exerzierübungen und Revuen sowie im Kriegsfall eingezogen und dazu verwandt, die Truppen stets auf dem etatsmäßigen Fuß zu erhalten. Durch Kabinettsorder vom 25. Februar 1755 erfolgte ihre Verdoppelung von 10 auf 20 Mann pro Kompagnie; die obige Angabe trifft also nicht zu. Die Vermehrung betrug rund 7 300 Mann.

11-1 Jakob Keith, aus altem schottischen Geschlechte (1696—1758).

12-1 Die Vermehrung des Jahres 1755 betrug nur 2 Bataillone; die übrigen Augmentationen fallen in den August und September 1756.

12-2 Vgl. Bd. II, S. 18f.

12-3 Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz.

13-1 Als römischer Kaiser führte Franz I. den Titel eines Königs von Jerusalem.

13-2 Die 1752 gegründete adlige Militärakademie zu Wiener-Neustadt war für 200 Zöglinge bestimmt.

13-3 Graf Wenzel Kaunitz-Rittberg, seit 1753 Hof- und Staatskanzler.

7-1 Samuel Freiherr von Cocceji (vgl. Bd. VII, S. 118).

8-1 Der Entwurf des preußischen Landrechts, das „Projekt des Corporis juris Fridericiani“, dessen beide ersten Teile, das Personen- und Familienrecht, sowie das Sachen- und Erbrecht enthaltend, 1749 und 1751 erschienen. Der dritte Teil mit dem Obligationenrecht blieb unvollendet.

8-2 Vgl. Bd. VII, S. 118 f. und 214.

9-1 Auf Grund der 1694 vom Kaiser dem Hause Brandenburg erteilten Anwartschaft hatte König Friedrich am 26. Mai 1744 nach dem Aussterben des dortigen Fürstenhauses von Ostfriesland Besitz ergriffen.