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Am folgenden Tage langte der König in Jägerndorf an. Sein Plan war, am Tage darauf wieder von dort aufzubrechen, um die Laufgräben vor Neiße zu eröffnen, wo Feldmarschall Kalckstein ihn mit zehn Bataillonen und ebensoviel Schwadronen erwartete. Der Herzog von Holstein, der damals in Frankenstein stand, sollte dort ebenfalls mit sieben Bataillonen und vier Schwadronen zum Könige stoßen. Als der König (am 2. April) eben aufbrechen wollte und dem Feldmarschall sowie dem Erbprinzen Leopold seine letzten Befehle gab, kamen sieben österreichische Dragoner an. Von diesen Überläufern erfuhr man, daß sie die Armee bei Freudenthal (nur anderthalb Meilen von Jägerndorf) verlassen hätten, daß ihre Reiterei dort lagerte und nur auf die Infanterie und das Geschütz wartete, um quer durch die Quartiere der Preußen zu rücken und sie zur Aufhebung der Blockade von Neiße zu zwingen. Mittlerweile hörte man schon vor der Stadt scharmutzieren, und jedermann glaubte, daß Neippergs Avantgarde im Begriff stände, Jägerndorf zu berennen. In dieser unglücklichen Stadt waren nur fünf Bataillone, fünf Dreipfünder und Pulver für 40 Schüsse. Die Lage war verzweifelt, wenn Neipperg sie zu nutzen verstand. Aber der kreißende Berg gebar nur eine Maus. Der Feind wollte bloß wissen, ob die Preußen noch in ihren Quartieren wären. Um dies zu erfahren, mußten seine leichten Truppen vor jeder Stadt herumplänkeln, um ihren Offizieren Meldung über den Stand der Dinge zu bringen.

Da nun die Absichten des Feindes offenbar waren, so zauderte der König keinen Augenblick mehr, das Heer zusammenzuziehen. Die Truppen in Niederschlesien erhielten Befehl, bei Sorge die Neiße zu überschreiten, und die in Oberschlesien sollten bei Jägerndorf zum König stoßen. Am 4. April ging er mit all diesen vereinigten Korps nach Neustadt, und zwar parallel dem feindlichen Heere, das über Zuckmantel und Ziegenhals auf Neiße marschierte. Am folgenden Tage (5. April) rückte der König nach Steinau, welches eine Meile von Sorge liegt; dort hatte er Brücken über die Neiße schlagen lassen. Die Einschließung von Brieg mußte aufgehoben werden, und General Kleist erhielt Befehl, mit seiner Abteilung zum Heere zu stoßen. Auch der Herzog von Holstein erhielt mehrere Male die gleiche Order, aber sie konnte ihn nicht erreichen, und so blieb er ruhig in Frankenstein stehen und sah rechts und links den Feind an sich vorbeiziehen, ohne sich darüber zu beunruhigen. Überläufer vom österreichischen Heere, die in Steinau ankamen, sagten aus, daß General Lentulus sich am selben Tage bei Neiße mit dem Feldmarschall Neipperg vereinigt hätte. Auf diese Nachricht wurden die preußischen Truppen sofort um Steinau zusammengezogen, und der König wählte eine Stellung aus, wo er den Feind im Falle eines Angriffs empfangen konnte. Um die Verlegenheit noch zu erhöhen, brach am Abend im Quartier von Steinau Feuer aus. Es war nur ein Glück, daß man Geschütz und Munition noch durch die engen Gassen retten konnte, in denen schon alle Häuser in Flammen standen. Die Truppen biwakierten die Nacht in der Stellung, die der König tags zuvor zum Lager ausgesucht hatte.