<91>

4. Kapitel

Politische Gründe des Waffenstillstandes. Krieg der Franzosen und Bayern in Böhmen. Spanien erklärt sich gegen Österreich. Der Reichstag bei der Kaiserwahl. Staatsumwälzung in Rußland. Verschiedene Unterhandlungen.

Um in der Erzählung der militärischen Ereignisse den Faden nicht abzureißen, haben wir uns mit kurzer Andeutung der Ursachen begnügt, die diese Art Waffenstillstand zwischen Preußen und Österreich veranlaßten. Der Gegenstand ist heikel. Der Schritt des Königs war bedenklich. Es ist nötig, seine geheimsten Beweggründe zu entwickeln, und der Leser wird es entschuldigen, wenn wir dabei etwas weiter zurückgreifen, um die Dinge in desto helleres Licht zu setzen.

Der Zweck des vom König unternommenen Krieges war die Eroberung Schlesiens. Schloß er Verträge mit Frankreich und Bayern, so geschah das nur zur Erreichung dieses einen großen Zieles; aber Frankreich und seine Verbündeten hatten ganz andere Absichten. Die Versailler Regierung war fest überzeugt, daß es um die Macht Österreichs geschehen sei und daß sie für ewig würde vernichtet werden. Auf den Trümmern von Österreich wollte Frankreich vier Fürsten erheben, die sich gegenseitig die Wage halten könnten: die Königin von Ungarn, die dieses Königreich, sowie Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain behalten sollte, den Kurfürsten von Bayern als Herrn von Böhmen, Tirol und dem Breisgau, Preußen mit Niederschlesien und endlich Sachsen, das durch Oberschlesien und Mähren vergrößert werden sollte. Diese vier Nachbarn hätten sich auf die Dauer niemals vertragen, und Frankreich schickte sich an, die Rolle des Schiedsrichters zu übernehmen und über<92> Machthaber, die es selbst eingesetzt hatte, nach seinem Belieben zu schalten. Damit wäre die römische Staatskunst aus den glänzendsten Zeiten der Republik erneuert worden.

Das französische Projekt war unvereinbar mit der deutschen Freiheit und ganz und gar nicht im Sinne des Königs, der für die Machtstellung seines Hauses arbeitete und nicht daran dachte, seine Truppen zu opfern, um sich Nebenbuhler zu schaffen und großzuziehen. Hätte er sich zum knechtischen Werkzeuge der französischen Politik gebrauchen lassen, so hätte er sich selbst sein Joch geschmiedet. Er hätte alles für Frankreich getan und nichts für sich. Vielleicht wäre es Ludwig XV. dann gelungen, den Traum jenes Weltreiches zu verwirklichen, den man Karl V. zuschreibt. Ja, um ehrlich zu sein: allzu große Erfolge der Franzosen hätten den König in völlige Abhängigkeit von ihnen gebracht, und er mußte sich deshalb hüten, ihre Operationen zu eifrig zu unterstützen. Aus einem Verbündeten wäre er zum Untergebenen geworden. Man hätte ihn weiter fortgerissen, als er wollte, und er hätte jedem Wunsche Frankreichs nachkommen müssen, weil er selbst zum Widerstande zu schwach war und ihm Bundesgenossen gefehlt hätten, die ihn aus der Knechtschaft befreiten.

So erschien es für den König als ein Gebot der Klugheit, seine Kriegführung so einzurichten, daß er eine Art Gleichgewicht zwischen den Häusern Österreich und Bourbon herstellte. Die Königin von Ungarn stand am Rande des Abgrundes. Ein Waffenstillstand erlaubte ihr aufzuatmen. Der König war aber sicher, ihn brechen zu können, sobald er es für angezeigt hielt; denn der Wiener Hof wurde durch seine Politik dazu gedrängt, das Geheimnis bekanntzumachen. Und endlich — was den König am meisten rechtfertigt — hatte er die geheimen Beziehungen entdeckt, die Kardinal Fleury mit Stainville, dem Gesandten des Großherzogs von Toskana zu Paris, unterhielt. Er wußte, daß der Kardinal durchaus geneigt war, Frankreichs Verbündete aufzuopfern, falls der Wiener Hof ihm Luxemburg und einen Teil von Brabant anbieten sollte. Es galt also, geschickt zu handeln und sich vor allem nicht von einem alten Politiker überlisten zu lassen, der im letzten Kriege mit mehr als einem gekrönten Haupte sein Spiel getrieben hatte.

Die Ereignisse sollten den vom König vorausgesehenen Mangel an Verschwiegenheit des Wiener Hofes bald rechtfertigen. Österreich machte den angeblichen Vertrag mit Preußen allenthalben bekannt: in Sachsen, in Bayern, in Frankfurt am Main und wo es sonst seine Sendlinge hatte. Graf Podewils, der Minister des Auswärtigen, war vom König beauftragt worden, bei seiner Rückkehr aus Schlesien über Dresden zu reisen, um den Hof auszuforschen, der stets viel Eifersucht und Übelwollen gegen alles, was Preußen betraf, gezeigt hatte. Er fand in Dresden den Marschall Belle-Isle vor, wutentbrannt über das, was er von einem gewissen Koch92-1, einem Werkzeug des Wiener Hofes, erfahren hatte. Koch hatte dem Marschall Frie<93>densvorschläge gemacht, und als der sie verwarf, erklärt, sein Hof hätte sich auf gut Glück mit dem König von Preußen verglichen. Ja mehr noch, ganz Dresden war mit Briefen überschwemmt, worin den Sachsen geraten wurde, mit ihrem Einmarsch nach Böhmen innezuhalten, weil der König von Preußen sich mit der Königin von Ungarn ausgesöhnt habe und zu einem Einfall in die Lausitz rüste. Graf Brühls mißtrauische Ängstlichkeit wurde durch die herzhafte Entschlossenheit des Grafen Podewils jedoch überwunden, und die Sachsen rückten in Böhmen ein. Unterdessen hatte der Kurfürst von Bayern dem König einen Brief der Kaiserin Amalie93-1 mitgeteilt, worin er ermahnt ward, sich mit der Königin von Ungarn vor dem Monat Dezember zu einigen, da sie genötigt wäre, die Präliminarien ihres Abkommens mit Preußen zu ratifizieren. Dieses Benehmen des Wiener Hofes entband den König von allen seinen Verpflichtungen. Wir werden im folgenden sehen, daß man in Wien den Mangel an Verschwiegenheit teuer bezahlen mußte.

Während aller dieser Unterhandlungen hatte der Kriegsschauplatz oft gewechselt. Jetzt schienen alle Armeen sich ein Stelldichein in Böhmen gegeben zu haben. Der Kurfürst von Bayern war nur zwei Tagemärsche von Wien entfernt gewesen. Sein weiterer Vormarsch hätte ihn vor die Tore der Hauptstadt geführt, die ihm bei ihrer schwachen Besatzung nur geringen Widerstand geleistet hätte. Diese große Aussicht ließ der Kurfürst fahren in der kindischen Besorgnis, die Sachsen könnten Böhmen allein erobern und für sich behalten. Die Franzosen glaubten in verkehrter Staatsklugheit, daß die Bayern durch die Eroberung Wiens zu mächtig würden, und bestärkten daher den Kurfürsten in seinem Mißtrauen gegen Sachsen, um ihn von Wien abzuziehen.

Dieser Kardinalfehler war die Ursache all des Mißgeschicks, das in der Folge über Bayern hereinbrach. Das Heer der Franzosen und Bayern wurde geteilt; 15 000 Mann unter Ségur sollten Österreich und das Kurfürstentum decken. Der Kurfürst eroberte mit der Hauptmacht Tabor, Budweis und rückte gerade auf Prag los. Hier stießen die Sachsen, sowie General Gassion93-2 zu ihm, jene von Lobositz, dieser von Pilsen her. Als aber die Österreicher anrückten, zogen Feldmarschall Törring und General Leuville, die in Tabor und Budweis befehligten, ab. Die Feinde fanden in beiden Städten nicht nur beträchtliche Magazine, sondern schnitten auch durch die so gewonnene Stellung Ségur von dem Heere in Böhmen ab. Neipperg und Fürst Lobkowitz, die beide aus Mähren kamen, befestigten sich in der neuen Stellung.

Der Kurfürst von Bayern stand damals vor Prag. Da er wegen der strengen Jahreszeit keine regelrechte Belagerung vornehmen konnte, so beschloß er, die Stadt zu stürmen. Trotz ihrer weiten Ausdehnung war sie nur von einer schwachen Besatzung verteidigt. Griff man sie von verschiedenen Seiten zugleich an, so mußte sich notwendig irgendeine Stelle ohne Gegenwehr finden, und das ermöglichte ihre Er<94>oberung. Prag wurde also von drei verschiedenen Seiten bestürmt94-1. Graf Moritz von Sachsen erstieg den flankierten Winkel der Bastion Nikolaus am Neu-Tor; die Zugbrücke wurde herabgelassen, und durch das Tor drang die Kavallerie in die Stadt, säuberte die Straßen und vertrieb die Besatzung des Karls-Tors, das Graf Rutowski vergeblich zu erobern versuchte. Erst nachdem der Gegner den Wall geräumt hatte, ließ Graf Moritz zum Sturm vorgehen. Von den Feinden überwältigt, mußten die Österreicher die Waffen strecken. Ein dritter Angriff, den Polastron leitete, mißlang völlig.

Der Herzog Franz von Lothringen, Großherzog von Toskana, wollte sich damals an die Spitze der Heere stellen und rückte in Eilmärschen heran, um Prag zu retten. Kaum aber war er in Königssaal angelangt, so erfuhr er, daß die Verbündeten schon Herren der Stadt seien. Das wirkte auf ihn wie ein Donnerschlag. Hastig machte er wieder kehrt. Es war mehr eine Flucht als ein Rückzug. Die Soldaten liefen auseinander, plünderten die Dörfer und gingen scharenweise zu den Franzosen über. Neipperg und Lobkowitz flüchteten sich mit ihren mutlosen Truppen hinter die Sümpfe von Budweis, Tabor, Neuhaus und Wittingau, berühmte Stellungen, in denen vor Zeiten schon der Hussitenführer Ziska allen seinen Feinden getrotzt hatte.

Marschall Belle-Isle, den die Gicht an Dresden gefesselt hielt, solange die Dinge in Böhmen noch mißlich schienen, begab sich sofort nach der Übergabe nach Prag. Er schickte Polastron nach Deutsch-Brod und den Grafen Moritz nach Pischely, um die Ufer der Sazawa zu säubern, während d'Aubigné mit 20 Bataillonen und 30 Schwadronen gegen die Wottawa vorrückte. Nach der Absicht des Marschalls sollte d'Aubigné bis Budweis vorstoßen, blieb aber in seiner Saumseligkeit bei Pisek stehen. So gab die Untätigkeit der französischen Heerführer den Österreichern Zeit, sich zu erholen und in ihren Quartieren zu verschanzen. Marschall Belle-Isle gefiel sich in seiner repräsentativen Stellung und wollte lieber den Gesandten als den Heerführer spielen. Deshalb schrieb er an den Kardinal, seine Gesundheit sei den Strapazen eines Feldzuges nicht mehr gewachsen und er bäte um Ablösung vom Oberbefehl. Der Kardinal übertrug die Führung dem Marschall Broglie94-2, einem durch zwei Schlagflüsse geschwächten Manne. Da Broglie aber als Gouverneur in Straßburg stand, schien er von allen Generalen derjenige, der am schnellsten zur Armee in Böhmen stoßen konnte.

Gleich bei seiner Ankunft überwarf Broglie sich mit dem Marschall Belle-Isle. Er änderte alle Anordnungen seines Vorgängers und zog eine große Anzahl von Truppen zusammen, mit denen er nach Pisek rückte. Der Großherzog machte Miene, ihn anzugreifen, aber sein Versuch war fruchtlos. Lobkowitz hatte nicht mehr Erfolg gegen Frauenberg. Schließlich kehrten die Österreicher nach unnützer Anstrengung in ihre Quartiere zurück. Den Franzosen, die ihre Ruhe und Bequemlichkeit haben woll<95>ten, war es gar nicht recht, daß die Feinde sie so oft belästigten, und sie wünschten, daß die Preußen zu ihrer Bedeckung heranrücken möchten. Aber nur ein Blödsinniger konnte sich diesem Begehren fügen. Valory, der französische Gesandte zu Berlin, erschöpfte sich in Klagen. Er behauptete, die Deutschen, die doch nur zum Kämpfen gut wären, müßten gegen die Österreicher losziehen, um den Franzosen, die ihnen in allen anderen Dingen überlegen wären, Ruhe zu verschaffen. Man hörte ihn stillschweigend an. Schließlich aber wurde er selbst seiner vergeblichen Zudringlichkeit müde.

Nachdem so viele Mächte sich zur Teilung der österreichischen Erbschaft vereinigt hatten, erwachte die Begehrlichkeit auch in den Fürsten, die bisher ruhig geblieben waren. Spanien wollte nicht müßig zusehen, wie jedermann an seine Vergrößerung dachte. Die Königin von Spanien95-1, eine geborene Prinzessin von Parma, erhob Ansprüche auf das Herzogtum Parma sowie auf Piacenza, das sie ihren Unterrock nannte. Ihr zweiter Sohn Don Philipp sollte hier auf den Thron kommen. Sie ließ 20 000 Spanier unter dem Befehl von Montemar durch das Königreich Neapel rücken, indes Don Philipp mit einem andern Korps durch das Dauphiné und Savoyen marschierte, um in die Lombardei einzufallen. So griff das Feuer, das aus einem Funken in Schlesien entglommen war, von Land zu Land um sich, und bald stand ganz Europa in Flammen.

Während die vielen Heere, die einander gegenüberstanden, mehr Torheiten als Ruhmestaten vollbrachten, war der Reichstag in Frankfurt zur Kaiserwahl versammelt und vergeudete seine Zeit in läppischen Beratungen. Statt ein Reichsoberhaupt zu wählen, stritt man sich über Brokatkleider oder Spitzen, welche die Gesandten zweiten Ranges ebenso zu tragen beanspruchten wie die ersten Ranges. Der Reichstag war in zwei Parteien gespalten. Die eine bestand aus fanatischen Anhängern, die andere aus maßlosen Feinden der Königin von Ungarn. Jene wollten den Großherzog von Toskana zum Kaiser haben, diese beharrten halsstarrig auf dem Kurfürsten von Bayern. Das Waffenglück, das noch die Verbündeten begünstigte, entschied den Streit, und ihre Partei erlangte endlich das Übergewicht, das der Erfolg verschafft. Trotzdem rückte das Wahlgeschäft in Frankfurt nicht von der Stelle.

Um eine Vorstellung von dieser Versammlung und von der Langsamkeit ihrer Beratungen zu geben, wird es nicht unnütz sein, eine Skizze davon zu entwerfen. Die Goldene Bulle gilt als das Grundgesetz Deutschlands. Auf sie beruft man sich bei jeder Gelegenheit, und wenn es Zänkereien gibt, so entstehen sie aus der Art ihrer Auslegung. Daher schicken die Fürsten die Rechtslehrer, die in der Goldenen Bulle am besten Bescheid wissen, die schwerfälligsten Pedanten, die in den äußerlichen Lappalien am erfahrensten sind, als ihre Stellvertreter zu den Reichsversammlungen. Da streiten sich die Rechtsgelahrten denn über die Formalitäten. Um die Dinge im<96> großen zu betrachten, dazu haben sie einen zu beschränkten Geist. Die Ehre der Repräsentation verdreht ihnen den Kopf, und sie bilden sich ein, das Ansehen zu besitzen, das die hohe Körperschaft zur Zeit Karls von Luxemburg96-1 genoß. Kurz, man war am 1. Dezember des Jahres 1741 noch um keinen Schritt weitergekommen als bei der Einberufung dieser erlauchten Versammlung. Hätten die Österreicher auch nur die mindesten Waffenerfolge gehabt, so hätte der Großherzog die Mehrheit der Stimmen erhalten. Man mußte die Wahl also rasch durchsetzen, um das augenblickliche Stimmenverhältnis auszunutzen und durch Erhebung einer andern Dynastie auf den Kaiserthron zu verhindern, daß die Würde auch in dem neuen österreichischen Hause erblich ward. Um es dahin zu bringen, schlug der König vor, einen Termin zur Wahl festzusetzen. Sein Vorschlag fand Beifall, und der Reichstag bestimmte den 24. Januar 1742 für das große Ereignis.

Aber den König von England kümmerten dieser Reichstag und seine Beratungen weit weniger als das, was ihn selbst nahe betraf. Seine Angst vor dem Heer unter Maillebois, das sein Kurfürstentum Hannover bedrohte, war so groß, daß er sich zu demütigen Bitten in Versailles entschloß, um seine Besitzungen zu sichern. Als Gesandten schickte er Hardenberg, der einen Neutralitätsvertrag mit Frankreich unterzeichnen sollte. Kardinal Fleury fragte den König von Preußen, was er von dieser Unterhandlung hielte. Der König antwortete, es sei gefährlich, einen Feind halb zu beleidigen; wer drohe, müsse auch zuschlagen. Dem Kardinal, der stets mehr zu Schlichen als zu festem Auftreten neigte, fehlte die männliche Kraft zu entscheidenden Entschlüssen. Er glaubte am besten zu fahren, wenn er die Dinge unentschieden ließ, und unterzeichnete den Vertrag mit England (27. September 1741). Solche Auswege und Halbheiten haben Frankreichs Interessen oft geschadet. Aber die Natur verteilt ihre Gaben nach ihrem Belieben: wem Kühnheit verliehen ist, der kann nicht zaghaft handeln; und wer mit zuviel Bedachtsamkeit geboren ist, der ist kein Wagehals.

Dieses Jahr war gleichsam die Epoche der großen Ereignisse. Ganz Europa führte Krieg, um sich in die Stücke einer strittigen Erbschaft zu teilen. Der Reichstag kam zusammen, um einen Kaiser aus einem andern Hause als dem österreichischen zu wählen. In Rußland endlich entthronte man einen jungen, noch in der Wiege liegenden Zaren, und eine Revolution setzte die Prinzessin Elisabeth auf den Thron96-2. Ein französischer Wundarzt, ein deutscher Musiker, ein russischer Kammerjunker96-3, sowie hundert, mit französischem Gelde bestochene Leute der Preobrashenskischen Garde führen Elisabeth zum kaiserlichen Palaste, überrumpeln und entwaffnen die Wachen und nehmen den jungen Zaren, seinen Vater, den Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig, und dessen Mutter, die Prinzessin von Mecklenburg, gefangen. Die Truppen werden versammelt; sie erkennen Elisabeth als ihre Kaiserin an und leisten ihr den <97>Eid. Die unglückliche Herrscherfamilie wird in Riga eingekerkert; Ostermann wird nach schimpflicher Behandlung nach Sibirien verbannt. Das alles ist das Werk weniger Stunden. Frankreich erhoffte sich Vorteil von dieser Staatsumwälzung, die es selbst herbeigeführt hatte, sah aber bald seine Hoffnung entschwinden.

Kardinal Fleury hatte den Plan, Schweden vor den Folgen des unglücklichen Schrittes, zu dem er es verleitet hatte97-1, zu retten. Er glaubte, ein Regierungswechsel in Rußland würde den neuen Herrscher geneigt machen, einen für Schweden günstigen Frieden zu schließen. In dieser Absicht hatte er einen gewissen d'Avennes mit mündlichen Aufträgen an den Marquis La Chétardie, den französischen Gesandten in Petersburg, geschickt. Der sollte alles versuchen, um die Regentin und den Generalissimus zu stürzen. Dergleichen Unternehmungen, die in allen andern Staaten als abenteuerlich erscheinen, lassen sich in Rußland zuweilen ausführen. Der Geist der Nation neigt zu Empörungen. Wie auch andre Völker, sind die Russen stets mit der Gegenwart unzufrieden und erhoffen alles von der Zukunft. Die Regentin hatte sich durch ihre Schwäche für einen Ausländer, den schönen Grafen Lynar, den sächsischen Gesandten, gewiß verhaßt gemacht; aber ihre Vorgängerin, die Kaiserin Anna, hatte noch viel öffentlicher den Kurländer Biron ausgezeichnet, der ebensogut wie Lynar ein Fremder war. Es ist eine alte Wahrheit, daß gleiche Dinge nicht gleich sind, wenn sie zu andern Zeiten und durch andre Personen geschehen. Die Regentin war über ihre Liebe gestürzt; Elisabeth erhob sich auf den Thron durch ihre Liebe zum gemeinen Volke, deren Genuß sie zunächst den Preobrashenskischen Garden zuteil werden ließ. Beide Fürstinnen waren sinnlich. Die Mecklenburgerin verbarg ihre Wollust unter der Maske der Sittsamkeit, und nur ihr eignes Herz verriet sie. Bei Elisabeth ging die Wollust bis zur Ausschweifung. Die erste war launisch und boshaft, die andere verschlagen, aber lenksam. Alle beide haßten die Arbeit. Alle beide waren nicht zur Herrschaft geboren.

Verstand Schweden die Gelegenheit auszunutzen, so mußte es einen großen Schlag führen, solange Rußland durch innere Wirren erschüttert war. Alles verhieß einen glücklichen Erfolg. Aber es war Schweden nicht bestimmt, über seine Feinde zu triumphieren. Während und nach dieser Revolution war es wie versteinert und ließ die gute Gelegenheit, die Mutter großer Taten, vorübergehen. Die Niederlage bei Pultawa (8. Juli 1709) war ihm nicht verhängnisvoller gewesen als jetzt die kraftlose Trägheit seiner Heere.

Sobald die Kaiserin Elisabeth sich auf dem Throne sicher fühlte, verteilte sie die ersten Ämter des Reiches an ihre Anhänger. Die beiden Brüder Bestushew97-2, Woronzow und Trubetzkoi kamen in den Staatsrat; Lestocq, das Werkzeug ihrer Erhebung, wurde, obwohl von Beruf Wundarzt, eine Art von Unterminister. Lestocq nahm Partei für Frankreich, Bestushew für England. Daraus entstan<98>den Zwistigkeiten im Staatsrate und endlose Hofintrigen. Die Kaiserin empfand für keine der beiden Mächte besondere Vorliebe, wohl aber Abneigung gegen den Wiener und Berliner Hof. Anton Ulrich, der Vater des von ihr entthronten Zaren, war Geschwisterkind der Königin von Ungarn, Neffe der Kaiserin-Witwe und Schwager des Königs von Preußen98-1. Sie fürchtete deshalb, diese beiden Mächte könnten aus verwandtschaftlichen Rücksichten etwas zugunsten der Familie unternehmen, auf deren Sturz sie ihre Größe gegründet hatte. Die Kaiserin zog ihre Freiheit dem Ehestande vor, dessen Gesetze ihr zu tyrannisch erschienen; und um ihren Thron zu befestigen, berief sie ihren Neffen, den jungen Herzog von Holstein, zum Nachfolger und ließ ihn zu Petersburg als Großfürsten von Rußland erziehen98-2.

Die Welt glaubt recht leichtfertig, daß Ereignisse, die zum Vorteil der Fürsten ausschlagen, die Frucht ihres Scharfsinns und ihrer Geschicklichkeit sind. Dank diesem Vorurteil hatte man den König im Verdacht, an jener russischen Staatsumwälzung beteiligt zu sein. Aber das war nicht der Fall. Der König hatte an diesem Thronwechsel keinerlei Anteil und erfuhr ihn nicht eher als das Publikum. Einige Monate zuvor, als der Marschall Belle-Isle sich im Lager von Mollwitz befand, war das Gespräch auch auf Rußland gekommen. Der Marschall schien sehr unzufrieden mit dem Benehmen des Prinzen Anton Ulrich und seiner Gemahlin, der Regentin, und in einem Augenblick des Ärgers fragte er den König, ob er es ungern sehen würde, wenn in Rußland eine Revolution zugunsten der Prinzessin Elisabeth und zum Nachteil des jungen Zaren Iwan, seines Neffen, erfolgte. Darauf erwiderte der König, er erkenne unter den Herrschern keine andern Verwandten an als die, welche seine Freunde wären. Die Unterhaltung brach ab, und das ist alles, was geschah.

Berlin war während dieses Winters der Mittelpunkt von Unterhandlungen. Frankreich drängte den König, seine Armee in Tätigkeit zu setzen; England ermahnte ihn zum Friedensschluß mit Österreich. Spanien warb um ein Bündnis, Dänemark wünschte seinen Rat, welche Partei es ergreifen sollte. Schweden bat um seinen Beistand, Rußland um seine Vermittlung in Stockholm, und das nach Frieden seufzende Deutsche Reich ersuchte unter den lebhaftesten Vorstellungen um Beendigung der Unruhen.

Nicht lange blieben die Dinge so stehen. Die preußischen Truppen verbrachten kaum zwei Monate in ihren Winterquartieren. Dann führte Preußens Schicksal den König wieder auf jenen Schauplatz, den so viele Schlachten mit Blut tränken und wo beide kriegführende Parteien abwechselnd den Unbestand des Glückes erfahren sollten. Am vorteilhaftesten wurde diese Art Waffenstillstand für den König dadurch, daß er<99> ihm die Möglichkeit gewährte, seine Truppen noch furchtgebietender zu machen. Die Erwerbung Schlesiens vermehrte seine Einkünfte um 3 600 000 Taler. Der größte Teil dieser Summe wurde zur Verstärkung des Heeres verwandt, das auf 106 Bataillone und 191 Schwadronen, darunter 60 Husarenschwadronen, gebracht wurde. Bald werden wir sehen, welchen Gebrauch der König davon machte.


92-1 Ignaz von Koch, Privatsekretär Maria Theresias.

93-1 Witwe Kaiser Josephs I.; Ihre Tochter Maria Amalia war die Gemahlin des Kurfürsten Karl Albert.

93-2 Führer eines französischen Korps.

94-1 Der Sturm erfolgte in der Nacht vom 25. auf den 26. November 1741.

94-2 Franz Maria, Herzog von Broglie.

95-1 Elisabeth Farnese.

96-1 Karl IV., der die Goldene Bulle erließ.

96-2 In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1741.

96-3 Lestocq, Schwartz und Michael Woronzow.

97-1 Vgl. S. 68. 84. 87.

97-2 Alexej und Michael Bestushew.

98-1 Die Kaiserin-Witwe Elisabeth, die Mutter Maria Theresias, und die Herzogin von Braunschweig, Antoinette Amalie, die Mutter Anton Ulrichs und Elisabeth Christines, der Gemahlin König Friedrichs, waren Schwestern.

98-2 Am 18. November 1742 zum Thronfolger ernannt, trat er am 5. Januar 1762 nach dem Tode Elisabeths als Peter III. die Regierung an.