<228>

Andrerseits hatte sich Frankreich seit dem Tode des Regenten1 mit denkbar größter Umsicht aus der inneren Zerrüttung wieder emporgearbeitet, und zwar mit solchem Erfolge, daß die Finanzen des Königs nun in der schönsten Ordnung von der Welt, seine Magazine mit allem Nötigen gefüllt und seine Truppen im allerbesten Zustande waren. Zu all diesen Errungenschaften kam Frankreichs höchst vorteilhafte politische Lage, sodaß es aus allem, was geschah, Vorteil zu ziehen vermochte.

Augusts II. Tod lieferte dem Versailler Hof einen Scheingrund zur Einmischung in die polnischen Angelegenheiten und zur Ausführung oder doch zu einem ersten Versuch zur Verwirklichung der großen Pläne, die die Staatskunst geboren und reiflich erwogen hatte. Frankreich unterließ nichts. Es bereitete die Ereignisse vor, rüstete sich zum erfolgreichen Handeln, schloß Bündnisse mit Spanien und Sardinien, bewog einige Reichsfürsten durch geheime Ränke zu einer Art von Neutralität und schläferte die Seemächte ein. Darauf veröffentlichte es ein Manifest über sein Verhalten und eröffnete den Krieg gegen den Kaiser. In gewisser Weise war dieser ja der Angreifer; denn er hatte die polnischen Wirren angezettelt, und seine Heere standen zum Eingreifen bereit, wenn er nicht selbst angefallen wurde.

Als der Kaiser sah, daß ihm von allen Seiten ein Angriff drohte, setzte er alle Hebel in Bewegung, um das Reich in sein Schicksal mit hineinzureißen. Die geschicktesten Unterhändler wurden vom Wiener Hofe in Tätigkeit gesetzt, um das Reich zur Kriegserklärung gegen Frankreich zu bringen. Des Kaisers Absicht ging erstens dahin, Hilfe vom Reich zu bekommen; zweitens wollte er Frankreichs Streitkräfte zersplittern, da sie ihn in Italien bereits angegriffen hatten und ihn dort auch unfehlbar niedergeworfen hätten. Beiläufig sei hier bemerkt: hätte sich das Reich nicht eingemischt, so hätte der Krieg schneller ein Ende gefunden. Der Kaiser hätte in Italien alles verloren, was die Alliierten eroberten, aber Lothringen hätte nicht vom Reichskörper abgetrennt werden können2, ohne daß neue Zwistigkeiten daraus entstanden und sozusagen ein neuer Weltbrand sich entzündete.

In Deutschland wurde der Krieg höchst lässig geführt, einmal, weil die Staatsklugheit den Versailler Hof bewog, die Seemächte nicht zu beunruhigen; denn diese hätten sicherlich die Partei des Kaisers ergriffen, wenn sie ihn dem Abgrund nahe sahen. Und zweitens fügte es sich durch eine Verkettung verschiedener Ursachen, zu denen in jedem ferneren Kriegsjahr neue hinzutraten, daß der Kaiser am Rhein nicht mit Nachdruck aufzutreten vermochte.

In Italien eroberten die Spanier das Königreich Neapel und Sizilien, während die Franzosen im Verein mit den piemontesischen Truppen das Mailändische und fast die ganze Lombardei in Besitz nahmen. Da die drei Kronen in ihrem Bündnis ausgemacht hatten, sich in den Raub der kaiserlichen Besitzungen in Italien zu teilen,


1 Der Regent, Herzog Philipp von Orleans, war 1723 gestorben.

2 Das Herzogtum Lothringen fiel durch den Friedensschluß an Frankreich, und Herzog Franz Stephan, der spätere Kaiser Franz I., erhielt als Entschädigung das Großherzogtum Toskana.