<227>federn der Politik jedes Herrschers, die Quellen der Geschehnisse zu erforschen. Er überläßt nichts dem Zufall. Sein scharfblickender Geist sieht die Zukunft voraus und dringt durch die Verkettung der Ursachen bis zu den fernsten Zeitaltern vor. Kurz, es ist klug, alles zu ergründen, damit man alles beurteilen, allem vorbeugen kann.

Angesichts der Lethargie mehrerer europäischer Fürsten halte ich eine Darlegung unseres gegenwärtigen politischen Zustandes nicht für unangebracht. Nicht als ob ich mir einbildete, aufgeklärter zu sein als eine große Zahl von Ministern, deren umfassende Kenntnisse und lange Erfahrung in den Geschäften stets Gegenstand meiner Achtung bleiben und meiner schwachen Einsicht unendlich überlegen sein werden. Ich will vielmehr einfach meine Gedanken der Öffentlichkeit mitteilen und diese dadurch bereichern. Wird meine Betrachtung für richtig befunden, so mag man sie benutzen: weiter verlange ich nichts. Ist sie unlogisch oder falsch, so braucht man sie nur zuverwerfen. Ich habe dann wenigstens meine Freude an ihrer Niederschrift gehabt.

Um von den jetzigen Vorgängen in Europa eine rechte Vorstellung zu bekommen, muß man die Dinge von einer höheren Warte betrachten und bis zur Quelle der Geschehnisse vordringen.

Am Schlusse des Feldzugs von 1735 begannen die Unterhandlungen zwischen den Höfen von Wien und Versailles1. Die Kriegsoperationen wurden eingestellt und die Interessen beider Höfe nicht mehr mit dem Degen, sondern mit der Feder verfochten. Spanien und Sardinien traten den Abmachungen nicht sofort bei. Es verdient betont zu werden, daß Spanien sie erst nach Chauvelins Sturz2 unterzeichnete.

Am Rhein wurde der Krieg mit viel weniger Nachdruck geführt als in Italien. Der Kaiser hatte den Reichsständen die Kriegserklärung gegen Frankreich, die sie 1734 in Regensburg erließen3, gewissermaßen abgepreßt. Die polnische Königswahl wurde durch die Truppen gestört, die an der schlesischen Grenze zum Einmarsch in Polen bereit standen. Das hatte eine Spaltung unter den Woywoden und Bischöfen hervorgerufen, wennschon die überwiegende Mehrzahl für Stanislaus Leszczynski eintrat. Diese Wirren gingen die deutschen Fürsten nicht das mindeste an. Der Kaiser hatte sich durch einen Geheimvertrag mit Sachsen und Rußland ziemlich leichtfertig verpflichtet, August III. auf den Thron des polnischen Wahlreichs zu setzen. Seine Minister hatten die Folgen dieses Schrittes wohl nicht recht vorausgesehen und trotz Prinz Eugens Warnung auf den friedlichen Charakter des Kadinal-Ministers4 gebaut. So wurde ihr Gebieter höchst unbedacht in eine Sache von derartiger Tragweite verstrickt. Er hatte sich mit Rußland allein, ohne Teilnahme des Reiches, in die polnischen Wirren eingemischt, hätte sich also auch allein aus ihnen herausziehen müssen.


1 Für den Polnischen Erbfolgekrieg und die Wiener Friedenspräliminarien vom 3. Oktober 1735 vgl. S. 152 ff.

2 Germain Louis de Chauvelin, der französische Großsiegelbewahrer, war ein Anhänger Spaniens. Sein Sturz erfolgte am 21. Februar 1737. Vgl. Bd. II, S. 24.

3 Vgl. S. 355.

4 Fleury.