<41>putieren und Streiten zu geben1. Bayle hat alle philosophischen Träume der Alten und Neueren mit scharfem und strengem Geiste geprüft und, wie Bellerophon in der Sage, die Chimäre vernichtet, die dem Hirn der Denker entsprang. Er hat nie die weise Lehre vergessen, die Aristoteles seinen Schülern einprägte: „Der Zweifel ist der Vater aller Weisheit.“ Er hat nie gesagt: „Ich will beweisen, daß dies oder jenes wahr oder falsch ist.“ Stets sieht man ihn getreulich dem Wege folgen, den Analyse und Synthese ihm weisen.

Sein Wörterbuch, dies schätzbare Denkmal unsres Zeitalters, war bisher in großen Bibliotheken vergraben. Der hohe Preis verbot den Gelehrten und den wenig begüterten Liebhabern der Wissenschaft seine Anschaffung. Wir nehmen diese Medaille aus ihrem Kabinett und prägen sie zu gangbarer Münze um. Ein Unbekannter veröffentlichte vor einigen Jahren einen „Esprit de Bayle“. Ihm scheint der Plan, den wir heute ausführen, vorgeschwebt zu haben, nur mit dem Unterschiede, daß er nicht alle philosophischen Artikel vereinigt und mehrere geschichtliche in seine Sammlung aufgenommen hat. In der vorliegenden Auswahl ist alles Geschichtliche fortgelassen, well Bayle sich in einigen Anekdoten und Tatsachen irrte, die er auf das Zeugnis schlechter Gewährsmänner hin erzählte, und weil man Geschichte ganz gewiß nicht in Wörterbüchern studieren soll.

Der Hauptzweck dieses Auszuges ist die allgemeinere Verbreitung von Bayles bewundernswerter Logik. Er ist ein Brevier des gesunden Menschenverstandes und die nützlichste Lektüre für Personen jedes Ranges und Standes. Denn es gibt für den Menschen kein wichtigeres Studium als die Bildung seiner Urteilskraft. Wir berufen uns auf alle, die etwas Weltkenntnis besitzen. Sie werden oft bemerkt haben, welche nichtigen und unzulänglichen Gründe das Motiv zu den wichtigsten Handlungen bilden.

Wir sind nicht so einfältig, zu wähnen, man brauche nur Bayle gelesen zu haben, um richtig zu denken. Wie billig, unterscheiden wir die Gaben, die die Natur den Menschen geschenkt oder versagt hat, von dem, was die Kunst an ihnen vervollkommnen kann. Aber ist es nicht schon etwas wert, wenn man den guten Köpfen Hilfsmittel liefert, die unmäßige Neugier der Jugend zügelt und den Dünkel der hochmütigen Leute demütigt, die so leicht dazu neigen, Systeme zu zimmern? Welcher Leser sagt, wenn er die Widerlegung der Systeme des Zeno und Epikur liest, nicht zu sich selbst: „Wie? Die größten Philosophen des Altertums, die zahlreichsten Sekten waren dem Irrtum unterworfen? Um wieviel mehr bin ich also in Gefahr, mich oft zu täuschen! Wie? Ein Bayle, der sein ganzes Leben lang mit philosophischen Disputen zugebracht hat, zog, aus Furcht, sich zu irren, so vorsichtig seine Schlüsse? Um wieviel mehr muß ich also mich hüten, voreilig zu urteilen!“ Nachdem man die Widerlegung so vieler menschlicher Meinungen gesehen hat — wie sollte man da nicht


1 Vgl. Bd. VII, S.75.239.