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Über die Gründe, Gesetze einzuführen oder abzuschaffen (1749)22-1

Man erwirbt sich genaue Kenntnis über die Gründe zur Einführung oder Abschaffung von Gesetzen nur aus der Geschichte. Sie zeigt uns, daß alle Völker ihre eignen Gesetze hatten, daß sie nach und nach eingeführt wurden und daß die Menschen stets viel Zeit brauchten, um zu etwas Vernünftigem zu gelangen. Wir sehen ferner, daß die Gesetze am längsten bestanden haben, deren Urheber auf das Gemeinwohl bedacht waren und den Geist des Volkes am besten kannten. Diese Betrachtung nötigt uns zu näherem Eingehen auf die Geschichte der Gesetze und die Art ihrer Einführung in den kultiviertesten Ländern. Wahrscheinlich waren die Familienhäupter die ersten Gesetzgeber. Das Bedürfnis, Ordnung in ihren Familien zu schaffen, veranlaßte sie ohne Zweifel, Hausgesetze zu geben. Nach diesen ersten Zeiten, als die Menschen sich in Städten anzusiedeln begannen, reichten die Gesetze der Hausgerichtsbarkeit für die zahlreichere Gesellschaft nicht mehr aus. Die Bosheit des menschlichen Herzens, die in der Einsamkeit abzusterben scheint, lebt in der Geisellschaft wieder auf. Der Umgang mit seinesgleichen, der die verwandten Charaktere zusammenführt, gibt den Tugendhaften Gefährten, aber auch den Lasterhaften Mitschuldige.

Die Ausschreitungen in den Städten nahmen zu. Neue Lasier entstanden, und die Familienhäupter, denen am meisten an ihrer Unterdrückung lag, schlössen sich ihrer Sicherheit halber zusammen, um ihnen entgegenzutreten. Man erließ daher Gesetze<23> und ernannte Obrigkeiten, die über ihre Befolgung zu wachen hatten. So groß ist die Verderbtheit des Menschenherzens, daß man uns durch die Macht der Gesetze zwingen muß, in Glück und Frieden zu leben!

Die ersten Gesetze wehrten nur den gröbsten Unzuträglichkeiten. Die bürgerlichen Gesetze regelten den Dienst der Götter, die Teilung des Ackerlandes, die Ehevertrage und die Erbfolge. Die Strafgesetze verfuhren nur gegen die Verbrechen streng, deren Wirkungen man am meisten fürchtete. Entstanden dann in der Folge neue Unzuträglichkeiten und Unordnungen, so wurden neue Gesetze geschaffen.

Aus dem Bund der Städte entstanden Republiken, deren Regierungsform sich bei der Wandelbarkeit aller menschlichen Dinge oft veränderte. Das Volk wurde der Demokratie überdrüssig und ging zur Aristokratie über, an deren Stelle dann sogar die monarchische Regierungsform trat: entweder so, daß das Volk zur hervorragenden Tugend eines Mitbürgers Vertrauen hatte, oder daß irgend ein Ehrgeiziger durch Ränke die Herrschermacht an sich riß. Nur wenige Staaten haben diese verschiedenen Regierungsformen nicht durchgemacht, aber alle hatten verschiedene Gesetze.

Osiris23-1 ist der erste Gesetzgeber, den die Weltgeschichte erwähnt. Er war König von Ägypten und führte dort seine Gesetze ein, denen nicht nur die Untertanen, sondern auch die Herrscher selbst unterworfen waren. Die Könige erwarben sich nur so weit die Liebe des Volkes, als sie nach diesen Gesetzen regierten. Osiris (einige Schriftsieller nennen daneben auch Isis) setzte dreißig Richter ein. Ihr Oberhaupt trug an einer goldenen Halskette das Bild der Wahrheit. Wen er damit berührte, der hatte seine Sache gewonnen. (Herodot, Diodor.) Osiris regelte den Götterdiensi, die Teilung des Ackerlandes und den Unterschied der Stände. Er verbot die Schuldhaft und verbannte alle Verführungstünsie der Rhetorik aus den Gerichten. Die Ägypter verpfändeten ihren Gläubigern die Leichen ihrer Eltern, und der Schuldner, der sie vor seinem Tode nicht wiedereinlösie, galt für ehrlos. Der Gesetzgeber glaubte, es sei nicht genug, die Menschen bei Lebzeiten zu bestrafen. Er richtete auch Totengerichte ein, damit die Schande, die sich an ihre Verurteilung heftete, den Lebenden ein Ansporn zur Tugend würde.

Nächst den Gesetzen der Ägypter sind die der Kreter die ältesten. Ihr Gesetzgeber, Minos, gab sich für einen Sohn Jupiters aus und behauptete, seine Gesetze von seinem Vater empfangen zu haben, um ihnen mehr Ansehen zu verschassen.

Lykurg, König von Sparta, benutzte die Gesetze des Minos und fügte einige des Osiris hinzu, die er auf einer Reise nach Ägypten gesammelt hatte. (Plutarch.) Er verbannte Gold und Silber und alle Münzen, sowie alle nutzlosen Künste aus seinem Lande und verteilte die Äcker gleichmäßig unter die Bürger. (Plutarch.) Lykurg wollte Krieger heranbilden, deren Mut durch keine Art von Leidenschaft entnervt werden sollte. Daher gestattete er den Bürgern die Weibergemeinschaft. Auf diese Weise<24> wurde der Staat bevölkert, ohne daß der einzelne von den süßen Banden einer zärtlichen Ehe allzusehr gefesselt wurde. Alle Kinder wurden auf Staatskosten erzogen. Konnten die Eltern nachweisen, daß ihre Kinder bei der Geburt schwächlich waren, so durften sie sie töten. Lykurg dachte, ein Mensch, der nicht imstande sei, die Waffen zu führen, verdiene auch nicht das Leben. Er bestimmte, daß die Heloten, eine Art von Sklaven, das Land bebauen und daß die Spartaner sich nur mit Übungen beschäftigen sollten, die sie kriegstüchtig machten. Die Jugend beiderlei Geschlechts übte sich ganz nackt auf öffentlichen Plätzen im Ringen. Die Mahlzeiten waren geregelt. Alle Bürger aßen ohne Unterschied miteinander. Fremde durften sich in Sparta nicht aufhalten, damit ihre Sitten die von Lykurg eingeführten nicht verdarben. Nur ungeschickte Diebe wurden bestraft. Lykurg wollte eine kriegerische Republik gründen, und das gelang ihm.

Drako gab den Athenern zuerst Gesetze. Sie waren aber so streng, daß man von ihnen sagte, sie wären eher mit Blut als mit Tinte geschrieben. (Plutarch, „Leben Solons“.) Auf die geringsten Vergehen stand Todesstrafe. Ja, Drako machte sogar den leblosen Dingen den Prozeß. So ward eine Bildsäule, die im Herunterfallen einen Menschen verletzt hatte, aus der Stadt verbannt.

Wir haben gesehen, wie die Gesetze in Ägypten und Sparta eingeführt wurden. Jetzt wollen wir prüfen, wie man sie in Athen verbesserte. Die Mißstände, die in Attika herrschten, und die schlimmen Folgen, die man vorhersah, veranlaßten die Bürger, ihre Zuflucht zu einem Weisen zu nehmen, der allein so vielen Mißbräuchen abhelfen tonnte. Die verschuldeten Armen, die von den Reichen grausam bedrückt wurden, suchten nach einem Oberhaupte, das sie von der Tyrannei ihrer Gläubiger befreite. Infolge dieser inneren Zwistigkeiten ward Solon einstimmig zum Archonten und höchsten Schiedsrichter ernannt. Die Reichen, sagt Plutarch, hießen ihn als reichen und die Armen als rechtschaffenen Mann willkommen.

Solon entlastete die Schuldner und erlaubte den Bürgern, Testamente zu errichten. Die Frauen, die impotente Männer hatten, durften sich unter deren Verwandten andre wählen. Seine Gesetze bestraften den Müßiggang, sprachen den, der einen Ehebrecher erschlug, frei und verboten, die Vormundschaft über Kinder deren nächsten Erben zu übertragen. Wer einem Einäugigen sein Auge ausgestoßen hatte, verlor beide Augen. Sittenlose wagten in den Volksversammlungen nicht zu reden. Gegen den Vatermord gab Solon keine Gesetze. Dies Verbrechen erschien ihm unserhört, und er fürchtete, es durch ein Verbot eher zu lehren als zu verhindern.

Seine Gesetze ließ er im Areopag niederlegen. Dieser von Ketrops gestiftete Rat, der anfangs aus dreißig Richtern bestanden hatte, wurde auf fünfhundert gebracht. Er hielt seine Sitzungen bei Nacht, und die Advokaten verfochten ihre Rechtshändel rein sachlich. Sie durften die Leidenschaften nicht aufstacheln.

Die Gesetze Athens kamen dann nach Rom. Da aber das Römische Reich allen Völkern, die es unterwarf, seine Gesetze gab, so wird es nötig sein, näher darauf einzugehen. Der Gründer und erste Gesetzgeber Roms war Romulus. Das wenige,<25> was wir von seinen Gesetzen wissen, ist folgendes25-1: Romulus bestimmte, daß die Könige in Rechts- und Glaubenssachen unumschränkte Gewalt haben sollten. Die Fabeln, die von den Göttern erzählt wurden, sollte man nicht glauben, sondern fromm und heilig von ihnen denken und diesen seligen Wesen nichts Entehrendes zuschreiben. Plutarch setzt hinzu: weil die Annahme, die Götter könnten an den Reizen einer sterblichen Schönheit Gefallen finden, eine Gottlosigkeit sei. So wenig abergläubisch der König aber auch war, so befahl er doch, ohne vorherige Befragung der Auguren nichts zu unternehmen.

Romulus setzte die Patrizier in den Senat und teilte das Volk in Tribus. Die Sklaven rechnete er in seiner Republik für nichts. Die Ehemänner hatten das Recht, ihre Weiber mit dem Tode zu bestrafen, wenn sie sie beim Ehebruch oder im Rausche betrafen. Den Vätern gab er unumschränkte Gewalt über ihre Kinder. Sie durften sie töten, wenn sie mißgestaltet zur Welt kamen. Vatermörder wurden mit dem Tode bestraft. Ein Patron, der seinen Klienten betrog, wurde verabscheut. Eine Schwiegertochter, die ihren Schwiegervater schlug, überließ man der Rache der Hausgötter. Die Mauern der Städte wurden für heilig erklärt. Romulus tötete seinen eignen Bruder Remus, weil er das Gesetz durch einen Sprung über die Mauern der von ihm gegründeten Stadt übertreten hatte. Er errichtete Freistätten, deren eine am Tarpejischen Fels lag.

Numa vermehrte die Gesetze des Romulus. (Plutarch, „Leben Numas“.) Da er sehr fromm und von tiefer Religiosität war, so verbot er, die Götter in Menschenoder Tiergestalt darzustellen. Daher kam es, daß es in den ersten 160 Jahren nach der Gründung Roms keine Götterbilder in den Tempeln gab.

Um die Bürger zur Vermehrung des Geschlechts aufzumuntern, bestimmte Tullus Hostilius: wenn eine Frau Drillinge zur Welt brächte, sollten sie bis zur Großjährigkeit auf Staatskosten erzogen werden. (Danet, Dictionnaire des Antiquitès.)

Unter den Gesetzen des Tarquinius Priscus heben wir hervor, daß jeder Bürger dem König ein Verzeichnis seiner Güter geben mußte und bestraft wurde, wenn er es unterließ. Ferner bestimmte Tarquinius die Opfer, die jeder in den Tempeln darzubringen hatte, und gestattete, die Freigelassenen in die städtischen Tribus aufzunehmen. Die Gesetze dieses Königs brachten auch den Schuldnern Erleichterung.

Das sind die wichtigsten Gesetze, die die Römer von ihren Königen erhielten. Sie wurden von Sertus Papirius gesammelt und nach ihm Codex Papirianus genannt. Die meisten wurden, da sie für einen monarchischen Staat bestimmt waren, bei der Vertreibung der Könige abgeschafft.

Valerius Publicola, der Mitkonsul des Brutus, eines der Werkzeuge der römischen Freiheit, war dem Volke gewogen. Er gab neue Gesetze, die sich der eben begründeten Regierungsform anpaßten. Diese Gesetze gestatteten gegen die Urteile der<26> Richter die Berufung ans Volk. Die Annahme von Ämtern ohne Zustimmung des Volkes war bei Todesstrafe verboten. Publicola verminderte die Auflagen und erlaubte die Ermordung der Bürger, die nach der Alleinherrschaft strebten.

Erst nach ihm kamen die Wucherzinsen auf, die von den Großen Roms bis auf acht Prozent getrieben wurden. (Livius, Buch II; Tacitus, „Annalen“.) Konnte der Schuldner nicht bezahlen, so ward er ins Gefängnis geworfen und kam mit seiner ganzen Familie in die Sklaverei. Dies harte Gesetz erschien den Plebejern, die oft seine Opfer wurden, unerträglich. Sie murrten gegen die Konsuln, aber der Senat blieb unerbittlich, und das aufgebrachte Volk wanderte auf den Heiligen Berg aus. Hier unterhandelte es mit dem Senat wie mit seinesgleichen und kehrte nur unter der Bedingung nach Rom zurück, daß seine Schulden getilgt und Tribunen eingesetzt würden, die seine Rechte vertraten. Die Tribunen setzten die Zinsen auf vier Prozent herab, und schließlich wurden sie für einige Zeit ganz abgeschafft.

Jeder der beiden Stände, die die römische Republik bildeten, schmiedete immerfort ehrgeizige Pläne, um sich auf Kosten des andren zu erheben. Daraus entstand Mißtrauen und Eifersucht. Einige Aufrührer schmeichelten dem Volke, indem sie seine Forderungen noch steigerten, und durch einige junge Senatoren von hitziger Gemütsart und großem Stolze fielen die Beschlüsse des Senats oft zu streng aus. Die Lex agraria über die Verteilung der eroberten Gebiete erregte in der Republik mehr als einmal Zwistigkeiten, so im Jahre 267 nach der Gründung Roms. Der Senat schuf zwar eine Ablenkung durch einige Kriege, aber der Zwist erwachte immer aufs neue und währte bis zum Jahre 300.

Endlich sah Rom die Notwendigkeit ein, seine Zuflucht zu Gesetzen zu nehmen, die beide Teile befriedigten. Nun wurden Spurius Posthumius Albus, Aulus Man, lius und Publius Sulpicius Camerinus nach Athen geschickt, um Solons Gesetze zu sammeln. Nach ihrer Rückkehr wurden sie unter die Dezemvirn aufgenommen. Sie verfaßten die Gesetze, die dann durch Senatsbeschluß und durch Volksabstimmung bestätigt wurden. Man ließ sie auf zehn eherne Tafeln eingraben, zu denen im folgenden Jahre noch zwei Tafeln traten. So entstand die unter dem Namen der Zwölf Tafeln bekannte Gesetzsammlung. (Livius, III., 31.)

Diese Gesetze beschränkten die väterliche Gewalt, straften die Vormünder, die ihre Mündel betrogen, und erlaubten jedem die beliebige Vererbung seines Vermögens. Später bestimmten die Triumvirn, daß die Erblasser den vierten Teil ihres Vermögens ihren natürlichen Erben hinterlassen sollten: das ist der Ursprung des sogenannten Pflichtteils26-1. Kinder, die innerhalb von zehn Monaten nach dem Tode ihres Vaters zur Welt kamen, sollten noch für eheliche Kinder gelten, ein Privileg, das Kaiser Hadrian später bis auf den elften Monat ausdehnte.

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Die den Römern bisher unbekannte Ehescheidung wurde erst durch die Zwölf Tafeln gesetzlich. Auch wurden Strafen für tätliche, wörtliche und schriftliche Beleidigungen festgesetzt. Schon die bloße Absicht des Vatermordes wurde mit dem Tode bestraft. Die Bürger durften bewaffnete Diebe oder solche, die des Nachts in ihre Häuser ein, brachen, töten. Jeder falsche Zeuge sollte vom Tarpejischen Fels herabgestürzt werden. In Kriminalsachen hatte der Ankläger zwei Tage Frist zur Erhebung seiner Amklage und der Beklagte drei Tage zu seiner Verteidigung. (Der Angeklagte erschien als Bittflehender vor dem Richter mit seinen Verwandten und Klienten.) Fand es sich, daß der Ankläger den Beklagten verleumdet hatte, so traf ihn die gleiche Strafe, als ob er das Verbrechen, dessen er den andren zieh, selbst begangen hatte.

Das ist im wesentlichen der Inhalt der Zwölf Tafeln, die Tacitus das Ideal guter Gesetze nennt. Ägypten und Griechenland trugen mit dem Vollkommensten, was man dort kannte, zu ihnen bei. Diese gerechten und billigen Gesetze beschränkten die Freiheit der Bürger nur im Falle des Mißbrauchs, wenn sie der Ruhe der Familien oder der Sicherheit der Republik schadete.

Die Macht des Senats, die der des Volkes stets entgegenstand, der maßlose Ehrgeiz der Großen, die täglich wachsenden Ansprüche der Plebejer und viele andre Ur, fachen, die eigentlich in die Geschichte gehören, führten neue heftige Stürme herbei. Die Gracchen und Saturninus erließen einige revolutionäre Gesetze. Während der Wirren der Bürgerkriege entstand eine ganze Reihe von Bestimmungen, die die Er, eignisse wieder fortschwemmten. Sulla hob die alten Gesetze auf und führte andre ein, die Lepidus wieder abschaffte. Die Sittenverderbnis, die bei diesen inneren Zwistigkeiten immer mehr zunahm, führte zur unendlichen Vermehrung der Gesetze. Pompejus, der sie verbessern sollte, gab einige, die aber mit ihm untergingen. Während der fünfundzwanzig Jahre der Bürgerkriege gab es weder Recht noch Brauch noch Gerechtigkeit. In dieser Verwirrung blieb alles bis zur Regierung des Augustus, der in seinem sechsten Konsulat die alten Gesetze wiederherstellte und alle aufhob, die während der Unruhen in der Republik entstanden waren.

Endlich half Kaiser Justinian der Verwirrung ab, die durch die Menge der Gesetze in die Rechtsprechung gekommen war. Er ließ durch seinen Kanzler Tribonian ein vollständiges Corpus juris ausarbeiten. Tribonian brachte es in die drei Bände, die wir noch heute haben: die Digesten, eine Sammlung der Meinungen der berühmtesten Rechtsgelehrten, den Codex, der die Verordnungen der Kaiser enthält, und die Institutionen, die einen Abriß des römischen Rechts bilden. Diese Gesetze wurden für so trefflich befunden, daß sie nach dem Untergang des Römischen Reiches von den kultiviertesten Völkern übernommen wurden und die Grundlage ihrer Rechtsgelehr, samkeit bildeten.

Die Römer hatten ihre Gesetze in die von ihnen eroberten Länder mitgebracht. Die Gallier nahmen sie an, als Cäsar sie unterjochte und ihr Land zur römischen Provinz machte.

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Im fünften Jahrhundert, als das römische Weltreich zerfiel, überschwemmten die nordischen Völker einen Teil Europas. Die Gallier wurden von den Westgoten, Burgundern und Franken unterjocht. Diese Barbarenvölker führten bei den Unterworfenen ihre Gesetze und Bräuche ein.

Chlodwig glaubte seinen neuen Untertanen eine Gnade zu erweisen, indem er ihnen die Wahl zwischen den Gesetzen der Sieger und der Besiegten ließ. Er erließ das Salische Gesetz (487, nach Daniel, Histoire de France). Von seinen Nachfolgern wurden oft neue Gesetze gegeben. Gundobald, König von Burgund, erließ eine Verordnung, worin er denen, die sich nicht mit dem Eide begnügten, den Zweikampf gestattete. (Hénault, „Abrégé chronologique“.)

Ursprünglich hatten die Grundherren die höchste Gerichtsbarkeit. Gegen ihren Spruch gab es keine Berufung. Unter der Regierung Ludwigs des Dicken ward in Frankreich die oberste Gerichtsbarkeit der Könige eingeführt. Später sehen wir Karl IX. bestrebt, die Justiz zu reformieren und das Verfahren abzukürzen, wie aus der Verordnung von Moulins hervorgeht. (De Thou, Histoire universelle depuis 1543 jusqu'en 1607.) Bemerkenswert ist, daß so weise Gesetze in so unruhiger Zeit erlassen wurden. Aber wie der Präsident Henault sagt, wachte der Kanzler L'hôpital über das Wohl des Vaterlandes. Endlich ließ Ludwig XIV. alle Gesetze von Chlodwig bis auf seine Zeit sammeln. Diese Sammlung wurde der Codex Ludovicianus genannt.

Die Briten, die wie die Gallier von den Römern unterworfen wurden, erhielten gleichfalls die Gesetze ihrer Überwinder. Vor ihrer Unterjochung waren diese Völker von Druiden regiert worden, deren Lehren Gesetzeskraft hatten. (Rapin-Thoyras, Histoire d'Angleterre. Einleitung.) Die Familienhäupter hatten Recht über Leben und Tod ihrer Frauen und Kinder. Aller Verkehr mit dem Ausland war verboten. Die Kriegsgefangenen wurden ermordet und den Göttern geopfert.

Die Römer behaupteten ihre Macht und ihre Gesetze in Britannien bis zur Zeit des Honorius, der den Briten im Jahre 410 durch feierlichen Akt ihre Freiheit wiedergab. Nun griffen die Pikten, ein aus Mecklenburg stammendes Volt, sie im Verein mit den Schotten an. Die Briten, von den Römern nur schwach unterstützt und von ihren Feinden stets besiegt, wandten sich um Hilfe an die Sachsen. Diese unterjochten die ganze Insel nach hundertfünfzigjährigen Kriegen und wurden aus den Bundesgenossen der Briten zu ihren Herren.

Die Angelsachsen führten in Britannien die Gesetze ein, die ehedem in Deutschland bestanden. Sie teilten England in sieben Königreiche, deren jedes besonders regiert wurde. Sie hatten sämtlich allgemeine Versammlungen, die aus den Großen, dem Volk und den Bauern bestanden. (Sie hießen Vitena gernôt oder Rat der Weisen.) Dies Gemisch von monarchischer, aristokratischer und demokratischer Regierung hat sich bis auf die Gegenwart erhalten. Noch heute ist die höchste Gewalt zwischen dem König und den beiden Parlamentshäusern geteilt.

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Alfred der Große gab England die erste Gesetzsammlung. So mild diese Gesetze auch waren, der König war unerbittlich gegen die Beamten, die sich hatten bestechen lassen. Die Geschichte berichtet, er habe in einem Jahre vierundvierzig pflichtvergessene Richter hängen lassen. Nach dem Gesetzbuch Alfreds des Großen (890,Rapin-Thoyras) muß jeder Engländer, der eines Verbrechens angeklagt ist, von seinesgleichen gerichtet werden. Dies Vorrecht hat die Nation noch heute.

Eine neue Gestalt erhielt England, als Wilhelm, Herzog der Normandie, das Land eroberte (1066). Er setzte neue oberste Gerichtshöfe ein, deren einer, der des Erchequer, noch besieht. Diese Gerichtshöfe folgten dem König allenthalben. Er trennte die geistliche Gerichtsbarkeit von der weltlichen. Seine Gesetze waren in normannischer Sprache verfaßt. Das strengste richtete sich gegen das Wildern, auf das Verstümmelung, ja Tod stand.

Die Nachfolger Wilhelms des Eroberers gaben verschiedene Charters. Heinrich I., genannt Beauclerc, gestattete (II00) den Adligen, ihr Erbe ohne Erbschaftssteuer anzutreten. Ja er erlaubte dem Adel, ohne seine Einwilligung zu heiraten. Im Jahre 1136 erklärte König Stephan in einer Charter, seine Macht vom Volk und von der Geistlichkeit zu haben. Er bestätigte die Vorrechte der Kirche und schaffte die strengen Gesetze Wilhelms des Eroberers ab.

Dann gab Johann ohne Land seinen Untertanen die sogenannte Magna (Charta (1215), die aus 62 Artikeln besieht. (Rapin-Thoyras, Buch VIII.) Die Hauptartikel regeln das Lehnswesen und das Erbteil der Witwen. Verboten wird, die Witwen zu einer zweiten Ehe zu zwingen. Sie müssen sich aber durch Bürgschaft verpflichten, ohne Erlaubnis ihres Lehnsherrn nicht wieder zu heiraten. Die Magna Charta weist den Gerichtshöfen ständige Sitze an und verbietet dem Parlament die Erhebung von Auflagen ohne Zustimmung der Gemeinden, außer wenn der König loszukaufen, sein Sohn zum Ritter zu schlagen oder seine Tochter auszustatten ist. Sie verbietet irgend jemand ins Gefängnis zu werfen, ihn seiner Güter zu berauben oder hinzurichten, ohne daß seinesgleichen ihn nach den Landesgesetzen gerichtet haben. Auch verpflichtet sich der König, niemandem die Gerechtigkeit zu verkaufen noch zu verweigern.

Die Westminstergesetze, die Eduard I. erließ (1274), waren nur eine Erneuerung der Magna Charta, außer daß er den Kirchen und Klöstern den Erwerb von Gütern verbot und die Juden des Landes verwies.

England hat zwar viele weise Gesetze, aber sie werden vielleicht in keinem Lande Europas weniger befolgt. Wie Rapin-Thoyras sehr richtig bemerkt, hat die Reglerungsform den Fehler, daß die Königsgewalt im Parlament stets einen Gegner hat. Beide Teile beobachten einander, um ihre Autorität zu wahren oder zu erweitern. Das aber hindert sowohl den König wie die Volksvertretung, gehörig für die Aufrechterhaltung der Rechtspflege zu sorgen. Diese unruhige, stürmische Regierung ändert in einem fort die Gesetze durch Parlamentsakte, wie gerade die Umstände und Ereig<30>nisse es erfordern. Daraus folgt, daß England mehr als jeder andre Staat der Reform seiner Rechtsverhältnisse bedarf.

Wir haben nun noch ein paar Worte von Deutschlands sagen. Als die Römer unser Land eroberten, erhielten wir römisches Recht und behielten es auch, da die Kaiser Italien verließen und den Sitz ihres Reichs nach Deutschland verlegten. Trotzdem gibt es keinen Kreis, kein Fürstentum, so klein es auch sei, wo nicht irgend ein Gewohnheitsrecht herrschte. Diese Rechte haben mit der Zeit Gesetzeskraft erlangt.

Nachdem wir gezeigt haben, wie die Gesetze bei den meisten kultivierten Völkern zur Einführung gelangten, wollen wir noch bemerken, daß sie überall, wo sie unter Zustimmung der Bürger eingeführt wurden, von der Notwendigkeit diktiert worden sind. In den eroberten Ländern dagegen gaben die Sieger den Besiegten ihre Gesetze. Überall aber wurden sie in gleicher Weise nach und nach vermehrt. Erstaunt man auf den ersten Blick, daß die Völker nach so verschiedenen Gesetzen regiert werden können, so legt sich doch die Verwunderung, wenn man erkennt, daß die Gesetze dem Wesen nach einander fast gleichen: ich meine die Strafgesetze zum Schutz der Gesellschaft.

Untersuchen wir das Verfahren der weisesten Gesetzgeber, so sehen wir ferner, daß die Gesetze der Regierungsform und dem Geiste des Volkes, für das sie bestimmt sind, angepaßt sein müssen, daß die besten Gesetzgeber das Gemeinwohl im Auge hatten und daß im großen und ganzen, einige Ausnahmen abgerechnet, die Gesetze die besten sind, die der natürlichen Billigkeit am nächsten kommen.

Lykurg, der einem ehrgeizigen Volk vorstand, gab ihm Gesetze, die es eher zu Kriegern als zu Bürgern erzogen. Er verbannte das Gold aus seiner Republik, weil die Gewinnsucht von allen Lastern der Ruhmbegierde am stärksten entgegensieht.

Solon sagte selbst, er habe den Athenern nicht die vollkommensten Gesetze gegeben, sondern die besten, die sie vertragen könnten. (Plutarch, „Leben Solons“.) Er zog nicht nur den Geist des Volkes, sondern auch die Lage Athens am Meer in Betracht. Deshalb setzte er Strafen auf Müßiggang, ermunterte den Gewerbfieiß und verbot Gold und Silber nicht, weil er voraussah, daß sein Freistaat nur durch blühenden Handel groß und mächtig werden könnte.

Die Gesetze müssen zum Geiste der Nation passen oder man darf nicht auf ihre Dauer hoffen. Das römische Volk verlangte eine Demokratie und haßte alles, was diese Regierungsform ändern konnte. Daher entstand so mancher Aufruhr, um die Lex Agraria durchzusetzen; denn das Volk hoffte, durch die Verteilung des Grundbesitzes würde wieder eine Art von Gleichheit in den Wohlstand der Bürger gebracht werden. Daher auch die häufigen Aufstände wegen der Schuldentilgung; denn die Gläubiger, die römischen Patrizier, behandelten ihre Schuldner, die Plebejer, unmenschlich. Nichts aber macht den Unterschied der Stände verhaßter als Tyrannei, die die Reichen ungestraft gegen die Armen ausüben.

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In allen Ländern gibt es drei Arten von Gesetzen: erstens das Staatsrecht, das die Regierungsform bestimmt, zweitens das Strafrecht, das die Sitten betrifft und Verbrechen bestraft, drittens das Zivilrecht, das die Erbschaften, Vormundschaften, Zinsen und Kontrakte regelt.

Die Gesetzgeber der Monarchien sind gewöhnlich die Fürsien selbst. Sind ihre Gesetze mild und gerecht, so erhalten sie sich von selber, da jeder Bürger seinen Vorteil dabei findet. Sind sie aber hart und tyrannisch, so werden sie bald abgeschafft, weil man sie mit Gewalt aufrechterhalten muß und der Tyrann allein gegen ein ganzes Volk sieht, das nichts so sehr wünscht, als sie zu beseitigen.

In mehreren Republiken, wo die Gesetzgeber Bürger waren, hielten sich die Staatsgesetze nur dann, wenn sie ein richtiges Gleichgewicht zwischen der Macht der Regierung und der Freiheit der Bürger schufen.

Nur bei den Sittengesetzen befolgen die Gesetzgeber im allgemeinen den gleichen Grundsatz, jedoch mit der Ausnahme, daß sie gegen dies oder jenes Verbrechen bald mehr, bald weniger sireng sind, jedenfalls weil sie wissen, zu welchen Lastern ihr Volk am meisten neigt. Die Sittengesetze sind Dämme, die man dem Lasier entgegensetzt. Man muß ihnen also durch Furcht vor Strafe Respekt verschaffen. Aber es trifft doch zu, daß die Gesetzgeber, die am wenigsten harte Strafen verhängen, immerhin der Menschlichkeit ihren Tribut zollen.

Die bürgerlichen Gesetze zeigen die größte Mannigfaltigkeit. Bei ihrer Einführung fanden die Gesetzgeber gewisse, allgemein bestehende Gebräuche und wagten sie nicht abzuschaffen, um die Vorurteile des Volkes nicht zu verletzen. Sie ehrten das Herkommen, kraft dessen man sie für gut hielt, und ließen sie, auch wenn sie unbillig waren, lediglich ihres Alters wegen bestehen.

Wer sich die Mühe gibt, die Gesetze mit philosophischem Blick zu studieren, der wird jedenfalls viele finden, die der natürlichen Billigkeit auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen. Und doch ist das nicht der Fall. Ich begnüge mich mit einem Beispiel: dem Erstgeburtsrecht. Nichts scheint billiger, als die Hinterlassenschaft des Vaters gleichmäßig unter alle seine Kinder zu verteilen. Gleichwohl lehrt die Erfahrung, daß die reichsten Familien trotz des größten Besitzes mit der Zeit verarmen, wenn dieser in viele Teile zerfällt. Daher haben die Väter lieber ihre jüngeren Söhne enterbt, als ihre Familien dem sicheren Verfall geweiht. Ebenso sind Gesetze, die einigen Privatleuten hart und lästig erscheinen, doch nicht minder weise, sobald sie auf den Vorteil der Gesellschaft abzielen. Der Gesamtheit wird ein aufgeklärter Gesetzgeber stets die einzelnen aufopfern.

Die Schuldgesetzgebung erfordert zweifellos die meiste Vorsicht und Klugheit. Werden die Gläubiger begünstigt, so kommen die Schuldner in eine zu üble Lage, und ein unglücklicher Zufall kann ihre Wohlfahrt auf immer zugrunde richten. Sind hingegen die Schuldgesetze für diese vorteilhaft, so schädigen sie das öffentliche Vertrauen und heben die Verträge auf, die sich auf Ehrlichkeit gründen. Die rechte Mittelstraße<32> ergibt sich, wenn man zwar die Gültigkeit der Verträge aufrechterhält, aber die zahlungsunfähigen Schuldner nicht zu sehr drückt: das scheint mir in der Rechtspflege der Stein der Weisen. Indessen wollen wir auf diesen Gegenstand nicht weiter eingehen, da die Art unsres Aufsatzes keine größere Ausführlichkeit gestattet. Wir begnügen uns mit allgemeinen Betrachtungen.

Ein vollkommenes Gesetzbuch wäre das Meisterstück des menschlichen Verstandes im Bereiche der Regierungskunst. Man müßte darin Einheit des Planes und so genaue und abgemessene Bestimmungen finden, daß ein nach ihnen regierter Staat einem Uhrwerke gliche, in dem alle Triebfedern nur einen Zweck haben. Man fände darin ferner tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens und des Nationalcharakters. Die Strafen wären mäßig, sodaß sie die guten Sitten erhielten, ohne zu streng noch zu milde zu sein. Die einzelnen Bestimmungen müßten so klar und genau sein, daß jeder Streit um die Auslegung ausgeschlossen wäre. Sie würden in einer erlesenen Auswahl des Besten bestehen, was die bürgerlichen Gesetze ausgesprochen haben, und in einfacher und sinnreicher Weise den heimischen Gebräuchen angepaßt sein. Alles wäre vorausgesehen, alles in Einklang gebracht, nichts würde zu Unzuträglichkeiten führen. Aber das Vollkommene liegt außerhalb der menschlichen Sphäre.

Die Völker könnten schon zufrieden sein, wenn die Gesetzgeber die Gesinnungen jener FamUienhäupter teilten, die zuerst Gesetze gaben. Die liebten ihre Kinder, und die Vorschriften, die sie ihnen gaben, bezweckten nur das Wohl der Ihren.

Wenige, aber weise Gesetze machen ein Volk glücklich; viele verwirren das Recht. Wie ein guter Arzt seine Kranken nicht mit Arzneien überlädt, so soll auch ein geschickter Gesetzgeber das Volk nicht mit überflüssigen Gesetzen beschweren. Zu viele Arzneien schaden einander und heben sich in ihren Wirkungen gegenseitig auf. Zu viele Gesetze sind wie ein Labyrinth, in dem die Rechtsgelehrten und die Justiz sich verirren.

Bei den Römern entstanden zahlreiche Gesetze, als die Revolutionen häufig wurden. Jeder Ehrgeizige, der zur Macht gelangte, warf sich zum Gesetzgeber auf. Dieser Rechtswirrwarr dauerte, wie gesagt, bis zur Zeit des Augustus, der alle ungerechten Verordnungen aufhob und die alten Gesetze wieder in Kraft setzte.

In Frankreich vermehrten sich die Gesetze, als die Franken das Land eroberten und ihre Rechtsbräuche mitbrachten. Ludwig IX. wollte alle diese Gesetze vereinigen und, wie er selbst sagte, in seinem Reich ein Gesetz, ein Gewicht und ein Maß einführen.

An manchen Gesetzen hängen die Menschen bloß, well sie meist Gewohnheitstiere sind. Obwohl man bessere einführen könnte, wäre es vielleicht doch gefährlich, sie anzutasten. Die Verwirrung, die eine solche Reform in der Justiz anrichten würde, schadete vielleicht mehr, als die neuen Gesetze nützten. Immerhin gibt es Fälle, wo die Verbesserung ein Gebot der Notwendigkeit scheint, nämlich wenn die Gesetze dem öffentlichen Wohl und der natürlichen Billigkeit zuwiderlaufen, wenn sie in dunklen<uc_13><33> und unbestimmten Ausdrücken gefaßt sind und schließlich, wenn sie im Sinn oder Ausdruck Widersprüche enthalten. Auf diesen Punkt wollen wir etwas näher ein, gehen.

Die Gesetze des Osiris zum Beispiel gehören zur ersten Kategorie. Nach ihnen mußte, wer das Diebshandwerk ergreifen wollte, sich bei seinem Hauptmann einschreiben lassen und ihm alles Geraubte sofort abgeben. Die Bestohlenen gingen dann zu dem Hauptmann der Diebsbande, um ihr Eigentum zurückzufordern, und erhielten es auch, wenn sie den vierten Teil des Wertes erlegten. (Diodor.) Auf diese Weise glaubte der Gesetzgeber den Bürgern ein Mittel zu geben, um gegen geringen Tribut das Ihrige wiederzuerlangen. Aber das war ein Mittel, alle Ägypter zu Dieben zu machen. Daran dachte Osiris gewiß nicht, als er sein Gesetz gab. Man müßte denn behaupten, er habe den Diebstahl als ein nicht zu verhinderndes Übel angesehen, ebenso wie die Regierung in Amsterdam die Speelhuysen duldet und die in Rom privilegierte Freudenhäuser. Aber die guten Sitten und die öffentliche Sicherheit würden erfordern, daß man das Gesetz des Osiris abschaffte, wenn es unglücklicherweise irgendwo bestände.

Die Franzosen sind darin das Gegenteil der Ägypter. Wo diese zu milde waren, sind sie zu streng, ja von grausamer Härte, da sie alle Hausdiebe mit dem Tode bestrafen. Zu ihrer Rechtfertigung sagen sie, durch sirenge Bestrafung der Beutelschneider rotte man den Samen der Räuber und Mörder aus.

Die natürliche Billigkeit verlangt ein rechtes Verhältnis zwischen Verbrechen und Strafe. Diebstähle unter erschwerenden Umständen verdienen den Tod. Bei solchen, die keinen gewalttätigen Charakter besitzen, kann man Mitleid mit dem Täter haben. Zwischen dem Schicksal eines Reichen und eines Armen gähnt eine Kluft. Jener strotzt von Gütern und schwimmt im Überfluß. Dieser ist vom Glück verlassen und entbehrt selbst das Nötigste. Wenn nun ein Unglücklicher, um sein Leben zu fristen, ein paar Goldstücke, eine goldne Uhr oder ähnliche Kleinigkeiten einem Manne entwendet, der bei seinem Reichtum den Verlust garnicht merkt, muß dieser Unglückliche dafür mit dem Tode büßen? Ist es nicht ein Gebot der Menschlichkeit, eine so übertriebene Strafe zu mildern? Offenbar haben die Reichen jenes Gesetz gemacht. Hätten nun die Armen nicht das Recht, zu sagen: „Warum erbarmt man sich nicht unsres kläglichen Loses? Wäret ihr mitleidig und menschlich, so stündet ihr uns in unserm Elend bei, und wir würden euch nicht bestehlen. Sagt selbst: ist es wohl billig, daß alles Glück in der Welt nur für euch da ist und daß alles Unglück uns niederdrückt?“

Die preußische Gesetzgebung hat den rechten Mittelweg zwischen der Nachsicht der Ägypter und der Strenge der Franzosen gefunden. Sie bestraft einfachen Diebstahl nicht mit dem Tode und begnügt sich, den Schuldigen für einige Zeit ins Gefängnis zu setzen. Vielleicht aber wäre es noch besser, das jüdische Vergeltungsrecht33-1 wieder ein<34>zuführen, wonach der Dieb dem Bestohlenen den doppelten Wert des Geraubten ersetzen oder sich ihm als Leibeigner übergeben mußte. Begnügt man sich, leichte Vergehen mit gelinden Strafen zu belegen, so bleibt die Todesstrafe für Räuber, Mörder und Totschläger aufgespart, und die Strafen stehen im Verhältnis zum Verbrechen.

Kein Gesetz empört die Menschlichkeit mehr als das Recht über Leben und Tod, das die Väter in Sparta und Rom über ihre Kinder hatten. In Griechenland brachte ein Vater, der zu arm war, um die Bedürfnisse einer zahlreichen Familie zu bestreiten, die Überzahl seiner Kinder ums Leben. Kam in Rom und Sparta ein mißgestaltetes Kind zur Welt, so war der Vater berechtigt, es zu töten. Wir empfinden die ganze Barbarei dieser Gesetze, weil sie nicht die unseren sind. Aber sehen wir doch einmal zu, ob es bei uns nicht ebenso ungerechte Gesetze gibt.

Wird das Abtreiben der Leibesfrucht bei uns nicht sehr hart bestraft? Gott verhüte, daß ich die Greuel jener Medeen entschuldige, die grausam gegen sich selbst und taub gegen die Stimme des eignen Blutes, das künftige Geschlecht ersticken, noch ehe es — wenn ich so sagen darf — das Licht der Welt erblicken durfte! Aber der Leser streife einmal alle hergebrachten Vorurteile ab und schenke den folgenden Betrachtungen einige Aufmerksamkeit.

Ist durch die Gesetze nicht eine Art von Schande mit der heimlichen Niederkunft verknüpft? Kommt ein Mädchen von zu zärtlichem Gemüt, das sich durch die Schwüre eines Wüstlings hat verführen lassen, infolge ihrer Leichtgläubigkeit nicht in die Notlage, zwischen dem Verlust ihrer Ehre und ihrer unglücklichen Leibesfrucht zu wählen? Ist es nicht Schuld der Gesetze, daß sie in eine so grausame Lage gerät? Und raubt die Strenge der Richter dem Staate nicht zwei Untertanen zugleich: die abgetriebene Frucht und die Mutter, die den Verlust durch eheliche Geburten reichlich wettmachen könnte? Hierauf erwidert man: es gibt ja Findelhäuser. Ich weiß wohl, daß sie einer Unmenge unehelicher Kinder das Leben retten. Aber wäre es nicht besser, das Übel mit der Wurzel auszurotten und so viele arme Geschöpfe, die jetzt elend umkommen, zu erhalten, indem man die Folgen einer unvorsichtigen und flatterhaften Liebe nicht mehr mit Schande bedeckt34-1?

Aber nichts ist grausamer als die Folter. Die Römer beschränkten sie auf ihre Sklaven, die sie als eine Art von Haustieren betrachteten. Nie durfte ein freier Bürger gefoltert werden. (Cicero, „Pro Cluentio“.) In Deutschland foltert man nur überführte Missetäter, damit sie ihr Verbrechen selbst bekennen. In Frankreich geschieht es zur Feststellung der Tat oder zur Entdeckung Mitschuldiger. Die Engländer hatten in früheren Zeiten das Ordal oder die Feuer- und Wasserprobe34-2. Jetzt haben<35> sie eine Art von Folter, die weniger hart ist als die gewöhnliche, aber doch fast auf das gleiche hinausläuft.

Man verzeihe mir, wenn ich mich gegen die Folter ereifre. Ich wage die Partei der Menschlichkeit gegen einen Brauch zu nehmen, der für christliche und kultivierte Völker entehrend, ja, ich setze dreist hinzu, ebenso unnütz wie grausam ist. Quintilian, der weiseste und beredteste Rhetor, sagt von der Folter, es komme dabei ganz auf die Leibesbeschaffenheit an. (Buch V, „Über Beweise und Verteidigung.“) Ein robuster Bösewicht leugnet sein Verbrechen. Ein Unschuldiger von schwächlichem Körper bekennt etwas, das er nicht getan hat. Jemand wird angeklagt. Indizien sind vorhanden. Der Richter ist ungewiß und will sich Klarheit verschaffen. Der Unglückliche wird gefoltert. Ist er unschuldig — welche Barbarei, ihn solche Martern erleiden zu lassen! Zwingt ihn die Starke der Qual zum Zeugnis gegen sich selbst —welche schreckliche Unmenschlichkeit ist es dann, einen tugendhaften Bürger auf bloßen Verdacht hin nicht nur den grausamsten Schmerzen auszusetzen, sondern ihn auch noch zum Tode zu verurteilen! Es ist besser, zwanzig Schuldige freizusprechen, als einen Unschuldigen aufzuopfern! Sollen die Gesetze zum Wohle des Volkes da sein — wie darf man dann solche dulden, die den Richter in die Lage bringen, methodisch Handlungen zu begehen, die zum Himmel schreien und die Menschlichkeit empören? In Preußen ist die Folter seit acht Jahren abgeschafft35-1. Man ist nun sicher, Unschuldige und Schuldige nicht zu verwechseln, und die Rechtspflege geht nichtsdestoweniger ihren Gang.

Betrachten wir nun die unklaren Gesetze und die verbesserungsbedürftigen Arten des gerichtlichen Verfahrens. In England bestand ein Gesetz gegen die Bigamie. Ein Mann wurde angeklagt, er habe fünf Frauen. Da das Gesetz über diesen Fall nichts bestimmte und man es buchstäblich auslegte, so ward das Verfahren eingestellt. Um klar und deutlich zu sein, hätte das Gesetz lauten müssen: „Wer mehr als eine Frau nimmt, soll bestraft werden.“ Die unklaren Gesetze in England und ihre buch, stäbliche Auslegung haben zu den lächerlichsten Mißbräuchen geführt. So erzählt Muralt35-2: Jemand schnitt seinem Feinde die Nase ab. Er sollte wegen Verstümmelung des Gliedes eines Bürgers bestraft werden, behauptete aber, was er abgeschnitten<36> habe, sei kein Glied. Nun setzte das Parlament fest, die Nase sei künftig als Glied zu betrachten.

Deutliche Gesetze geben keine Gelegenheit zu Rechtsverdrehungen und müssen buchstäblich vollstreckt werden. Sind sie aber unbestimmt oder dunkel, so muß man die Absicht des Gesetzgebers ergründen, und statt über Tatsachen zu richten, beschäftigt man sich mit ihrer Auslegung. Gewöhnlich nährt sich die Schikane nur von Erbschaftssachen und Verträgen. Darum müssen die Gesetze hierüber die größte Deutlichkeit haben. Grübelt man schon bei belanglosen Schreibereien über den Ausdruck nach, um wieviel mehr muß man ihn bei einem Gesetze gewissenhaft abwägen.

Die Richter haben zwei Fallstricke zu befürchten: Bestechung und Irrtum. Vor dem ersten muß sie ihr Gewissen schützen, vor dem zweiten der Gesetzgeber. Deutliche Gesetze, die keine verschiedene Auslegung zulassen, sind das erste Hilfsmittel dagegen, Begrenzung der Verteidigungsreden das zweite. Man kann die Reden der Verteidiger auf Darlegung des Tatbestandes, Unterstützung durch einige Beweise und ein Nach, wort oder eine kurze Zusammenfassung beschränken. Nichts wirkt stärker als der Vor, trag eines beredten Mannes, der die Leidenschaften aufzustacheln weiß. Der Ver, leidiger bestrickt den Geist der Richter, erregt ihre Teilnahme und ihr Gefühl, reißt sie hin, und das Blendwerk des Mitgefühls verdunkelt die Wahrheit. Sowohl Lykurg wie Solon verboten den Advokaten diese Art von Überredung. Wir finden zwar der, gleichen in den „Philippiken“ von Demosihenes oder in der Rede „Über die Krone“ von Aschines, aber diese Reden wurden nicht vor dem Areopag, sondern vor dem Volte gehalten, und die erstgenannten Reden gehörten eher zu der beratenden, die zweite mehr zur belehrenden Gattung als zur forensischen Beredsamkeit.

Die Römer hielten es mit den Reden ihrer Advokaten nicht so genau. Es gibt keine Rede Ciceros, die nicht voller Leidenschaft wäre. Es tut mir leid um ihn, aber aus seiner Rede für Cluentius ersehen wir, daß er vorher die Gegenpartei verteidigt hatte. Die Sache des Cluentius scheint nicht ganz einwandfrei, aber die Kunst des Redners gewann sie. Ciceros Meisterstück ist jedenfalls der Schluß der Rede für Fontejus. Dank ihm ward er freigesprochen, obwohl er schuldig scheint. Welcher Mißbrauch der Beredsamkeit, wenn man ihren Zauber benutzt, um die weisesten Gesetze zu entkräften!

In Preußen hat man das Vorbild Griechenlands befolgt. Aus unsern Verteidigungsreden sind die gefährlichen Kunstgriffe der Beredsamkeit verbannt. Das verdanken wir der Weisheit des Großkanzlers Cocceji36-1. Durch seine Rechtschaffenheit, seine Einsicht und seinen unermüdlichen Fleiß hätte er der griechischen und römischen Republik zu der Zeit, wo sie an großen Männern am fruchtbarsten waren, zur Ehre gereicht.

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Zur Dunkelheit der Gesetze gehört noch eins, nämlich das ganze Gerichtsverfahren und die vielen Instanzen, die die Parteien durchmachen müssen, bis ihr Prozeß ein Ende findet. Mögen schlechte Gesetze ihnen Unrecht tun oder rabulistische Advokaten ihr Recht verdrehen oder lange Formalitäten den Kern der Sache verdunkeln und sie um ihren rechtmäßigen Vorteil bringen — es läuft alles auf das gleiche hinaus. Ist auch ein Übel größer als das andere, so erfordern doch alle Mißbräuche Besserung. Das Hinausziehen der Prozesse gibt den Wohlhabenden einen beträchtlichen VorteU über die Armen. Indem sie Mittel und Wege finden, den Prozeß von einer Instanz zur andren zu schleppen, setzen sie ihren Gegner matt und richten ihn zugrunde, sodaß sie schließlich allein auf dem Kampfplatze bleiben.

Früher währten die Prozesse bei uns über hundert Jahre. War eine Sache auch schon von fünf Gerichten entschieden, so appellierte die Gegenpartei der Justiz zum Trotz an die Universitäten, und die Rechtslehrer änderten die gefällten Urteile nach ihrem Gutdünken ab. Nun aber mußte eine Partei schon sehr viel Pech haben, wenn sie bei fünf Gerichtshöfen und Gott weiß wieviel Universitäten keine feile und bestechliche Seele fand. Diese Mißbräuche sind jetzt abgeschafft. Die Prozesse kommen bei der dritten Instanz endgültig zum Austrag, und die Richter müssen auch die strittigsten Sachen innerhalb eines Jahres erledigen.

Wir haben nun noch einige Worte über die Gesetze zu sagen, die im Sinn oder im Ausdruck Widersprüche enthalten. Sind die Gesetze eines Staates nicht kodifiziert, so müssen sich einige notwendig widersprechen. Da sie von verschiedenen Gesetzgebern stammen und nicht nach dem gleichen Plane entstanden sind, so fehlt ihnen die bei allen wichtigen Dingen so notwendige Einheit. Davon handelt Quintilian in seiner Schrift vom Redner (Buch VII, Kap. 7). Auch in Ciceros Reden sehen wir, daß er oft ein Gesetz einem andren entgegenstellt. Ebenso finden wir in der französischen Geschichte bald Edikte für die Hugenotten, bald gegen sie37-1. Solche Verordnungen zusammenzutragen ist um so notwendiger, als die Majestät der Gesetze, von denen man doch stets annimmt, daß sie mit Weisheit gegeben sind, durch nichts mehr herabgewürdigt wird als durch offenbare und handgreifliche Widersprüche.

Die Verordnung gegen die Duelle37-2 ist sehr gerecht, sehr billig und sehr richtig abgefaßt, führt aber nicht zu dem Ziel, das die Fürsten sich bei deren Veröffentlichung setzten. Vorurteile, die älter sind als diese Verordnung, setzen sich dreist darüber hinweg, und das von falschen Begriffen erfüllte Publikum scheint stillschweigend übereingekommen zu sein, ihr nicht zu gehorchen. Ein mißverstandenes, aber allgemein verbreitetes Ehrgefühl bietet der Macht der Fürsten Trotz, und sie können das Gesetz nur mit einer gewissen Grausamkeit aufrecht erhalten. Wer immer das Unglück hat, von einem<38> Rüpel beleidigt zu werden, gilt in der ganzen Welt für feig, wenn er den Schimpf nicht mit dem Tode des Beleidigers rächt. Stößt dergleichen einem Manne von Stand zu, so betrachtet man ihn als seines Adels unwürdig. Ist er Soldat und endigt seine Sache nicht durch ein Duell, so jagt man ihn mit Schimpf und Schande aus dem Offizierkorps, und er findet in ganz Europa nicht wieder Dienste. Was soll also ein Mann in einer so kritischen Lage tun? Soll er sich entehren, indem er dem Gesetz gehorcht, oder soll er nicht lieber Leben und Glück aufs Spiel setzen, um seinen guten Ruf zu retten?

Die Schwierigkeit besieht darin, ein Mittel zu finden, das die Ehre des Privatmannes wahrt und das Gesetz in voller Kraft aufrechterhält. Die Macht der größten Herrscher hat gegen diese barbarische Mode nichts vermocht. Ludwig XIV., Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. erließen strenge Edikte gegen das Duell, bewirkten damit aber nichts, als daß die Sache einen andren Namen bekam. Die Duelle wurden als Rencontres ausgegeben und viele im Zweikampf gefallene Edelleute als plötzlich gestorben begraben.

Wenn nicht alle Fürsten Europas einen Kongreß veranstalten und übereinkommen, die mit Schande zu belegen, die sich trotz ihrer Verbote im Zweikampf umzubringen suchen, wenn sie, sage ich, sich nicht zusammentun, um dieser Art von Mördern jede Freistätte zu verweigern und alle, die ihre Nächsten in Wort, Schrift oder Tat beleidigen, streng zu bestrafen, so werden die Duelle nie aufhören.

Man wende mir nicht ein, ich hätte wohl die Träumereien des Abbe St. Pierre geerbt38-1. Ich sehe nichts Unmögliches darin, daß Privatleute ihre Ehrensachen der richterlichen Entscheidung ebenso unterwerfen wie ihre Vermögensstreitigkeiten. Und warum sollten die Fürsten keinen Kongreß zum Besten der Menschheit veranstalten, da sie so viele fruchtlose Kongresse über Dinge von geringerer Bedeutung berufen haben? Ich wiederhole es und behaupte dreist: dies ist das einzige Mittel zur Abschaffung des mißverstandenen Ehrgefühls in Europa, das so vielen Ehrenmännern das Leben gekostet hat, von denen das Vaterland die größten Dienste erwarten konnte.

Dies sind in Kürze die Betrachtungen, zu denen die Gesetze mich veranlassen. Ich habe mich auf eine Skizze anstatt eines Gemäldes beschränkt und fürchte, schon zuviel gesagt zu haben. Zum Schluß noch eine Bemerkung. Mir scheint, die kaum der Barbarei entwachsenen Völker brauchen sirenge Gesetzgeber, kultivierte Völker dagegen mit sanfteren Sitten haben milde Gesetzgeber nötig.

Wer sich alle Menschen als Teufel vorstellt und grausam gegen sie wütet, der sieht sie mit den Augen eines wilden Menschenfeindes. Wer alle Menschen für Engel hält und ihnen die Zügel schießen läßt, der träumt wie ein schwachsinniger Kapuziner. Wer<39> aber glaubt, daß weder alle gut noch alle böse sind, wer gute Handlungen über Verdienst belohnt und schlechte milder bestraft, als ihnen gebührt, wer Nachsicht mit den Schwächen hat und menschlich gegen jedermann ist, der handelt, wie ein vernünftiger Mann handeln muß.


22-1 Die obige Abhandlung entstand ungefähr gleichzeitig mit Coccejis Entwurf eines Landrechts und bald nach Montesquieus Schrift „Esprit des Iois“, durch die Friedrichs Auffassung mehrfach beeinflußt erscheint. Der Aussatz wurde nach dem am Schluß angegebenen Vermerk am I. Dezember 1749 beendet und am 22. Januar 1750 in der Akademie verlesen.

23-1 Der ägyptische Totengott Osiris, Bruder und Gatte der Isis, wurde von einer ägyptischen Volkssage, die Plutarch berichtet, zum Herrscher und Gesetzgeber der Ägypter gemacht.

25-1 Als Quellen nennt der König: Livius, Plutarch, Cicero, Dionys von Halikarnaß, „Antiquitates romanae“.

26-1 Fußnote des Königs: „Es gab nur zwei Arten von Intestaterben: Kinder und männliche Verwandte.“

33-1 Das römische Jus talionis.

34-1 Am 17. August 1756 erging das grundlegende „Edikt zur Verhütung des Kindesmordes“, sowie am 8. Februar 1765 ein weiteres Edikt, das u. a. die bisherigen entehrenden Strafen aufhob.

34-2 Der König erklärt in einer Fußnote unter Berufung auf Rapin,Thoyras: „Bei der Feuerprobe gab man dem Angeklagten ein glühendes Eisen in die Hand. War er so glücklich, sich nicht zu verbrennen, so ward er freigesprochen, im andren Falle als schuldig bestraft. Bei der Wasserprobe warf man den An, geklagten gebunden ins Wasser. Schwamm er obenauf, so war er unschuldig.“ Bekanntlich waren solche und andre Gottesurteile, wie der Zweikampf, der mittelalterlichen Justiz in allen tändern geläufig.

35-1 Sofort nach Antritt seiner Regierung, durch Kabinettsorder vom 3. Juni 1740, schaffte der König die Folter ab; doch blieb sie für einige Ausnahmefälle zunächst noch bestehen und wurde dann 1754 bzw. 1756 ganz beseitigt. Da man aber, statt den modernen Indizienbeweis zuzulassen, den alten Grundsatz des Inquisitionsverfahrens beibehielt, wonach entweder das Zeugnis zweier Nassischer Zeugen oder das Geständnis des Schuldigen zur Verurteilung nötig war, entstanden nun, falls die Zeugen fehlten, allerlei Unzuträglichleiten. So brauchte der zweifellos festgestellte Mörder nur nicht zu gestehen, um der Verurteilung zu entgehen.

35-2 „Lettres sur les Anglais et Ies Français et sur d'autres sujets.“ Nouvelle édition 1728, I, 148.

36-1 Für die Justizreform und die gesetzgeberische Tätigkeit des Freiherrn Samuel von Cocceji, um derentwillen ihn Friedlich auch als neuen Tribonian feierte, vgl. Bd. III, S. 7 f. und VII, S. 118.

37-1 Das 1598 erlassene Edikt von Nantes wurde 1685 von Ludwig XIV. widerrufen.

37-2 Das Edikt vom 22. März 1717 verhängte die Todesstrafe über den, der im Duell den Gegner tötete oder so verwundete, daß dieser den neunten Tag nicht überlebte. Das Duell galt als Verbrechen am Staatskörper, den es seiner Bürger beraubt.

38-1 St. Pierre war der Verfasser der Schrift „Projet de la paix perpétuelle“ (vgl. Bd. VII, S.248).