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Antwort: Nein; denn diese Erinnerung gemahnt mich immerfort an die edlen Handlungen meiner Freunde. Das Andenken ihres hochherzigen Benehmens ist mir dauernd gegenwärtig; nur für Beleidigungen habe ich ein kurzes Gedächtnis. Es gibt keine Tugend ohne Dankbarkeit; sie ist die Seele der Freundschaft, der holde Trost des Lebens. Sie verknüpft uns mit unsren Eltern, mit dem Vaterlande, mit unsren Wohltätern. Nein, nie werde ich das Land vergessen, in dem ich zur Welt kam, die Brust, an der ich getrunken, den Vater, der mich erzogen, den Weisen, der mich belehrt, die Sprache, die mich verteidigt, den Arm, der mich gestützt hat!

Frage: Die Dienste, die man Dir geleistet, waren Dir sehr nützlich, das gebe ich zu. Doch welcher eigne Vorteil verpflichtet Dich zur Dankbarkeit?

Antwort: Der allergrößte, nämlich der, mir Freunde in der Not zu bewahren und durch meine Dankbarkeit den Beistand wohlwollender Herzen zu verdienen, well kein Mensch der Hilfe entbehren kann und man sich ihrer würdig erweisen muß, endlich, weil ein jeder die Undankbaren verabscheut, weil er sie als Zerstörer der holdesten gesellschaftlichen Bande ansieht, weil sie die Freundschaft zur Gefahr machen und alle, die ihnen HUfe leisten, schädigen, kurz, weil sie Gutes mit Bösem vergelten. Zur Undankbarkeit gehört ein fühlloses, verderbtes, rohes Herz. Wäre ich solcher Schändlichkeit fähig? Soll ich mich des Umgangs mit ehrenwerten Menschen unwürdig machen? Soll ich gegen den geheimen Trieb meines Herzens handeln, der mir zuruft: „Stehe Deinen Wohltätern nicht nach! Vergilt ihnen, wenn Du kannst, hundertfältig die Dienste, die Du von ihrer Großmut empfangen hast!“ Ach, lieber ende der Tod mein Leben, als daß ich es durch solche Schändlichkeit besteckte! Um froh und befriedigt zu leben, muß ich mit mir selber zufrieden sein, muß ich am Abend, wenn ich meine Handlungen überdenke, etwas finden, was meiner Eigenliebe schmeichelt, aber nichts, was sie demütigt. Je mehr Spuren von Gerechtigkeit, Großmut, Edelsinn, Dankbarkeit und Seelengröße ich in mir finde, um so befriedigter bin ich.

Frage: Aber wenn Du Deine Dankbarkeit auf das Vaterland erstreckst, was schuldest Du ihm?

Antwort: Alles; meine schwachen Talente, mein Hab und Gut, meine Liebe, mein Leben.

Frage: Allerdings hat die Liebe zum Vaterland in Griechenland und in Rom die schönsten Taten erzeugt. Durch diesen Grundsatz behauptete Sparta seine Macht, solange Lykurgs Gesetze befolgt wurden. Infolge dieser unerschütterlichen Anhänglichkeit an das Vaterland erzog die römische Republik Bürger, die sie zur Herrscherin der Welt machten. Wie verbindest Du jedoch Deinen Votteil mit dem des Vaterlandes?