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Wenn wir der jüdischen Sage Glauben schenken, ruhte Gott aus, nachdem er die Welt geschaffen. Er bereute, seine Sache schlecht gemacht zu haben, und damit ihm das gleiche nicht noch einmal passierte, beschrankte er sich auf unerschütterliche Ruhe. Die Verehrer des Christentums haben ihren Gott zum Schutzpatron der Nichtstuer gemacht. Die Einsiedler, die ihr Leben in steter Untätigkeit verbringen, sind nach ihrer Behauptung seine Lieblingskinder und Auserwählten. Wahre Frömmigkeit trägt nur dann Frucht, wenn sie auf träge Seelen gepfropft wird. Glauben, ohne zu prüfen, sich von Priestern gängeln lassen, um sich die Mühe der Selbstbestimmung zu ersparen, beten, ohne zu wissen, was man sagt, schwärmen oder ins Blaue hineinträumen, nichts tun, das sind die Attribute vollkommener Heiligkeit. O seliges Nichtstun, du öffnest den Frommen mühelos die Pforten des Heiles!

Bemerkenswert isi, daß nicht nur die Religionen Trägheit predigen: auch ganze philosophische Sekten waren der gleichen Ansicht. Nach Epikur, der Leuchte des heidnischen Griechenland, bestand das höchste Glück in Tatlosigkeit. Er riet dem Weisen, sich nie in die Staatsgeschäfte zu mischen, und damit seine Götter ein ungetrübtes Glück genießen können, schrieb er ihnen vollkommene Gleichgültigkeit und Wunschlosigkeit zu. In süßer Ruhe überließen sie die Welt der Vorsehung der Natur. Unbewegt von Leidenschaften, ungestört durch Sorge und Unruhe, genossen sie die Gegenwart und fragten nicht nach der Zukunft. Eine machtvolle und tiefe Lehre, die den Menschen die große Wahrheit enthüllte, daß das meiste, was man tun kann, schlecht ist und man darum besser garnichts tut! Und da allen Sterblichen nun einmal der Tod verhängt isi und es kein Entrinnen giebt, so lehrt die Weisheit, daß man ihm so sanft wie möglich entgegengehen soll, ohne Körper und Geist unnütz dmch Trachten nach Gütern und Ehren zu ermüden, denen man doch früh oder spät entsagen muß.

O glückliche und weise Trägheit, du versöhnst die Meinungen der Frommen und der Philosophen! Wie nutzbringend isi der Hang zu dir für die Seligkeit! Wie wohltätig lindert dein Einfiuß die Bitternisse des Lebens! Du lehrst uns, die weiche Watte und die Daunenbetten unsres Lagers den Mühen und Anstrengungen der rasenden Liebhaber des Ruhmes vorziehen. Du hältst uns fern vom stürmischen Leben der Ehrgeizigen, von der Sorge, die den Staatsmännern ihre nichtigen Pläne bereiten. Du ersparst unsren zarten Ohren das rauhe Geschrei der hadernden Parteien vor Gericht, du verabscheust Prozesse und Advokaten. Du behütest uns vor dem Eifer für unsre Mitbürger, bei dem der Mensch sich selbsi vergißt und nur noch für das Glück seiner Nächsten da isi, gleich als ob wir für die Gesellschaft und nicht für nns selbsi lebten. Du verachtest die Arithmetik und zerreißest die Rechnungen in unsren Händen. Du haßt das unbequeme Sorgen und Mühen um Gelderwerb und gefällst dich im Vergeuden, wenn du Reichtümer aufgestapelt findest. Nie verband sich die Trägheit mit betrügerischem Sinn. Nie war ein Generalpächter, nie ein berufsmäßiger Spieler, nie ein Mandrin1 träge.


1 Straßenräuber. Vgl. Bd. III, S. 32.