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Ein guter Gatte, verehrte Leidtragende, ist zumeist auch ein guter Vater. Ein zärtliches Herz ist nicht unnatürlich. Es liebt in seinen Kindern sein eignes Werk und achtet in ihnen das Abbild des Höchsten. Dieser tugendhafte Bürger gab sich ernste Mühe, seinen Kindern eine gute Erziehung zu geben. Er betrachtete sie als Glieder des Vaterlandes, für das er sie erzog. Er pflegte zu sagen: „Ich gedenke ihnen leine Reichtümer zu hinterlassen, aber sie sollen von mir ehrbare Sitten erben.“ Jedesmal, wenn sie aus der Volksschule kamen, überhörte er sie selbst. Er hielt darauf, daß sie ihm die Fragen und Antworten des Katechismus hersagten, um ihnen von klein auf die Vorurteile ihres Glaubens einzuprägen und sie in unsrer heiligen Religion zu bestärken. Er gewöhnte sie an Wahrhaftigkeit und strafte sie jedesmal, wenn sie sich unterstanden, ihre Fehltritte zu beschönigen und zu bemänteln. Er litt nicht, daß sie sich zankten, und noch weniger, daß ihnen jene anstößigen Reden oder Worte entschlüpften, die das niedere Volt so unschicklich gebraucht und die oft die ganze Beredsamkeit der ungesitteten Landleute ausmacht. Vor allem aber hielt er sie zur Arbeit an, damit sie dereinst ihrem Vaterlande nützlich würden, und befließ sich um ihres eignen Vorteils willen, ihr Herz zu bilden. Er pflegte zu sagen: „Ich häufe ihnen einen Schatz von Tugenden an.“ Nicht Plato noch Sokrates hätten es besser ausdrücken können. Besieht das höchste Gut, wie es unzweifelhaft ist, in der Tugend, so hat er seiner Familie die größten Schätze im ganzen Lande hinterlassen, und zugleich hat er die erste Bürgerpflicht erfüllt, die da ist, Ehrenmänner und eifrige Staatsbürger zu erziehen.

Diese Pflicht, meine Brüder, habt Ihr alle, aber wenige kommen ihr nach. Infolge eines schlimmen und verhängnisvollen Vorurteils kümmern sich die Eltern nur um die Güter, die sie ihren Nachkommen hinterlassen, trachten aber nicht mit allem Fleiße danach, ihre Sitten und ihren Charakter zu bilden. „Meinem ältesten Sohne“, so sagen sie, „hinterlasse ich soundso viel Landgüter, dem jüngeren soundso viel Geld und meiner Tochter eine große Mitgift.“ Was geschieht? Wenige Jahre nach dem Tode des Vaters ist Hab und Gut vergeudet, und das verderbte Geschlecht, ohne Talente und persönliche Verdienste, kommt an den Bettelstab und hat nicht einmal den Trost, daß sein Mißgeschick beklagt wird. Damit ist eine Familie für den Staat verloren, und das Vaterland hat ein paar Bürger mehr, von denen es nicht das geringste erwarten kann.

Das Herz ist die Quelle aller Güter, die erste Triebfeder der Sittlichkeit und der Bürgertugenden. Mathias Reinhart war so lauter und unverstellt! Er war sanft, dienstbar gegen jedermann, verträglich gegen seine Nachbarn, menschlich und liebevoll gegen seine Untergebenen. Wie häufig sind bei Leuten seines Standes Reibereien mit den Nachbarn, Streit mit denen, die dem gleichen Beruf obliegen, oder Prozesse um Geld und andre Dinge. Er aber hatte solchen Abscheu vor allem, was seine Seelenruhe stören konnte, insbesondere gegen Rechtshändel, daß er, soweit er es irgend vermochte, allem auswich, was zu Streitigkeiten oder Prozessen führen konnte.