<157>schaftlichen Lebens, unser eigner Vorteil lehrt uns, unsren Brüdern nichts anzutun, was wir nicht wollen, das sie uns tun.

Ist aber das Gesetz auch noch so offenbar, klar und kurz gefaßt, wieviel Mittel hat die Bosheit der Menschen doch erfunden, um seine Befolgung zu vereiteln oder Aus, nahmen zu finden! O glückliches Volk, 0 gesegnetes Volk, das in der einzigen und wahren Religion geboren ist, das von klein auf im wahren Gottesdienst, in der Übung der Pflichten erzogen ward, die der Höchste von Euch fordert und die Euch die Kirche lehrt! Welche Entschuldigung habt Ihr für die Übertretung der heiligen Gebote, die Euch so bekannt und vertraut sind? Mit welcher Stirn könnt Ihr vor Euren Schöpfer treten und wie dürft Ihr zu ihm sagen: „Uns allen ist Dein Wille bekannt, und wir alle lebten, als ob wir ihn nicht kennen?“ Wähnt nicht, die geringste Eurer Handlungen bliebe im verborgenen. Sehet den Geschäftsmann, der seinen Herrn listig hintergeht und ungestraft sein Vertrauen mißbraucht! Sehet den Wüst, ling, der die Freundschaft seines Freundes betrügerisch ausnutzt, um ungestraft Schande, Ärgernis und Unfrieden über sein Haus zu bringen! Sehet den Neidischen, der unter dem Schein von Treue und Anhänglichkeit seine Verleumdung in die schönsten Farben kleidet und unter dem Deckmantel der Tugend seinen Feind verfolgt! Ja, ich wundere mich nicht, wenn die Selbstsucht hundert Gestalten annimmt, um jene falschen Güter zu erwerben, jenes verfluchte Metall, das den Durst des Begehrlichen doch nie stillt und nur die oberflächliche, dumme Welt blendet. Ich wundere mich nicht, wenn Hof und Volt das Opfer eines Ehrgeizigen werden, dessen wilde Leidenschaft tausende von Menschenleben dem Ruhme eines einzigen Tages und dem Klang eines Namens opfert, der mit dem Rauch seiner Totenfackeln vergeht.

Doch es kommt ein Tag, da alles offenbar wird, da die geheimsten Gedanken Eurer Herzen, die Taten, die Ihr ohne Zeugen beginget, die Verbrechen, die Ihr im stillen ersannet, vor den Augen der ganzen Welt entschleiert sein werden, genau wie die Verbrechen, die am hellen lichten Tag stattfanden, da keine List und Verschlagenheit, keine Verhüllung mehr gilt, da der Mensch nackt dasteht mit all seinen natürlichen Gebrechen. Glaubt nicht, ich wollte Euch von einem unendlichen, allgegenwärtigen und allwissenden Gotte reden, der alles hört und sieht. Ich brauche mich nicht auf ihn zu berufen, meine Brüder! Ich halte mich an Euer eignes Geständnis; ich will nur in Eurem eignen Herzen forschen. Ihr Christen, wer unter Euch hätte noch nie die Stimme seines Gewissens vernommen, das sich wie ein Heiliger in seinem eignen Herzen erhebt und ihm seinen schlechten Wandel vorwirft? Wer unter Euch wäre so verderbt, daß er noch nie mit Entsetzen furchtbare Gewissensbisse über seine Misse, taten verspürt hätte? Die Stimme des Gewissens erschreckt die Schuldbeladenen, dringt in die Behausung der Großen, trotzt der Majestät des Thrones und verfolgt das Verbrechen in den Hütten der Armut so gut wie in den Palästen der Weltbeherrscher. Diese Stimme wird gegen Euch zeugen und Eure eigne Verworfenheit enthüllen an jenem großen Tage, da alles bekannt, alles offenbar wird. Wenn aber