<158> Eure Sünden, Eure Flecken, Eure Lasier und Missetaten ans Licht kommen, so bedenkt, Ihr Sterblichen — jetzt, da es noch Zeit ist —, bedenkt, daß Ihr sie vor dem Richterstuhl eines erzürnten Gottes zu verantworten habt, dessen Rache unerbittlich sein wird!

O Gott! Wie groß ist Dein Erbarmen, aber wie furchtbar sind auch Deine Strafen! Aus den Anklagen unsres gequälten Gewissens erfährst Du nicht nur alle unsre Handlungen, sondern auch die verworfenen Beweggründe, aus denen wir Gutes taten. Mein Richter sieht mich an; er ist bereit, mein Urteil zu fällen; schon droht mir ewige Verdammnis. O Tag des Trostes für das Häuflein der Gerechten! O Tag der Verzweiflung für die Menge der Missetäter! Welch ein Anblick, meine Brüder! Alle Geschlechter der Erde, alle Völker, die sie seit Anbeginn der Welt bedeckten, steigen aus ihren Gräbern und treten vor den Thron des Allerhöchsten. Ihr Gott stehet sie an, ihr Gott richtet sie. Entweder werden sie in die ewige Seligkeit eingehen und Bürger des Himmels werden, oder sie werden den unreinen Geistern, den Tyrannen der Hölle überantwortet, die ihre schreckliche Freude an der ewigen Pein der Sterblichen finden, die sie verführt haben, und deren Qualen sie nun mit Wonne mehren. Da werden die Bösen, die es auf Erden gut hatten, ihr eitles Wohlergehen bereuen, das ihre Strafe verschärft. Da werden die Getreuen, die hienieden verachtet und gepeinigt wurden, sich ihres kurzen Leids freuen, das sie nun zur höchsten Seligkeit eingehen läßt. Die einen werden ihre späte Buße und ihr Beharren auf dem Wege des Verderbens beklagen, die andren ihr törichtes Hängen an der Welt und ihr völliges Vergessen des Jenseits. Andre wird es gereuen, daß sie den Warnungen ihrer Seelenhirten kein Ohr liehen, da es noch Zeit war und sie gemahnt wurden, ihre Herzen nicht zu verhärten. Wieder andre werden wehklagen, daß sie sich der Gewalt ihrer Leidenschaften überließen, die sie in den Abgrund gestürzt haben. Noch andre werden verzweifelt und untröstlich sein, daß sie einen Gott verkannten, den die ganze Natur ihnen verkündete, und daß sie die Unsterblichkeit leugneten, die ihnen nun zum Verhängnis werden soll!

Sehet, Ihr schlechten Christen, sehet, Ihr schuldbeladenen Seelen, sehet, wie der Höllenrachen sich auftut, Euch zu verschlingen! Denket daran, daß an diesem Orte der Pein und der Marter kein Erbarmen ist und daß eine unendliche Zeit, mit einem Wort, die Ewigkeit Euer Dasein endlos verlängert, um Eure Qualen unsterblich zu machen. Sehet, Ihr guten Christen, sehet, Ihr Getreuen, die Ihr des erlösenden Bluts Eures Heilands teilhaftig geworden seid, sehet, wie der Himmel sich herabsenkt, um Euch aufzunehmen! Sehet, wie der Höchste, den Ihr aufrichtig verehrtet, Euch in erneuter Liebe die Arme öffnet und Euch in den Schoß seiner Seligkeit aufnimmt. Sehet die Schar höherer Geister, die den Ruhm ihres Herrn und Euer Glück preist, daß Ihr eingegangen seid in die Gemeinschaft der Gerechten, deren ewige Glückseligkeit durch nichts mehr getrübt werden kann!

O Christen! Wären solche Gedanken Euch stets gegenwärtig, malte Cure Einbildungskraft Euch dies alles in den lebhaftesten Farben aus, — wie könntet Ihr