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Dom Calmets theologischer Kommentar zu „Blaubart“

Dom den mystischen Sinn dieses göttlichen Werkes recht zu erfassen, muß man es zuvor gründlich studiert haben. Wiewohl der Name des heiligen Verfassers nicht auf uns gekommen ist, können wir aus dem Stil des hebräischen Originals entnehmen, daß er ein Zeitgenosse des Propheten Samuel war. Seine Ausdrücke sind die gleichen wie im Hohenlied Salomonis; einige Wendungen sind verwandt mit den Psalmen Davids, woraus wir schließen können, daß er lange vor der Babylonischen Gefangenschaft gelebt hat.

Das Werk ist in bilderreichem Stil geschrieben. Es ist ein Gleichnis, eine Verbindung der erhabensten christlichen Moral mit einer der offenbarsten Prophezeiungen der Ankunft des Messias und des glänzenden Sieges, den er über den ewigen Widersacher Gottes und der Menschen davontragen wird. Das von uns kommentierte Werk ist eine wahre Fundgrube. Je tiefer man darin schürft, um so mehr Schätze findet man. Auf „Blaubart“ trifft das Wort der Schrift zu: „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“ Die Bücher des Alten Testaments tragen alle das gleiche Gepräge. Die Kirchenväter und die Doktoren, die in den heiligen Schriften am besten Bescheid wußten, haben sich stets bemüht, den geheimen Sinn der von Gott inspirierten Schriftsteller zu ergründen. Oft ist ihnen die Erklärung durch Vergleichung verschiedener Propheten miteinander gelungen. Wir gedenken dieser weisen Methode zu folgen, um die göttlichen Wahrheiten und die so schlagenden Prophezeiungen zu beleuchten, die das heilige Gleichnis von „Blaubart“ unsrem Nachsinnen darbietet.

Man sehe, mit welch rührender Einfalt das Buch beginnt! „Es war einmal ein Mann, der hatte schöne Häuser in der Stadt und auf dem Lande.“ Schon allein dieser Anfang zeugt für die göttliche Inspiration des Buches. Es heißt nicht: „Es war in dem und dem Jahre“, sondern: „Es war einmal.“ Der Verfasser sah im Geist die Streitigkeiten voraus, die die Ungläubigen eines Tages an verschiedene chronologische Fragen anknüpfen würden, als da sind: das Datum von Christi Ge, burt und der Flucht nach Ägypten, die Zeit seines Erdenwallens, schließlich der Tag seines Todes und seiner Auferstehung. Solchen verfänglichen Daten zieht er also die erhabene Schlichtheit vor: „Es war einmal ein Mann.“

„Der hatte schöne Häuser in der Stadt und auf dem Lande.“ Das ist der rechte erzählende Stil. Mit jenen verschiedenen Besitzungen kennzeichnet der heilige Verfasser die Verworfenheit des Mannes, von dem er spricht. Er hing an den weltlichen Gütern. Ohne Zweifel rühmte er sich seines Reichtums und rechnete die Güter jenes Lebens für nichts.