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Gelüste sich entfalten können, desto mehr kommen sie zur Betätigung. Den Vergleich mit dem Herd könnte man Iuvenal oder einem anderen Satiriker von Beruf hingehen lassen; aber einem PHUosophen — ich sage weiter nichts. Wäre unser Autor nur sechs Monate Bürgermeister des Städtchens Pau im Béarn gewesen, er würde die Menschen besser zu beurteilen wissen, als er es je durch seine leeren Betrachlungen lernen wird. Wie kann er sich einbilden, die Herrscher ermutigten ihre Untertanen zum Verbrechen, und welcher Vorteil würde ihnen daraus erwachsen, daß sie sich in die Notwendigkeit versetzen, die Übeltäter zu strafen? Es kommt zweifellos in vereinzelten Fällen vor, daß einige Verbrecher der Gesetzesstrenge entgehen; aber niemals entspringt das einer bestimmten Absicht, durch Hoffnung auf Straflosigkeit zum Frevel anzureizen. Fälle dieser Art muß man der allzu großen Nachsicht des Fürsten zuschreiben. Zweifellos kommt es unter jeder Regierung auch vor, daß Schuldige durch Intrige oder durch Bestechung oder durch den Beistand mächtiger Beschützer Mittel und Wege finden, sich der verdienten Strafe zu entziehen. Um aber solches Treiben, Intrigen und Bestechlichkeit aus der Welt zu schaffen, täte es not, daß der Fürst die Allwissenheit besäße, die von den Theologen Gott zuerkannt wird.

In den Fragen des Regierungswesens strauchelt unser Autor bei jedem Schritt. Er wähnt, Not und Elend trieben die Menschen zu den größten Verbrechen. Dem ist nicht so. Es gibt kein Land, wo nicht jeder, sofern er kein Faulenzer oder Müßiggänger ist, durch seine Arbeit sich ernähren könnte. In allen Staaten setzt sich die gefährlichste Gruppe aus den Verschwendern jeglicher Art zusammen: ihre Vergeudung erschöpft in kurzer Zeit ihre Einnahmequellen. Dadurch geraten sie in schlimme Zwangslagen, und das bringt sie dann auf die niedrigsten, widerwärtigsten, schmählichsten Auswege. Die Bande des Catilina, die Anhänger Julius Cäsars, die Frondeurs, die der Kardinal von Retz aufwiegelte1, die Parteigänger Cromwells, sie alle waren Leute dieser Art, die nur dadurch ihre Schulden loswerden und ihre zerrüttete Existenz wiederherstellen konnten, daß sie den Staat umstürzen halfen, dessen Bürger sie waren. In den ersten Familien des Staates beschränken sich die Verschwender auf Schwindel und Ränke. Beim Volk werden die Geldvergeuder und Faulpelze schließlich Räuber und begehen die ungeheuerlichsten Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit.

Nachdem der Verfasser offenkundig bewiesen hat, daß er weder weiß, wie die Menschen sind, noch wie sie regiert werden müssen, wiederholt er die Deklamationen aus den Satiren Boileaus wider Alexander den Großen, macht Ausfälle gegen Karl V und dessen Sohn Philipp II., wiewohl man untrüglich fühlt, daß es auf Ludwig XI V. abgesehen ist. Von allen Ungereimtheiten, die von den angeblichen Philosophen unserer Tage mit sehr viel Behagen vertreten werden, scheint ihnen vor allem jene am


1 Jean Gondi, Kardinal von Reh, war das Haupt der Fronde (vgl. S. 18).