<267> Herzen zu liegen, die darauf hinausgeht, die großen Männer des verflossenen JahrHunderts zu verunglimpfen. Was für eine Mehrung ihres Ansehens versprechen sie sich wohl davon, wenn sie die Schwächen eines Königs aufbauschen, der sie durch Größe und Ruhm überstrahlt hat? Die Fehler Ludwigs XIV. sind übrigens bekannt; diese vermeintlichen Philosophen haben also nicht einmal das kleine Verdienst, deren erste Entdecker zu sein. Ein Fürst, der bloß acht Tage regiert, wird ohne Zweifel schon Fehler begehen; um wieviel mehr muß das ein Monarch tun, der sechzig Jahre seines Lebens den Thron innehatte. Wenn Sie sich zum unparteiischen Richter aufwerfen wollen, so studieren Sie erst einmal das Leben dieses großen Fürsten! Dann werden Sie gestehen müssen, daß er in seinem Königreich mehr Gutes als Schlimmes vollbracht hat.

Einen ganzen Band müßte man füllen, wenn man seine Rechtfertigung im einzelnen durchführen wollte; ich beschränke mich hier auf die Hauptpunkte. Legen Sie also, wie recht und billig, die Hugenottenverfolgung seiner Altersschwäche zur Last, dem Aberglauben, in dem er auferzogen war, dem Vertrauen, das er unbedachtermaßen seinem Beichtvater schenkte. Setzen Sie die Verwüstung der Pfalz (1689) auf Rechnung des harten und hochfahrenden Louvois1. Danach werden Sie ihmWeiteres kaum vorwerfen können, abgesehen davon, daß er ein paar Kriege aus Eitelkeit oder Herrscherstolz unternommen hat. Im übrigen können Sie ihm nicht abstreiten, daß er der Beschirmer der schönen Künste war. Ihm verdankt Frankreich seine Manu, fakturen, seinen Handel und überdies die schöne Abrundung seiner Grenzen samt dem Ansehen, das es während seiner Regierungszeit in Europa genoß. Ehren Sie also seine lobenswerten und wahrhaft königlichen Eigenschaften! Wer da heutigentages gegen die Herrscher losziehen will, muß ihre Verweichlichung, ihre Trägheit, ihre Unwissenheit angreifen. Sie sind zumeist mehr schwach als ehrgeizig, mehr eitel als herrschsüchtig.

Die wahren Ansichten des Autors über die Regierungen enthüllen sich erst gegen das Ende seines Werkes. Da erst tut er uns kund, daß seines Erachtens die Untertanen sich des Rechts erfreuen sollten, ihre Herrscher abzusetzen, wenn sie unzufrieden mit ihnen sind. Um an dieses Ziel zu gelangen, erhebt er Einspruch gegen die großen Heere, die seinem Plan einigermaßen hinderlich sein könnten. Man glaubt La Fontaines Fabel vom Wolf und vom Schäfer zu lesen. Sollten die verstiegenen Ideen unseres Philosophen jemals in Erfüllung gehen, so müßten zuvor die Regierungsformen sämtlicher Staaten von Europa umgestaltet werden, was ihm eine Kleinigkeit dünkt. Ferner müßten — was mir unerfüllbar scheint — diese Untertanen, die den Richter ihres Herrn spielen wollten, weise und gerecht, die Thronbewerber müßten frei von Ehrgeiz sein, weder Intrige noch Kabale noch Unabhängigkeitsgelüste irgendwie das Übergewicht erlangen können. Außerdem müßte das entthronte Fürstenhaus


1 Franz Michael le Tellier, Marquis Louvois, der Kriegsminister Ludwigs XIV.