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Minister in seinen politischen Geschäften beizustehen — was sage ich? ihn anzuleiten vielmehr!

Sie behaupten, Herr Philosoph, daß die Könige sich in der Wahl ihrer Diener oftmals täuschen. Nichts ist wahrer; die Gründe lassen sich leicht finden: auch die Könige sind eben Menschen, dem Irrtum unterworfen wie die anderen. Wer nach hohem Amte trachtet, tritt ihnen niemals anders gegenüber als mit der Maske vorm Gesicht. Ohne Zweifel kommt es vor, daß die Könige sich irreführen lassen. Die Schliche, Ränke und Kabalen der Höflinge können gelegentlich obsiegen. Wenn aber ihre Wahl nicht immer glücklich ist, so soll man nicht sie allein anklagen. Das wahre Verdienst und die Männer von überlegenen Geistesgaben sind allenthalben viel seltener, als so ein übersinnlicher Träumer sich einbildet. Er hat ja nur theoretische Vorstellungen von der Welt des Staatsmanns, die er niemals kennen lernte. Das Verdienst wird nicht belohnt: die Klage hört man in jedem Land. Und jeder anmaßende Kerl kann sagen: Ich habe geniale Fähigkeiten; die Regierung läßt mir keine Auszeichnung zuteil werden; folglich fehlt es ihr an Weisheit, Urteil und Gerechtigkeit.

Unser Philosoph gerät sodann in den Harnisch, da er einen Gegenstand behandelt, der ihn näher angeht. Er scheint äußerst empört zu sein, weil man in seinem Vaterland die Apostel der Lüge denen der Wahrheit vorzieht. Er wird gebeten, doch nur ein paar flüchtige Erwägungen anzustellen, die vielleicht seines ungestümen Genies unwürdig, immerhin aber geeignet sind, seinen Zorn zu besänftigen. Er möge sich einmal vergegenwärtigen, daß der Klerus eine beträchtliche Körperschaft im Staate bildet, während die Philosophen vereinzelte Privatleute sind. Er erinnere sich gefälligst, daß er selbst gesagt hat, der Klerus sei durch die Autorität, die er über das Volk zu gewinnen wußte, mächtig geworden, habe sich dadurch dem Herrscher furchtbar gemacht und müsse nun auf Grund seiner Macht schonend behandelt werden. Die Natur der Dinge erfordert es also, daß der Klerus sich ausgeprägterer Vorrechte und Auszeichnungen erfreut, als man sie gemeiniglich denen zubilligt, die von Standes wegen auf allen Ehrgeiz verzichteten und, erhaben über die menschlichen Eitelkeiten, alles verachten, was der Haufe mit so viel Eifer begehrt.

Weiß unser Philosoph nicht, daß der Aberglaube des Volkes den Monarchen auf dem Thron in Ketten schlägt? Das Volk selbst zwingt ihn, Rücksicht auf diese widerspenstigen und aufruhrbrütenden Priester zu nehmen, auf diesen Klerus, der einen Staat im Staate errichten will und nicht davor zurückschreckt, Vorgänge von solcher Tragik heraufzubeschwören, wie sie dem Leben Heinrichs III. und des guten Königs Heinrich IV. ein Ende setzten1. Der Fürst darf nur mit feinfühlig geschickter Hand an den bestehenden Kult rühren. Will er sich an das Gebäude des Aberglaubens machen, so muß er es zu untergraben suchen; es hieße allzuviel wagen, wenn er an ein offenkundiges Niederreißen ginge. Begibt es sich gelegentlich, daß Philosophen über das


1 Vgl. S. 16.