<222>

Schreiben eines preußischen Offiziers an einen Freund in Berlin222-1
(Juli 1759)

I

Schreiben Sie es unserer Untätigkeit zu, lieber Freund, wenn Sie so lange keine Nachrichten von mir erhielten! Unsere Armee geht dies Jahr ebenso müßig, wie sie in den vorhergehenden Jahren tätig war. Dies ist die dritte Stufe, die wir erklimmen. Wir haben den Ossa verlassen, um auf den Pelion zu klettern222-2. Wofern wir unser Lager nicht auf den Kaukasus verlegen, kann es nicht höher sein. Dadurch werden wir völlige Ruhe haben. Sie meinen sehr richtig, der Krieg lasse sich nicht aus Büchern erlernen. Das trifft dermaßen zu, daß man in den früheren Zeitaltern der Roheit und Unwissenheit viel zu tun glaubte, wenn man Städte belagerte. Sie sehen, wie sich alles verfeinert: jetzt belagert man ganze Provinzen. Die Österreicher und Russen vermeinen, Schlesien eingeschlossen zu haben. In der Nacht vom 11. zum 12. hat Feldmarschall Daun die Laufgräben vor dieser Provinz eröffnen lassen222-3; seine erste Parallele reicht vom Beerberg bis Steinkirch. Er hat eine Batterie von 80 Kanonen auf dem Berge von Marklissa errichtet, und Laudon hat eine Nikoschettbatterie auf den Höhen von Lauban erbaut. Unsere Artilleristen wiegen sich zwar in der Hoffnung, der Feind werde ihre Geschütze nicht so bald demontieren; ich bebaure ihre Zuverficht; die guten Leute sind verblendet. Von Marklissa bis Liebenthal222-4, dem Standort unserer Armee, sind nicht mehr als drei Meilen; ermessen Sie daraus, welche Wir<223>kung jene Feuerschlünde haben werden! Unsrerseits trifft man alle üblichen Vorbereitungen zur mannhaften Verteidigung. Der gemeine Mann spielt Komödie223-1, die Offiziere amüsieren sich. Zweifellos wird man bald an die Herstellung von Faschinen und Schanzkörben denken. Ein Genueser, ein gescheiter und geschickter Mann, hat sich anheischig gemacht, unsere Minen bis unter die Batterien des Feindes vorzutreiben, um sie alle auf einmal in die Luft zu sprengen. Geschwind, wie er ist, hofft er die Minen so weit zu bringen, daß sie im Dezember 1760 geladen werden können. Das wäre zeitig genug; denn legt man die gewöhnliche Berechnung für Belagerungen zugrunde und nimmt man die sicheren Anschläge des berühmten Vauban zu Hilfe, so ergibt sich, daß die Österreicher, wenn sie mit flüchtiger Sappe arbeiten, den Fuß unserer Glacis erst im März 1761 erreichen können. Gehen sie mit gedeckter Sappe vor, so wird ihre Arbeit sich bis zum September desselben Jahres hinziehen. Außer den Mannschaften, die Graf Daun verwendet, läßt er täglich 1500 Bauern an der Vollendung der ersten Parallele arbeiten.

Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Die Anfänge einer Belagerung pflegen ereignislos zu sein. Doch gedulden Sie sich, lieber Freund; Sie verlieren beim Abwarten nichts. Da Sie ungewöhnliche Dinge lieben, ist es recht und billig, wenn ich Sie nach Ihrem Geschmack bediene; ich verspreche Ihnen Außerordentliches. Die Kriegskunst hat den Gipfel ihrer Vollendung erreicht. Man hat die Geschütze, die Berge, kurz alles vervollkommnet223-2, von den Maultieren bis zu den Panduren. Ließen Turenne, Montecuccoli und Eugen sich einfallen, in unseren Tagen wieder aufzuerstehen, sie würden kaum für alte Faselhänse gelten. Einige kniffliche Leute, eigensinnige Liebhaber des Altmodischen, verbohrte Leute, die durchaus auf ihrer Meinung beharren, werden es vielleicht nicht zugeben, aber darüber kann man hinweggehen. Die Neuigkeit bildet den Reiz der Moden; warum sollte sie nicht auch den Ruf der Kriegsmänner bestimmen?

Gestatten Sie, lieber Freund, Sie zu verlassen; meine Pflicht ruft mich. Ich habe heute Tagesdienst an dem großen Fernrohr, um die Arbeiten des Feindes zu beobachten. Unser Lager könnte man jetzt für eine Sternwarte halten. Mars und Venus werden von den Astronomen nicht schärfer beobachtet als das österreichische Lager von unseren Offizieren. Kein Tag vergeht, wo nicht zweihundert Ferngläser gegen Marklissa und Lauban gerichtet sind. Wohl denen, die nichts zu beobachten haben und denen der letzterschienene Komet ebenso gleichgültig ist wie Daun, Laudon und Fermor. Genießen Sie, mein Freund, die Nutze Ihres friedlichen Heims und gedenken Sie hin und wieder wohlwollend Ihres alten Berichterstatters von der Armee.

Ich verbleibe stets Ihr usw.

<224>

II

Bitte, gedulden Sie sich, lieber Freund! Es ist unmöglich, jeden Tag große Dinge zu vermelden. Die göttliche Langsamkeit und die übermenschliche Klugheit unserer Feinde liefern nicht so häufig glänzende Gelegenheiten, wie Sie es wünschen. Die Belagerung hat seit meinem letzten Brief keine Fortschritte gemacht. Laudons Rikoschettbatterie ist verschwunden224-1, ohne daß wir sie demoliert hätten, und ohne daß ich Ihnen den Grund dafür angeben könnte. Unsere Feinde haben ihre Angriffsfront verändert; sie haben einen Laufgrabenast von Schatzlar nach Schönberg vorgetrieben, und da sie durch eine lange Reihe von Erfahrungen festgestellt haben, daß die Kavallerieoffiziere sich besser auf den Festungskrieg verstehen als ihre Kollegen von der Infanterie, so haben sie das Kommando dem General de Ville anvertraut, von dem Sie haben reden hören, als er in Oberschlesien war224-2.

Während all dieser schönen Unternehmungen halten wir uns unbeweglich. Wenn man unsere beiden Armeen so sieht, hält man sie für gichtisch. In der Tat leiden beide Führer etwas an Gicht. Vielleicht ist das epidemisch geworden. Geht der Feldzug so weiter, dann machen Sie sich auf die Nachricht gefaßt, daß die beiden Lager festgewachsen sind. Die Sachsen werden darob wenig erbaut sein. Wie versichert wird, fouragieren und plündern die Österreicher sie aus Freundschaft und reiner Herzensgüte radikal aus. Sie tun es, weil dies nach der neuen, von Paris importierten Mode die beste Art ist, seinen Alliierten beizustehen.

Ich war der Überzeugung, unser Lager allein bediente sich der Fernrohre, habe aber gründlich umgelernt. Letzter Tage sah ich einen goldbetreßten Schwarm auf einem hohen Berge und an die hundert Fernrohre zugleich gegen uns gerichtet. Ist es nicht spaßhaft, daß Menschen, die, solange sie fern voneinander sind, nur Haß und Rache atmen und nur an die gegenseitige Vernichtung denken, sich nun betrachten und beMachten, so aufmerksam und verzückt, wie der verliebteste Tor seine Geliebte betrachtet? Sollten etwa Liebe und Haß gleiche Wirkungen zeitigen? Gewiß nicht! Wünscht der Liebhaber beim Anblick seiner Geliebten ihr eine Krone aufs Haupt zu setzen, so wünscht der Krieger beim Anblick des Feindes eine falsche Stellung oder einen Fehler benutzen zu können, Veränderungen in den Lagerstellungen zu sehen und ihre Gründe zu erraten.

Es geht das Gerücht, der Fiskal des ersten römischen Reiches224-3 sei in Dauns Lager eingetroffen, um ein gewisses Urteil zu vollstrecken und gewisse, mit viel Würde verbrämte Torheiten zu verkünden. Wie weiter behauptet wird, soll der Fiskal, mit einem gewissen Degen bewehrt224-4, an die Spitze der Grenadiere treten, um eine ge<225>Heime Unternehmung auszuführen. Ich verbürge mich nicht für die Nachricht, aber es wäre jedenfalls etwas gänzlich Neues. Ich hoffe, schon die Vorstellung davon wird Sie erfreuen.

Ich gedenke, alle Briefe zu sammeln, die ich an Sie zu schreiben die Ehre habe, um später Memoiren über den jetzigen Krieg daraus zu machen. Das Werk wird sehr lehrreich werden; es wird völlig unbekannte Anekdoten und das Geheimnis sämtlicher neuer Entdeckungen enthalten. Ich beabsichtige es in drei Teile zu gliedern. Der erste soll nur von Bergen handeln; im zweiten will ich untersuchen, wieviel Milliarden Kanonen eine Armee braucht, um unbesieglich zu sein225-1. Im dritten lehre ich die Kunst, wie man den Gebrauch der Beine bei den Truppen unnötig macht. Zuerst werde ich einen Prospekt drucken lassen, um Stimmung für die Subskription zu machen. Ich rechne zunächst auf alle Alpenbewohner und auf die Schweizer; ihnen wird das Loblied oder besser der Panegyrikus auf die Berge schmeicheln, den ich ganz im Stil von Bourdaloue225-2 schreiben werde. Auch die Geschützgießer werden mir Dank wissen für die Arbeit, die sie durch mein Werk bekommen. Die Impotenten und Faulpelze werden gern auf Band 3 subskribieren; sie werden entzück sein, zu hören, daß man im Kriege Großes vollbringen kann, ohne ein Glied zu rühren. Jeder Krückengänger und Gelähmte wird mein Buch mit Vergnügen kaufen. Ich verspreche es Ihnen, sobald Friede wird; jetzt haben wir in unserem Lager vollauf zu tun.

Ich bin heute zur Mine des Genuesen kommandiert, von der ich Ihnen erzählte, und muß die Nacht dort bleiben. Weitere Nachrichten von der Armee behalte ich mir für die nächste Post vor und verbleibe mit der Versicherung größter Hochachtung Ihr usw.


222-1 Nur das erste der beiden Schreiben gelangte zur Drucklegung. Wegen der Niederlage des Generals Wedell bei Kay am 23. Juli 1759 (vgl. Bd. IV, S. 12) erklärte König Friedrich, nach einem Vermerk seines Vorlesers Catt auf dem zweiten Schreiben: „Wir wollen es nicht veröffentlichen; denn Lachen ist nicht mehr angebracht.“

222-2 Die preußische Armee hatte am 4. Juli 1759 das Lager bei Landeshut verlassen und am 10. das feste Lager von Schmottseiffen, zwischen Löwenberg und Greiffenberg, bezogen (vgl. Bd. IV, S. II).

222-3 Seit dem 6. Juli 1759 stand die Daunsche Armee dem Könige gegenüber bei Marklissa (vgl. Bd. IV, S. 10).

222-4 Südwestlich von Schmottseiffen.

223-1 Der Vorleser Catt erzählt in seinen Tagebüchern von der Aufführung einer Harlekinade: „Die Verleihung des geweihten Hutes“. Darin stibitzt Harlekin Daun den geweihten Hut und Degen, während er ihm vorwirft, sie zum Kampfe gegen eine christliche Macht angenommen zu haben (vgl. S. 219 f.).

223-2 Vgl. S. 221.

224-1 Laudon war am 22. Juli 1759 mit seinem Korps aus Lauban zur Verewigung mit den Russen aufgebrochen (vgl. Bd. IV,.S.II).

224-2 April und Mal 1759 (vgl. Bd. IV, S. 10).

224-3 Das Papsttum.

224-4 Vgl. S. 219.

225-1 Vgl. S.221.

225-2 Louis Bourdaloue (1632—1704), berühmter französischer Kanzelredner.