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Schreiben eines preußischen Offiziers an einen Freund in Berlin1
(Juli 1759)

I

Schreiben Sie es unserer Untätigkeit zu, lieber Freund, wenn Sie so lange keine Nachrichten von mir erhielten! Unsere Armee geht dies Jahr ebenso müßig, wie sie in den vorhergehenden Jahren tätig war. Dies ist die dritte Stufe, die wir erklimmen. Wir haben den Ossa verlassen, um auf den Pelion zu klettern2. Wofern wir unser Lager nicht auf den Kaukasus verlegen, kann es nicht höher sein. Dadurch werden wir völlige Ruhe haben. Sie meinen sehr richtig, der Krieg lasse sich nicht aus Büchern erlernen. Das trifft dermaßen zu, daß man in den früheren Zeitaltern der Roheit und Unwissenheit viel zu tun glaubte, wenn man Städte belagerte. Sie sehen, wie sich alles verfeinert: jetzt belagert man ganze Provinzen. Die Österreicher und Russen vermeinen, Schlesien eingeschlossen zu haben. In der Nacht vom 11. zum 12. hat Feldmarschall Daun die Laufgräben vor dieser Provinz eröffnen lassen3; seine erste Parallele reicht vom Beerberg bis Steinkirch. Er hat eine Batterie von 80 Kanonen auf dem Berge von Marklissa errichtet, und Laudon hat eine Nikoschettbatterie auf den Höhen von Lauban erbaut. Unsere Artilleristen wiegen sich zwar in der Hoffnung, der Feind werde ihre Geschütze nicht so bald demontieren; ich bebaure ihre Zuverficht; die guten Leute sind verblendet. Von Marklissa bis Liebenthal4, dem Standort unserer Armee, sind nicht mehr als drei Meilen; ermessen Sie daraus, welche Wir-


1 Nur das erste der beiden Schreiben gelangte zur Drucklegung. Wegen der Niederlage des Generals Wedell bei Kay am 23. Juli 1759 (vgl. Bd. IV, S. 12) erklärte König Friedrich, nach einem Vermerk seines Vorlesers Catt auf dem zweiten Schreiben: „Wir wollen es nicht veröffentlichen; denn Lachen ist nicht mehr angebracht.“

2 Die preußische Armee hatte am 4. Juli 1759 das Lager bei Landeshut verlassen und am 10. das feste Lager von Schmottseiffen, zwischen Löwenberg und Greiffenberg, bezogen (vgl. Bd. IV, S. II).

3 Seit dem 6. Juli 1759 stand die Daunsche Armee dem Könige gegenüber bei Marklissa (vgl. Bd. IV, S. 10).

4 Südwestlich von Schmottseiffen.