<51> leisten, die die Zarin nicht vergessen hatte, und als er wieder an ihren Hof kam, erwies sie ihm Freundlichkeiten, die sich freilich nur auf seine Person erstreckten. Er erreichte also nicht das große Ziel der Republik, alles Geschehene ungültig zu machen, wohl aber gelang es ihm, die russische Eitelkeit und Eigenliebe aufzustacheln, indem er der Zarin vorstellte, es sei für sie Ehrensache, nicht zu dulden, daß die Preußen und Österreicher ihren Despotismus in Polen aufrichteten. Sogleich gingen Mahn-schreiben an den König wie an die Kaiserin-Königin ab, das Wohlwollen, das die Zarin für ihre Interessen bekundet habe, nicht zu mißbrauchen1. Der König antwortete auf diese Ermahnung in höflicher Form, bat die Zarin, sich des Grundartikels des Teilungsvertrages zu entsinnen, wonach die Anteile gleich sein sollten, und fügte beiläufig hinzu, falls die Hsierreicher ihren Erwerbungen angemessene Grenzen setzen wollten, werde er gern von der Ausdehnung der seinen abstehen, soweit man sie anfechtbar fände; denn es gäbe für ihn keinen Vorteil, den er nicht dem Vorzuge zum Opfer brächte, sich die Freundschaft der Zarin zu erhalten. Ganz anders lautete die Antwort der Kaiserin-Königin. Man merkte an ihrem Stil den Verfasser. Trocken, stolz und anmaßlich gab sie den festen Entschluß der Hsierreicher kund, was sie in Besitz hätten, zu behalten.

All diese Einzelheiten, auf die wir hier eingegangen sind, dürfen jedoch unsere Aufmerksamkeit nicht völlig in Anspruch nehmen. Wir müssen auch einen Blick auf das übrige Europa werfen. Alle Mächte sind durch die politischen Interessen miteinander verkettet, und man darf keins der Ereignisse übergehen, die den Lauf der Weltgeschichte mehr oder minder beeinflussen. Ludwig XV. war im Beginn dieses Jahres2 gestorben, und zwar an den Blattern. Die Bischöfe, die ihm den letzten Beistand leisteten, handelten mit empörender Scheinheiligkeit; sie zwangen ihn, für seine Schwächen öffentlich Abbitte zu tun. Er war ein guter, aber schwacher Mensch gewesen; sein einziger Fehler war der, König zu sein. Das neuerungssüchtige französische Volk, das seiner langen Regierung überdrüssig war, riß sein Andenken unbarmherzig in den Staub. Endlich nahm der so ungeduldig erharrte Nachfolger den Thron seines Großvaters ein. Nur weil er König wurde, erntete Ludwig XVI. sofort Beifall. Seine Regierung war das goldene Zeitalter, unter ihm würde niemand unzufrieden sein, er würde die Zeiten Saturns und Nheas zurückführen. Das war die Sprache der Begeisterung; die der Wahrheit beschränkt sich darauf zu sagen, daß der König unfähig war, selbst zu regieren, und daß er Maurepas, den von Ludwig XV. entlassenen Minister, zu seinem Mentor erkor. Bei dessen hohem Alter war nicht zu hoffen, daß Frankreich unter seiner Verwaltung das verlorene Ansehen wiedererlangen würde. Seine Politik mußte sich auf die Erhaltung des Bestehenden beschränken. Wie hätte er sich auch auf große Unternehmungen einlassen können? Ein Achtzigjähriger durfte nicht erwarten, ihr Ende zu erleben. Er mußte freilich an der


1 Die Schreiben Katharinas II. sind vom 26. Mai (a. St.) datiert, die Antwort König Friedrichs vom 27. Juni, die Maria Theresias vom 16. Juli 1774. -

2 10. Mai 1774.