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Wir haben vor kurzem erwähnt, daß Graf Orlow in Ungnade gefallen war. Ein Graf Potemkin1 ersetzte den früheren Günstling. Dies Ereignis oder, wenn man will, diese Hofkabale rief im Petersburger Ministerium beinahe eine Umwälzung hervor. Graf Orlow hatte trotz seiner Verbannung nicht allen Einfluß auf die Zarin verloren. Es gelang ihm, sich zurückrufen zu lassen, und obwohl er das vertraute Verhältnis mit ihr nicht wieder anzuknüpfen vermochte, ward er doch in alle früher bekleideten Würden von neuem eingesetzt. Das erste Gefühl bei seiner Rückkehr war eine unmäßige Begierde, sich an seinen Feinden zu rächen. Gegen Graf Panin, den er für den Schuldigsten hielt, richtete er denn auch all seine Nachtust. Plötzlich sah dieser Premierminister sich von allen Freunden verlassen. Seine Herrin vernachlässigte ihn. Saldern, seine Kreatur, von dem schon die Rede war2, hatte ihn umsonst in einen von ihm entworfenen Revolutionsplan zu verwickeln gesucht und schlug sich darum ebenfalls zur Partei Orlows. Diese beiden Männer, die ein gleiches Interesse verband, arbeiteten gemeinsam daran, den Premierminister bei der Zarin anzuschwärzen, der er stets redlich gedient hatte. Bei Hofe hielt man Panin ein paar Tage lang für rettungslos verloren. Zum Glück behauptete er sich; denn sein Sturz wäre für alle Mächte verderblich geworden, deren politisches System sie mit Rußland verband. Nichtsdestoweniger verzögerte diese Erschütterung die Ausführung vieler wichtiger Dinge, und der Danziger Hafen ward bis 1774 vergessen. Die Aufmerksamkeit des russischen Hofes war durch eine Menge von Geschäften in Anspruch genommen. Er vernachlässigte diese Kleinigkeit, und Graf Golowkin, der zur Beilegung des Streites nach Danzig geschickt war, blieb dort in völliger Untätigkeit.

Die inneren Wirren am Petersburger Hofe und die verschiedenen Parteien, die auf den Sturz ihrer Gegner hinarbeiteten, beeinflußten die Staatsgeschäfte und riefen neuen Hader hervor, bald wegen des Danziger Hafens, bald wegen des Zolls und schließlich wegen der Grenzen der neuen Erwerbungen. Die Unfreundlichkeit ging so weit, daß der König wegen eines Streifens jenseits der Netze, den er in seine Grenze einbezogen hatte, schikaniert wurde3. Ferner machte man ihm Schwierigkeiten wegen des Gebietes von Thorn, das er angeblich zu sehr eingeschränkt hatte, obgleich es nach den genauesten Karten geregelt war, die man sich hatte beschaffen können. Ähnliche Scherereien machten die Russen den Österreichern wegen eines ziemlich beträchtlichen Gebietes jenseits des Sanflusses, das sie sich angeeignet hatten. Der König versprach aus Gefälligkeit gegen die Zarin, sich in mancher Hinsicht ihren Wünschen zu fügen, allerdings unter der Bedingung, daß die Österreicher ein gleiches täten. Aber der


1 Gregor Alexandrowitsch von Potemkin.

2 Vgl. S.10 f. und 38.

3 Im Teilungsvertrage war bestimmt, daß die Netze die Grenze der preußischen Erwerbung bilden und „ganz“ an Preußen fallen sollte. Als Österreich seine Grenze über Bug und Weichsel durch Podolien bis zum Sbrucz vorschob, forderte König Friedrich noch einen Streifen auf dem rechten Ufer des Flusses, der bis zum Südende des Goplo-Sees reichte, das sogenannte Überschwemmungsgebiet der Netze, sowie den Bezirk zwischen dem Goplo-See und der „Alten Netze“.