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12. An General Bredow81-1
Über den Ruhm

Bredow, wer den Menschen richtig kennt,
Ihn mehr vernünftelnd als vernünftig nennt!
Sein Geist ist unstet, eitel, hohl und klein,
Er haßt das Echte und er liebt den Schein
Und läßt von Stolz und Schwäche sich regieren.

Was kann man Dümmeres vor Augen führen,
Als manche Gecken, die mit frechem Lachen
Anmaßend jedes Ding verächtlich machen,
Manch Tribunal, das nie ein Recht besaß
Und doch den Ruhm zu richten sich vermaß.
Drum sieht der Unsinn in den höchsten Ehren;
Ich selber mußte sehn und hören,
Wie man ein still Verdienst gewissenlos verhöhnte,
Vernunft verlachte und die Torheit krönte.

Aus Oczakow entsandte einst der Khan
Mustapha nach Berlin.81-2 Als wir ihn sahn,
Da reizten Bart und Kaftan unser Lachen.
Die Höflinge, die stets gern Witze machen
Und denen Moslims arg verdächtig schienen,
Verhöhnten ihre Sitten, ihre Mienen.
Sogar die Höflichsten verlachten die Tartaren,
Und keiner wußte, daß diese Barbaren,
<82>So sehr auch Kleid und Brauch uns trennen mochten,
Einst China und die Perser unterjochten.

Man hütet sich ja so vor ernstem Denken
Und läßt im Witz das bißchen Geist versprühn.
Ja, redet man nur lässig, frech und kühn,
Kann man die Welt nach seiner Laune lenken.
Demütig beugt sie ihr betörtes Haupt,
Der größre Narr dem kleinern Narren glaubt.
Ein stolzer Ton und eine freche Stirn
Beherrschen stets der Masse blödes Hirn...

Und doch bevölkert ja solch schielend Pack
Die ganze Welt, man trifft es jeden Tag.
Virgil wird leichter als Segrais82-1 gewogen,
August den Antoninen vorgezogen.
Gekrönte heil'ge Väter voller Lügen
Malten Julian mit des Tiberius Zügen.
Der fromme Trug bekehrte alle Welt,
Julian ward als ein Scheusal hingestellt,
Und erst nach tausend Jahren sprach ein Weiser82-2
Die Wahrheit über diesen großen Kaiser.
Hat ganz Paris nicht seinen Spott getrieben
Mit jenem Mann,82-3 der einst ein Werk geschrieben,
Worin er Feuris mit Homer vergleicht?
Doch Frankreich hielt dies Buch für hohl und seicht
Und lernte erst durch Fremde seinen Wert.

Auch London hatte Milton nie geehrt.
Nach seinem Tode erst sah England klar,
Wie schön das Epos seines Dichters war.
Das Werk war gut, es mußte immer taugen.
Talente zu durchschaun, bedarf es guter Augen.

Ihr wähnt, ein Buch, ein Stück sei nur vorhanden,
Damit es Eurer Laune dienstbar sei,
<83>Und wenn beim Händler Ihr ein Buch erstanden,
So glaubt Ihr gleich, Euch ständ' ein Urteil frei.
Der eine liebt es schlicht, der andre hochgesinnt,
Man dürfte über den Geschmack nicht zanken.
Doch jeder sammelt ernsthaft die Gedanken,
Wenn wichtige Dinge zu entscheiden sind,
Dinge, woran sein Glück, sein Leben hängt:
Da sieht man gleich, wohin die Narrheit lenkt...

Bredow, Ihr lacht ob meiner Argumente,
Als ob ich sie im Scherz nur nennte,
Der heitern Muse zum gefälligen Spiele,
Auf daß ihr Spott auf Narrn und Gaukler fiele?
Ihr glaubt, mich triebe wohl die Spottsucht heute,
Vernünftig wären doch die meisten Leute,
Ich malte ganz mit Teniers' dunklem Braun
Und ließe bloß des Pöbels Narrheit schaun.

Vielleicht! Doch was Ihr so den Pöbel heißt,
Umfaßt die meisten, und Ihr müßt gestehen:
Drei Viertel dieser Welt, wohin wir sehen,
Ist blind und toll und handelt ohne Geist...

Wenn so ein Dummkopf aus der Kirche schreitet,
Lauscht er dem Freigeist, der die „Schrift“ bestreitet,
Verschlingt mit Wonne die willkommnen Lehren
Und wähnt im Witz ein tiefes Wort zu hören.
Erst töricht ftomm, dann Freigeist kurzerhand,
Hat er sich schnell vom Christentum gewandt.
Sein Geist, der alsobald den Halt verlor,
Ist noch viel schwacher als ein schwankes Rohr.
Urteilen will das Volk, klug dünkt sich, wer belesen,
Vernünfteln, nicht Vernunft ist unser Wesen.

Laßt mich in Ruh mit Newtons hohem Lob,
Der über Plato sich und Archimedes hob
Und lehrte, wie wir um die Sonne kreisen.
So groß er war, er schrieb sein „Jüngst Gericht“ ;83-1
<84>Und wußt' er auch der Sterne Weg zu weisen,
Gleich uns verstand er doch Johannes nicht.

Was geht's mich an, ob kluge Köpfe irren
Und ewig tappen in den Finsternissen!
Doch kann es den gesunden Sinn verwirren,
Wie jetzt von tollem Rausch dahingerissen
Ein mächtig Volk, das sonst so ruhig bleibt,
Die Freiheit liebt und friedlich Handel treibt,
Sich nun, durch eines Schelmes Rat verblendet,
Im Bund mit Holland gegen Frankreich wendet84-1...

So wird denn, was ein blöder Schurke schwätzt,
Zur Meinung einer unvernünftigen Masse.
Heut lobt sie Euch und tadelt Euch zuletzt
Und pendelt zwischen Gunst und blindem Hasse.
Selbst über Helden sitzt sie zu Gericht,
Doch deren wahres Wesen kennt sie nicht.

Mit blutiger Stirn, gefolgt von Kriegerscharen,
Reißt Mars das Tor des Ianustempels auf.
Man sieht die Schwerter aus den Scheiden fahren,
Man trägt die Fahnen vor im Sturmeslauf.
Dann nimmt das Volk für einen Herrn Partei
Und ftagt nicht, was der Grund des Kampfes sei.
So sah ich das betörte Volk der Deutschen,
Wie sie so blind den echten Freund verkannt.
Vergessen waren Österreichs Sklavenpeitschen,
Und für Theresia waren sie entbrannt.
Man schalt auf Kaiser Karl,84-2 auf Preußen, Bayern,
Es galt ja, den besiegten Franz84-3 zu feiern.

Wie drollig, wenn das Volk sich unterfängt,
Die Kriegskunst eines Helden zu verachten.
Wer nie ein Lager sah, nie eine Schlacht gelenkt,
<85>Der redet klug von Lagern und von Schlachten.
Und jeder urteilt in so schweren Sachen,
Die Weiber selbst am Rocken — 's ist zum Lachen!
Da geht man kurzerhand mit Generälen,
Ministern, ja mit Herrschern ins Gericht,
Sucht ihre Fehler aufzuzählen,
Und selbst am Webstuhl schweigt man nicht.
Schwer ist es, Ruhm und Ehre zu bewahren,
Das Volk ist stets zu ihrem Sturz bereit.
Nicht Taten noch Talent, nicht Zepter noch Tiaren,
Nichts wird verschont von dieser tollen Zeit.

Selbst Colbert, der Talent und Künste schützte
Und trefflich diente Frankreichs Majestät,
Er, der am meisten seinem Volke nützte,
Ward noch nach seinem Tode frech geschmäht.85-1
Der große Ludwig, der Europa zwang,
Das Glück des Landes und des Kaisers Schrecken,
Wie wollten Künste, Siege und Gesang
Ihn stets mit neuen Ehren überdecken!
Doch als der Tod die Augen ihm geschlossen,
Verhöhnte man des Grabes Heiligtum,
Und der Franzose, frech und voller Possen,
Befleckte seines größten Königs Ruhm.85-2

Bredow, so ist das Volk, die blöde Masse;
Sie opfert alles ihrem blinden Hasse:
Ein seltsam Federvieh, das alles hört und sieht,
Von Land zu Land mit Wundermären zieht,
Das niemals seine Neugier stillt,
Die Wahrheit stets in Lügenkleider hüllt.
Und aus Kabalen und gemeinem Neid,
Verleumdung, Haß und andrer Schändlichkeit
Braut dieses Untier seine Schreckensmären,
Bald kann man sie auf allen Gassen hören.
Wen dieses Monstrum biß, der fühlt es ewig brennen.

Kann man den Menschen noch vernünftig nennen,
Der Zeit und Ruh und Freuden daran gibt
<86>Und Müh und Sorgen überreich verschwendet,
Damit das flatterhafte Volk ihn liebt
Und staunend seine Augen auf ihn wendet?!
Ja, dieses Volk, das stets voll Irrtum ist
Und das so falsch den Ruhm der Toten mißt!

O Ruhm, o Wahn, hör' auf, uns zu verführen!
Nur Tugendliebe soll allein uns rühren.
Ich laß mich ganz von meinem Herzen lenken,
Erborgten Lorbeer soll man mir nicht schenken.
Soll ich denn von der Laune blinder Massen
Mir Namen und Verdienst bestimmen lassen?
Hab' ich die Tugend für ihr Lob geliebt?
Ob ruhmbedeckt, mit Tadel nur beladen —
Ich lache ob des Weihrauchs, der zerstiebt,
Und ob des Ruhms von Volkesgnaden.


81-1 Generalmajor Asmus Ehrentreich von Bredow (vgl. S. 78) hatte den Winter 1750/51 in der Umgebung des Königs in Potsdam verlebt. Er wurde 1752 Mitglied der Akademie und starb 1756 als Generalleutnant.

81-2 Im Juli 1750 war der Tartarenoberst Mustapha Aga in Berlin erschienen, um dem König die Hilfe des Groß-Khans der Krim, Aslan Geray, gegen Rußland anzubieten, und von Friedrich am 27. Inli in Audienz empfangen worden.

82-1 Jean Regnauld de Segrais (1624—1701), französischer Dichter, der auch Virgils Werke ins Französische übertragen hat.

82-2 Anmerkung des Königs: „Abbe de la Blatterte“ (vgl. S. 11).

82-3 Anmerkung des Königs: „Abbé Dubos.“ Dieser war der Verfasser des Werkes: „Réflexions critiques sur la poésie et sur la peinture“ (Paris 1719).

83-1 Vgl. Bd. VII, S. 76 und 239.

84-1 Es handelt sich um den Entschluß Englands im Frühjahr 1743, die Offensive gegen Frankreich in Deutschland zu ergreifen, und um den Anschluß Hollands (vgl. Bd. II, S. 126.136. 140.146). Diese Wendung wurde durch die Treibereien eines „Schelmes“, des Herausgebers der „Gazette de Cologne“, namens Rodérique, herbeigeführt.

84-2 Kaiser Karl VII.

84-3 Großherzog Franz Stephan von Toskana, der Gemahl Maria Theresias.

85-1 Vgl. S. 6.

85-2 Vgl. S 7.