<310> wohllautend. Gewöhnlich ist es aber nichts als ein schwülstiges Geschreibsel. In der Geschichte würden sie nicht die geringfügigste Kleinigkeit auslassen, selbst wenn sie ganz nutzlos wäre. Am besten sind ihre Schriften über das Völkerrecht. Mit Philosophie hat sich seit dem genialen Leibniz und der dicken Monade Wolff1 niemand mehr befaßt. Sie bilden sich ein, gute Theaterstücke zu haben, aber bisher ist nichts Vollkommenes erschienen.

Deutschland sieht heute auf der gleichen Stufe wie Frankreich unter Franz I. Der Kunstgeschmack beginnt sich zu verbreiten. Man muß abwarten, bis die Natur wirkliche Genies hervorbringt, wie unter Richelieus und Mazarins Regierung. Der Boden, der einen Leibniz hervorbrachte, kann auch andre erzeugen.

Diese schönen Tage meines Vaterlandes werde ich nicht mehr erleben, aber daß sie kommen können, sehe ich voraus. Sie werden mir sagen, das ließe Sie völlig kalt und ich spielte ganz nach Lust und Laune den Propheten, indem ich den Zeitpunkt meiner Prophezeiung nach Kräften hinausschöbe. Doch das ist nun meine Art zu prophezeien, und zwar die allersichersie, da mich niemand Lügen strafen kann.

Der König an Voltaire
(8. September 1775)

Sie haben Recht: unsre biedren Germanen stehen erst im Morgenrot der Bildung. Deutschland ist heute auf der gleichen Stufe, auf der sich die Künste zur Zeit Franz' I. befanden. Man liebt sie und verlangt nach ihnen; Fremde verpflanzen sie zu uns, aber der Boden ist noch nicht hinreichend vorbereitet, um sie selber hervorzubringen. Der Dreißigjährige Krieg hat Deutschland mehr geschadet, als das Ausland glaubt. Wir mußten zunächst wieder die Felder bestellen, dann Gewerbfleiß schassen, schließlich etwas Handel treiben. In dem Maße, wie wir darin weiterkommen, entstehen Wohlstand und Luxus, ohne den die Künste nicht gedeihen können. Die Musen wollen, daß die Fluten des Paktolos den Fuß des Parnaß netzen. Man muß sein Auskommen haben, um sich bilden und frei denken zu können. In der Bildung und den schönen Künsten hat Athen denn auch Sparta überflügelt. Geschmack wird sich in Deutschland nur durch besonnenes Studium des klassischen Schrifttums verbreiten, sowohl des griechischen wie des lateinischen und französischen. Zwei oder drei Genies werden die Sprache berichtigen, ihre Barbarei mildern und die Meisterwerke des Auslands bei uns heimisch machen.


1 Vgl. S. 260.