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14. Kapitel

Worauf der Fürst im Kriegswesen zu sehen hat.

Jede Berufsart hat ihre eigene Pedanterie, eine Folge der übereifrigen und einseitigen Hingabe an sie; sie führt zu Übertreibungen und setzt ihre Träger der Lächerlichkeit aus. Mit nachsichtigen Augen betrachten wir jene Arbeiter der Gelehrtenrepublik, die sich im Weisheitssiaube des Altertums, im Dienste der Fortschritte der Wissenschaft eingraben, die aus diesem Dunkel heraus sozusagen ihr Licht über das Menschengeschlecht leuchten lassen, die ihr Leben zubringen mit den Toten und den Schriftstellern der alten Welt, die sie aus dem Grunde kennen, zu Nutz und Frommen der Lebenden, der Menschen ihrer Zeit, die sie herzlich wenig kennen.

Diese Kleinmeisterei, die man sich, bis zu einem gewissen Grade, bei Gelehrten ersten Ranges gefallen läßt, weil ihre Tätigkeit sie hindert, sich umzutun in der Zeit und unter Menschen, die ihnen einigen Schliff geben könnten — diese Art wird ganz unerträglich bei Kriegsleuten, und zwar aus dem entgegengesetzten Grunde.

Ein Soldat wird zum Pedanten, wenn er auf Kleinlichkeiten versessen ist, wenn er in Maulheldentum und Donquichotterie verfällt. Diese Fehler machen ihn in seinem Berufe ebenso lächerlich, wie den Mann der Wissenschaft seine siubenhockerische Welt, fremdheit.

Machiavell setzt in seiner Begeisterung seinen Fürsten dieser Lächerlichkeit aus: er versielgt sich bis zu der Forderung, sein Fürsi müsse ganz und gar nur Soldat sein, und macht so einen richtigen Don Quijote aus ihm, der nichts denkt und träumt<55> als Schlachtfelder, Verschanzungen, Belagerung von festen Plätzen, Schlachtordnungen, Angriffe, Stellungen und Befestigungen. Ein Wunder nur, daß der Verfasser nicht darauf verfällt, ihn mit Suppen in Gestalt von Außengräben, Pasteten in Bombenform und Torten in Form von Bastionen füttern zu lassen, und daß er ihn nicht wider Windmühlen, Schafherden und Strauße anrennen läßt, wie der liebenswürdige Phantast Miguel Cervantes.

Solche Entgleisungen gibt's, sobald man sich von der Mittelstraße der Besonnenheit verliert, die auf sittlichem Gebiete das gleiche bedeutet wie in der Mechanik der Schwerpunkt.

Ein Fürst erfüllt nur die eine Hälfte seiner Bestimmung, wenn er sich bloß dem Kriegshandwerk widmet; es ist geradezu verkehrt, daß er nichts als Soldat sein soll. Man erinnere sich meiner Ausführungen über den Ursprung der Fürsten im ersten Kapitel dieses Buches: Fürsten sind in erster Ltnie Richter; sind sie Feldherren, so sind sie's im Nebenamt. Machiavell gleicht den Göttern Homers, die stark, wehrhaft und machtvoll sind, niemals aber gerecht und billig. Nicht einmal das Abc der Gerechtigkeit kennt er, nur Selbstsucht und Gewalt.

Die Gedanken unseres Verfassers kriechen alle am Boden, sein beschränktes Vorstellungsvermögen umfaßt nur Rücksichten, wie sie den Machtbedürfnissen kleiner Fürsten entsprechen. Nichts Kümmerlicheres zum Beispiel als seine Gründe, mit denen er den Fürsten das Weidwerk ans Herz legt: sie würden auf diese Weise die Bodenbeschaffenheit und die gangbaren Straßen ihres Landes kennen lernen! Man denke sich einen König von Frankreich oder einen Kaiser solchermaßen um die Geländekenntnis innerhalb ihrer Staaten bemüht: sie brauchten ebensoviel Zeit, mit ihren Jagden herumzukommen, wie der Ablauf eines Sonnenjahres beträgt.

Man gestatte mir hier, bei einer Abschweifung auf das Weidwerk etwas zu verwetten; die Sache verdient es vielleicht, ist doch diese Kurzweil fast beim ganzen Adel und Hochadel und bei den Königen Gegenstand leidenschaftlicher Beliebtheit. Die meisten Könige und Fürsien bringen dreiviertel ihrer Lebenszeit damit zu, die Wälder zu durchstreifen, das Wild zu Hetzen und zu erlegen. Sollte dieses Buch in ihre Hände fallen, obwohl ich nicht eingebildet genug bin, ihnen zugunsten meiner Schriftsiellerei ein Opfer an ihrer Zeit zuzumuten, die dem Wohle der Menschheit gehört, dann bitte ich sie, meiner Wahrheitsliebe zugute halten zu wollen, wenn meine Ansichten vielleicht den ihrigen zuwiderlaufen. Schmeichlerische Lobreden zu verfassen isi nicht meine Sache, meine Feder ist nicht käuflich; meine Absicht bei diesem Werke ist allein, mir selbst Befriedigung zu verschaffen, indem ich mit aller denkbaren Freiheit die Wahrheiten, von denen ich überzeugt bin, oder Dinge, die mir vernünftig erscheinen, ausspreche. Isi nach alledem ein Leser von so verderbtem Geschmack, daß er die Wahrheit nicht liebt oder nicht verträgt, was seiner Denkweise widerstreitet, so braucht er ja mein Buch nur in die Ecke zu werfen; niemand wird ihn zum Lesen zwingen.

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Ich kehre zu meinem Gegenstand zurück. Das Weidwerk ist einer jener sinnlichen Genüsse, die dem Leibe stark zu schaffen machen, dem Geiste aber nichts geben: eine Leibesübung und Gewandtheit im Morden des Wildes, eine fortgesetzte Zerstreuung, ein geräuschvolles Vergnügen, das die innere Leere ausfüllt, die Seele aber für jeden anderen Gedanken unempfänglich macht; ein brennendes Verlangen, irgendein Stück Rotwild zu Hetzen, und dann die grausame und blutige Genugtuung, es zur Strecke zu bringen; mit einem Wort, ein Vergnügen, das den Leib stählt, den Geist brach und ungepflegt läßt. Die Jäger werden mir sicherlich vorwerfen, ich nähme die Dinge zu streng, spielte den gar zu unerbittlichen Kritiker und befände mich in der angenehmen Lage des Kanzelredners, der mit seinem Vorrecht, allein in der Gemeinde das Wort zu führen, leichtlich darauf losreden dürfe, ohne Widerspruch befürchten zu müssen; nun, ich verzichte gern auf diesen Vorteil und will in aller Ehrlichkeit die Scheingründe, die die Liebhaber des Weidwerks vorbringen, erörtern. Da heißt's zuerst, die Jagd ist das edelste und älteste Vergnügen der Menschen; die Patriarchen und viele von den großen Männern sind Jäger gewesen; in der Jagd bewähren die Menschen immer noch jene Herrenmacht über die Tiere, die Gott selbst einst Adam verliehen hat. Meinetwegen mag immer die Jagd so alt sein wie die Welt, aber was alt ist, ist doch darum nicht besser. Und wenn große Männer die Jagd geliebt haben, gut, sie hatten eben auch ihre Fehler und Schwächen: so wollen wir uns doch an das halten, was groß an ihnen war, und nicht ihre Mängel nachahmen. Die Patriarchen haben auch gejagt — sie haben auch ihre Schwestern geheiratet, die Vielweiberei war zu ihrer Zeit auch tm Schwang! Die guten Patriarchen und unsere teuren Voreltern rochen eben noch gehörig nach der Barbarei, darin sie staken: es waren grobschlächtige, unwissende Gesellen, Tagediebe, die nicht wußten, wohin mit der vielen, vielen Zeit: um sie totzuschlagen, führten sie ihre Langeweile auf die Jagd, verbrachten in den Wäldern, auf der Wildhatz die Stunden, die sie in Ermangelung geistiger Fähigkeiten nicht im Kreise gescheiter Menschen zuzubringen wußten. Ja, sind das nun nachahmenswerte Muster, soll die Ungeschlachtheit Lehrmeisterin der Lebensart sein? Oder sollen nicht vielmehr aufgeklärte Jahrhunderte anderen zum VorbUde dienen?

Ob Adam die Herrschaft über die Tierwelt empfing oder nicht, ist nicht meine Sorge. Ich weiß nur, daß wir, grausamer und wilder als die Tiere selbst, diese angemaßte Herrschaft recht tyrannisch ausüben. Höchstens dürfte uns doch unsere über-legene Vernunft ein Übergewicht über die Tiere geben; nun, das Hirn derer, die mit Leib und Seele der Jagd ergeben sind, ist meist nur mit Pferden, Hunden und sonstigem Getier ausgefüllt; sie sind meist ungeschliffene Leute und sind ihrer Leidenschaft gewöhnlich mit Haut und Haaren verfallen, was nicht ganz ungefährlich ist, da es naheliegt, daß sie ihre Unempfindlichkeit, die sie beim Tiere an den Tag legen, auch gegen den Menschen erweisen, zum mindesten, daß ihre grausame Gewöhnung, kalten Bluts das Leiden der Kreatur anzusehn, ihr Mitgefühl mit dem<57> Leide von ihresgleichen abstumpft. Das wäre also das gepriesene adlige Vergnügen? Das wäre eine Beschäftigung, eines denkenden Wesens würdig?

Die Jagd stählt aber die Gesundheit, wird man einwenden; die Erfahrung lehrt, daß Jäger zu hohen Jahren kommen; schließlich ist's doch ein unschuldiges Vergnügen und recht geschaffen für hohe Herren: sie können fürstlichen Glanz dabei entfallen, außerdem zerstreut es ihre Sorgen, bietet ihnen in Friedenstagen Bilder des Krieges, und der Fürst lernt auf der Wildbahn das Gelände, Weg und Steg, kurz, sein eigen Land in jeder Hinsicht gründlich kennen.

Nennst du mir die Jagd eine Leidenschaft, so kann ich dich nur beklagen, daß du keine ersprießlichere hast; will dich im übrigen einigermaßen entschuldigen und mich auf den guten Rat beschränken, sie wenigstens an den Zaum zu nehmen, wenn du sie nicht ganz zu unterdrücken vermagst. Nennst du das Weidwerk ein Vergnügen, so antworte ich: Recht so, genieße es, doch ohne Übertreibung; Gott behüte mich, ein Vergnügen zu verdammen! Im Gegenteil! Alle Pforten der Seele möcht' ich auftun, daß die Freude beim Menschen einziehe. Willst du mir aber die Jagd für etwas besonders Gutes und besonders Nützliches ausgeben, so laß dir sagen: Mag dir der Selbstbetrug der Eigenliebe und die Leidenschaft, die lügt, wenn sie zu Worte kommt, auch hundert Gründe einblasen, mit so windigen Gründen speist man mich nicht ab! Schminke auf ein garstiges Gesicht! Du kannst uns nicht überzeugen, so willst du uns dumm machen. Und wenn ein Faulpelz und Nichtstuer es zu hohen Jahren bringt, was hat die Allgemeinheit davon? Wie sagt der Dichter57-1?

„Ein Heldenleben mißt man nach der Zahl Der Jahre nicht!“

Nichts liegt daran, daß ein Mensch den Faden fauler, wertloser Tage bis zu Methusalems Alter hinspinne; nein, je mehr er seine Vernunft gebraucht, je mehr des Vorbildlichen und des Nützlichen er geleistet hat, um so mehr hat er gelebt.

Gerad heraus, die Jagd ist von allen Vergnügungen die, so den Fürsten am allerwenigsten ansieht. Mögen sie Glanz und Pracht anderweitig zum besten geben, wo das Volk etwas davon hat. Sollte der Wildbestand so überHand nehmen, daß der Bauer darunter leidet, so gibt das für Iägersleute einen sehr schönen Auftrag, die mögen die Tiere abschießen. Fürsten haben wirklich andere Obliegenheiten: sie sollen vor allem etwas lernen, sollen Kenntnisse erwerben und die Gewandtheit, zusammenhängend zu denken. Klare und richtige Gedanken verlangt von ihnen ihr Beruf, dafür können sie ihren Geist nicht genug schulen. Da nun aber die Menschen sehr von Gewöhnungen abhängen und die Einwirkung ihres Tuns und Treibens auf ihre Gedankenwelt garnicht abzuschätzen ist, so sollte es eigentlich naheliegen, daß sie die Gesellschaft gebildeter Geister, die ihnen Anmut des inneren Menschen zu geben ver<58>mögen, dem Umgang mit Dummköpfen vorzögen, von denen sie nur Roheit und ungesittetes Gebaren lernen können. Denn wer seinen Geist auf die Höhe bewußter Denktätigkeit eingestellt hat, wie hoch sieht er über denen, die ihre Vernunft der Oberherrschaft der Sinne unterwerfen! Die Tugend des Maßhaltens, eine notwendige Fürsientugend, sucht man beim Jäger vergebens; das allein genügt eigentlich, die Jagd zu einer verwerflichen Sache zu machen.

Um auch allen anderen noch möglichen Einwürfen zu begegnen und auf Machiavell zurückzukommen, muß ich wohl noch bemerken: für einen Feldherrn von Bedeutung ist das Weidwerk durchaus nicht unerläßlich! Gustav Adolf, Lord Marlborough, Prinz Eugen sind allesamt keine Jäger gewesen, und ihnen wird man den Namen hervorragender Männer und fähiger Heerführer wohl nicht absprechen! Will einer gescheite und zuverlässige Beobachtungen über Geländebeschaffenheit anstellen und strategische Erwägungen darüber, so gelingt ihm das viel leichter auf einsamer Streife ohne die Störung durch Feldhühner, Hühnerhunde, Hirsche, die Unruhe einer Meute und das wilde Toben der Jagd. Ein namhafter Fürst, der mit den Kaiserlichen den zweiten Feldzug in Ungarn mitmachte58-1. wäre um ein Haar in die Hände der Türken gefallen, weil er sich auf der Jagd verirrt hatte. Im Heere sollte das Jagen geradezu verboten sein, es hat schon zuviel Unordnung auf den Märschen veranlaßt. Wie viele Offiziere, anstatt bei der Truppe zu bleiben, haben sich schon pflichtwidrig von ihrem Posten entfernt; ganze Abteilungen gerieten aus ähnlichen Ursachen in Gefahr, vom Feinde überrumpelt und aufgerieben zu werden.

Ich komme demnach zu dem Schluß: es ist zwar verzeihlich, wenn ein Fürst auf die Jagd geht, vorausgesetzt, daß es nur selten und zur Erholung von seiner ernsten und manchmal sorgenvollen Tätigkeit geschieht. Eigentlich ist aber die Jagd nur für Leute da, denen sie ihren Beruf, das Mittel ihres Fortkommens bedeutet; sonst sind vernunftbegabte Menschen zum Denken und zum Handeln auf der Welt, und ihr Dasein ist zu kurz bemessen, als daß sie seine kostbaren Augenblicke so sträflich vergeuden dürften.

Oben sagte ich, die erste Fürstenpfiicht sei, des Rechtes zu walten. Die zweite, füge ich hier zu, die gleich hinter jener kommt, besieht im Schutz und der Verteidigung des Staates. Die Herrscher sind verpflichtet, Zucht und Ordnung in den Truppen aufrechtzuerhalten. Für ihre Person liegt ihnen ob, ein ernstes Studium an das Kriegshandwerk zu wenden, denn sie sollen sich auf die Heerführung verstehen; sie sollen imstande sein, Feldstrapazen zu ertragen; sollen wissen, wo und wie man ein Lager anlegt, überall für reichliche Verpflegung sorgen, kluge und gute Dispositionen treffen. Von ihnen verlangt man schnelle und richtige Entschlüsse; in schwierigen Lagen soll ihr Kopf Auskunft und Hilfsmittel bereit haben; aus dem Glück<59> wie aus dem Unglück sollen sie Gewinn schlagen und es niemals an Rat und Voraussicht fehlen lassen. Fürwahr, das heißt viel fordern von der menschlichen Kraft!

Derartige Leistungen darf man sich indessen eher von einem Fürsten versprechen, der die Sorge um die Entwicklung seiner geistigen Fähigkeiten ernst nimmt, als von Leuten, deren Denken immerdar nur am Stoffe haftet, die nur die feineren oder gröberen Antriebe der Sinnlichkeit kennen. Es ist eben mit den geistigen Fähig, leiten ebenso bestellt wie mit den körperlichen: bildet einer seinen Körper im Tanzen aus, so gewinnt er Haltung, Geschmeidigkeit und Gewandtheit; vernachlässigt er ihn, so wird er krumm, büßt seine Anmut ew, wird schwerfällig, unbeholfen und mit der Zeit unfähig zu jeder Kraftleistung.


57-1 Vgl. Jean Baptiste Rousseau, Oden, Buch II, Ode X.

58-1 Großherzog Franz Stephan von Toskana geriet auf der Jagd bei Kolar in Serbien 1737 beinahe in türkische Gefangenschaft.