<74>innerung an ihre Fehler und dummen Streiche mit ihnen. Zeitgenossen, die etwa wider sie Zeugnis ablegen könnten, weilen nicht mehr unter den Lebenden, und das Volk hat nichts mehr einzuwenden gegen die Heiligkeit, die man ihm einreden will.

Doch man verzeihe diese Abschweifung. Im übrigen gebe ich zu, daß es bittere Notwendigkeiten gibt, da ein Fürst wohl oder übel seine Verträge und Bündnisse brechen muß. Doch muß er auch in solcher Zwangslage auf Anstand halten und seine Verbündeten rechtzeitig benachrichtigen; jedenfalls bleibt die Voraussetzung dafür immer: daß das Heil seines Volkes es gebietet und eine ernste Notlage es zur Pflicht macht.

Widersprüche, die sich auf dem Fuße folgen, wie ich sie soeben einer gewissen Macht zum Vorwurf machte, finden bei Machiavell sich in Fülle. In einem und demselben Absatz sagt er an erster Stelle: „Es ist notwendig, daß einer barmherzig, treu, mild, fromm und redlich erscheine, und man soll es auch in Wirklichkeit sein.“ Und bald darauf: „Unmöglich kann ein Fürst all das beobachten, was sonst zu einem Menschen, wie er sein muß, gehört; er muß sich also entschließen, sich danach einzurichten, wie just der Wind weht und das Schicksal gelaunt ist; dabei, soweit es möglich ist, niemals sich vom geraden Wege trennen; zwingt ihn dazu aber die Notwendigkeit, so kann er's ruhig auf den Eindruck eines solchen Seitensprungs ankommen lassen.“

Man muß zugeben, das ist ein haarsträubender Gedankenwust! Wer sich solchen gestalt äußert, der weiß selber nicht, was er sagen will, und ist nicht wert, daß man sich den Kopf zerbricht, um sein Rätsel aufzulösen oder sein Chaos zu lichten.

Noch eine einzige Bemerkung zum Schluß. Beachtenswert ist die Fruchtbarkeit, mit der die Lasier unter den Händen Machiavells sich fortpflanzen. Daß ein Fürst zu seinem Unglück nicht gläubig ist, genügt ihm nicht; er will seinen Unglauben noch mit Scheinheiligkeit krönen. Er meint, ein Fürst könne damit, daß er dem Kardinal Polignac den Vorzug vor Lucrez gibt1, dem Volke eher ans Herz greifen als mit aller schlechten Behandlung, die es von ihm erdulden muß. Mancher teilt seine Auffassung; was mich anlangt, so meine ich, bei Verirrungen des Denkens sei Nachsicht am Platze, wofern sie keinen Verderb des Herzens nach sich ziehen, und daß ein Volteinen Fürsien, der nichts glaubt, aber ein Ehrenmann ist und sein Bestes will, eher lieben wird als einen rechtgläubigen Bösewicht. Nicht was die Fürsien denken, macht die Menschen glücklich, sondern was sie leisten.


1 Der Kardinal Melchior von Polignac war der Verfasser eines lateinischen Gedichtes „Der Antilucrez“.