<57> Leide von ihresgleichen abstumpft. Das wäre also das gepriesene adlige Vergnügen? Das wäre eine Beschäftigung, eines denkenden Wesens würdig?

Die Jagd stählt aber die Gesundheit, wird man einwenden; die Erfahrung lehrt, daß Jäger zu hohen Jahren kommen; schließlich ist's doch ein unschuldiges Vergnügen und recht geschaffen für hohe Herren: sie können fürstlichen Glanz dabei entfallen, außerdem zerstreut es ihre Sorgen, bietet ihnen in Friedenstagen Bilder des Krieges, und der Fürst lernt auf der Wildbahn das Gelände, Weg und Steg, kurz, sein eigen Land in jeder Hinsicht gründlich kennen.

Nennst du mir die Jagd eine Leidenschaft, so kann ich dich nur beklagen, daß du keine ersprießlichere hast; will dich im übrigen einigermaßen entschuldigen und mich auf den guten Rat beschränken, sie wenigstens an den Zaum zu nehmen, wenn du sie nicht ganz zu unterdrücken vermagst. Nennst du das Weidwerk ein Vergnügen, so antworte ich: Recht so, genieße es, doch ohne Übertreibung; Gott behüte mich, ein Vergnügen zu verdammen! Im Gegenteil! Alle Pforten der Seele möcht' ich auftun, daß die Freude beim Menschen einziehe. Willst du mir aber die Jagd für etwas besonders Gutes und besonders Nützliches ausgeben, so laß dir sagen: Mag dir der Selbstbetrug der Eigenliebe und die Leidenschaft, die lügt, wenn sie zu Worte kommt, auch hundert Gründe einblasen, mit so windigen Gründen speist man mich nicht ab! Schminke auf ein garstiges Gesicht! Du kannst uns nicht überzeugen, so willst du uns dumm machen. Und wenn ein Faulpelz und Nichtstuer es zu hohen Jahren bringt, was hat die Allgemeinheit davon? Wie sagt der Dichter1?

„Ein Heldenleben mißt man nach der Zahl Der Jahre nicht!“

Nichts liegt daran, daß ein Mensch den Faden fauler, wertloser Tage bis zu Methusalems Alter hinspinne; nein, je mehr er seine Vernunft gebraucht, je mehr des Vorbildlichen und des Nützlichen er geleistet hat, um so mehr hat er gelebt.

Gerad heraus, die Jagd ist von allen Vergnügungen die, so den Fürsten am allerwenigsten ansieht. Mögen sie Glanz und Pracht anderweitig zum besten geben, wo das Volk etwas davon hat. Sollte der Wildbestand so überHand nehmen, daß der Bauer darunter leidet, so gibt das für Iägersleute einen sehr schönen Auftrag, die mögen die Tiere abschießen. Fürsten haben wirklich andere Obliegenheiten: sie sollen vor allem etwas lernen, sollen Kenntnisse erwerben und die Gewandtheit, zusammenhängend zu denken. Klare und richtige Gedanken verlangt von ihnen ihr Beruf, dafür können sie ihren Geist nicht genug schulen. Da nun aber die Menschen sehr von Gewöhnungen abhängen und die Einwirkung ihres Tuns und Treibens auf ihre Gedankenwelt garnicht abzuschätzen ist, so sollte es eigentlich naheliegen, daß sie die Gesellschaft gebildeter Geister, die ihnen Anmut des inneren Menschen zu geben ver-


1 Vgl. Jean Baptiste Rousseau, Oden, Buch II, Ode X.