<402>

Dritter Gesang
Heerführung im Großen

Des Krieges Rüstzeug ward Dir wohlbekannt.
Doch wer nur eines Tapfren Ruf erringt,
Gilt mehr als andre nicht im Kriegerstand:
Des Meisters Blick nach höhern Sphären dringt.
Folg in den Tempel mir; dort wirst Du schauen
Das Heiligste, dem Pöbel unbekannt.
Siehst Du die Pfade dort, die steilen, rauhen,
Von Heldenblut gefärbt, am Abgrundsrand,
Und auf dem Felsenhaupt im Wolkenflor
Die stolzen Dächer und das hohe Tor?
Bis zum Olymp ragt ihrer Hallen Pracht,
Wo die Unsterblichen zu Rate sitzen;
Ihr ehrner Fuß taucht in des Orkus Nacht.
Bedräun Dich auch mit ihrer Augen Blitzen
Alekto dort, die Zwietracht und der Tod,
Die grimmen Hüter an dem Schreckensorte —
Dich ruft der Ruhm; Dir gilt nur sein Gebot:
So folg ihm nach; er öffnet Dir die Pforte.

Der keuschen Schwestern Sitz im Vorhof ist:
Ihr nützlich Schaffen wird dort hoch geehrt.
Den Zirkel in der Hand, Urania lehrt,
Wie man der Erde Kugelfläche mißt.
Mit kundigem Griffel bildet sie die Welt
Im kleinen nach auf jeder Hemisphäre,
Umzieht der Länder Grenzen und der Meere,
Und jeder Punkt wird treulich festgestellt.
Vauban402-1 und Sanson402-2, würdig ihrer Gunst,
Belehren dort die Jugend in der Kunst
Und zeigen auf der Kriegestarten Plan

<403>

Die Länder, Städte, die Gebirge, Flüsse,
Der Heeresstraßen wohlvertraute Bahn,
Die Festen, die ein Sturm bezwingen müsse,
Und jene, die zu brechen eitler Wahn.

Kalliope umringt ein andrer Kreis.
Der Helden und der Könige Geschichte
Lauscht jedes Ohr, und ihrer Taten Preis
Entstammt der Hörer Sinn. Zum Weltgerichte
Erhebt ihr Urteil sich in Lob und Tadel.
Sieh dort das Recht mit königlichem Adel
Den Eigendünkel aus dem Vorhof jagen!
Mit strengem Munde predigt es der Jugend
Der Ehre Pflichten und der lautren Tugend,
Heißt sie der Selbstsucht und dem Grimm entsagen,
Erdrückt des Neides grausen Schlangenknäul,
Lehrt menschlich sein in all dem Mord und Gräul,
Nur für das Vaterland das Leben wagen.

Tritt näher! In der Hand ein blitzend Schwert,
Tut Dir Bellona auf die Eisenpforte,
Die sie den niedren Kriegern streng verwehrt.
Sie führt Dich zu dem scheu verehrten Orte,
Den sie Erwählten nur zu schaun gewährt.

In dieses Tempels Schoß, von Licht umwoben,
Auf güldnem Thron von hehrer Majestät,
Von Flügelgeistern in die Luft erhoben,
Der grause Gott in seinem Glanze steht.
Und neben ihm der unverzagte Mut,
Der feste Sinn, beherzt und ewig gleich,
Die emsige Arbeit, sie, die nimmer ruht,
Die List mit schlauem Blick, an Ränken reich,
Die immer neue Hilfe sich ersinnt,
In klug erborgter Form der Not entrinnt
Und Proteus gleich sich ewig neu gestaltet,
Erfindungsgabe, deren Auge sprüht,
Des Gottes voll, der ihr im Busen wallet:
Ihr rascher Geist von tausend Plänen glüht,
Die dann Minervas weiser Sinn erwägt; —
<404>Und sie, die scheu die Blicke niederschlägt:
Verschwiegenheit, den Finger auf dem Wund,
Des Mars Vertraute: ihr ist alles kund.

Des Lorbeers Immergrün umsprießt den Thron.
Ihn spendet selbst der Gott als Heldenlohn
Den Auserwählten, die den Sieg erzwangen —
Der Lorbeer, der mit zaubervoller Macht
Die Krieger reißt in das Gewühl der Schlacht,
Ertötend jedes irdische Verlangen.

In diesem Tempel, glänzend von Trophäen,
Darin der Weltgeschichte Würfel fallen,
Siehst Du in erzgeschmückten Säulenhallen
Ringsum der Göttersöhne Bilder stehen.
Dort jene beiden404-1, wohl an Ehren gleich,
Doch ungleich in der Bahn, die sie betraten:
Der schlug Pompejus, der bezwang das Perserreich;
Noch ist die Welt erfüllt von ihren Taten.
Miltiades und Kimon dort, sein Sohn404-2,
Dort Romas Heldenschar am Götterthron:
Ämilius404-3, Scipio, Fabius; dort sieh
Ludwig von Baden404-4, Montecuccoli.
Dort der Franzosen reiche Heldenschar,
Condé und Heinrich404-5, Turenne und Villars;
Der Große Kurfürst, Schwedens Siegesheld404-6,
Eugen und Anhalt; hier, jüngst aufgestellt,
Ein neues Denkmal in der Schönheit Glanz;
Die Stirn umschlingt ein frischer Lorbeerkranz:
Moritz von Sachsen, Frankreichs beste Kraft,
Von Mars auf weichen Kissen hingerafft404-7.

Hierher nun tretet, junge Krieger, seht!
Das Haupt umwallt von langem Silberhaare,
Gebeugt die Glieder von der Last der Jahre:

<405>

Erfahrung ist's, die Euch vor Augen steht,
Den Leib bedeckt mit Narben und mit Wunden,
Doch ungebrochen von der Flucht der Stunden,
Vor denen alles Menschenwerk vergeht.
Was je sich zutrug — ihr ist es bekannt.
Heimisch in jeder Zeit, in jedem Land,
Erzählt sie, was sie weiß. Vernehmt, wie klug
Scipio nach Afrika die Waffen trug
Und Rom bewahrte vor dem nahen Fall;
Fort lockt' er so den grausen Hannibal
Zum Strand Karthagos, zwang ihn dort zum Streit405-1
Ein kleinrer Geist, ein Feldherr, minder groß,
Wär' ihm begegnet in Italiens Schoß
Und hätte kaum sein eignes Land befreit.
Und ward auch der verheerte Staat gerettet,
Doch nie gerächt und nie der Feind gekettet.

Die Zwietracht, neidisch auf der Römer Glück,
Erschuf der Helden viel im weiten Reiche.
Sertorius seht, gewachsen jedem Streiche;
Bald dringt er vor, bald weicht er klug zurück,
Und in Iberiens Felfenburgen hält
Er trotzig stand der Herrscherin der Welt405-2.
So weiß ein Held, in seiner Kunst erfahren,
Sich vor des Zufalls Tücken zu bewahren!
Doch wär' er hitziger und unbedacht
Von seinem Bergeswall herabgestiegen,
Erlegen wär' er bald der Übermacht
Und dem Pompejus, der gewohnt zu siegen.

Seht, wie Conde, Bellonas Lieblingssohn,
Der kühnen Feinde wandellosem Glück
Die Wage hält durch manches Meisterstück
Und Rettung bringt der Franken schwachem Thron!
Doch an dem Tag, der Frankreichs Los entschieden,
Gewann er nur durch Wagemut die Schlacht405-3.
Ein andrer, minder kühn und mehr bedacht,

<406>

Er hätte den verwegnen Kampf gemieden,
Und Spanien hätte, keck durch Frankreichs Zagen,
Die Siegesbanner nach Paris getragen.

Tief aus des Nordens winterlichem Schoß
Naht eine Flotte sich den deutschen Küsten:
Sie trägt in Schwedens König Deutschlands Los.
Germaniens Zwietracht und das Herrschgelüsten
Des Kaiserhofes lockte sie herbei.
Trotz bieten will sie seiner Tyrannei,
Den unterdrückten Völkern Freiheit bringen.
Die Klugheit lenkt sie; Mars gibt ihr Gelingen;
Am Ostseestrand nistet sich Gustav ein:
Dort bietet ihm Stralsund den offnen Hafen.
Mag nun das Glück mit seinen Fahnen sein,
Mag Mißgeschick sein kühnes Wagnis strafen —
Stets kann die Heimat neue Kraft ihm leihn,
Sei's, um des Unglücks Schmach zu rächen, sei's,
Um festzuhalten seinen Siegespreis.
Erobernd dringt er vor, vom Ruhm verklärt.
Deutschland erlösend, macht er's sich zum Knechte,
Setzt hundert Fürsten ein in ihre Rechte;
Zum Zepter wandelt sich das Racheschwert.
Sein Ruhm wird seiner Ehrsucht Untertan:
Hätt' ihn die Parze aus der Siegesbahn Nicht fortgerafft und früh ins Grab gesenkt,
Zwei Herren hätten Deutschland dann gelenkt406-1.

Seht dort Eugen auf seinem kühnen Zuge
Die Franken jagen aus der Lombardei.
Die Alpen bahnen ihm den Weg; im Fluge
Eilt er hinüber, und Turin ist frei.
Marsin in seiner Schanzen weitem Feld
Ist rings zu schwach zu zähem Widerstand.
So bringt durch eine Schlacht406-2 der rasche Held
Italien wieder in des Kaisers Hand.
Folgt ihm nach Ungarns weitem Steppenlande:
Vor Belgrad rückt er längs dem Donaustrande.

<407>

Der Muselman, der seine Schwäche sieht,
Um Eugens Gräben seine Wälle zieht.
Doch er umschnürt die Stadt mit engren Ringen,
Verachtet des Wesirs Verwegenheit,
Läßt furchtlos sich vom Eisenband umschlingen,
Gibt ihm den Fluß zu überschreiten Zeit.
Dann plötzlich stürzt der Held sich ohne Zagen
Mit seinen Panzerreitern in die Schlacht407-1.
Der Türke sticht entsetzt in wildem Jagen,
Und Belgrad beugt sich Eugens Siegermacht.

Du hehrer Schatten, heißgeliebtes Bild,
Steig nieder aus Elysiums Gefild
Und zeige Dich Den Deinen als ein Vater!
Wie man den Sieg erficht, sei ihr Berater.
Dein Vorbild, kein geringres, soll sie mahnen:
Seid, Heldensöhne, würdig Eurer Ahnen!

Preis, edler Kurfürst, Deinem Ruhm, der tief
Sich eingegraben Deinem Vaterlande,
Als von des Rheines blutgetränktem Strande
Zur Elbe Deines Volkes Not Dich rief 407-2!
Gleich Tigern, Wölfen Hausten dort mit Morden
Und Sengen Schwedens zügellose Horden.
Auf leicht errungnem Lorbeer war die Kraft
Des sieggewissen Wrangel schon erschlafft —
Da weckt der Blitzstrahl ihn am Abgrundsrande:
Ein Rachegott erscheint dem Vaterlande.
Er kommt und sieht und siegt an einem Tag.
Die Schweden, taumelnd von dem Wetterschlag,
Der jäh in ihre Lager drang,
Trotzen umsonst dem Sturm, dem ungestümen:
Du, Fehrbellin, kannst Friedrich Wilhelm rühmen!
Dein Feld sah unsrer Feinde Untergang!
So war es, als Iehovas Rachebote,
Der Todesengel, einst herniederdrohte
Auf der Assyrer frevlen Übermut407-3.

<408>

Doch höher noch auf seinem Ruhmespfade
Steigt Friedrich Wilhelm, übt im Siege Gnade:
Homburg verzeiht er, dessen Jugendglut
Zum unerlaubten Kampfe sich erkühnt408-1,
Und läßt die Gräul der Räuber ungesühnt,
Die seinen Staat mit Mord und Brand verheerten.
Doch nicht nur Milde braucht er statt der Strenge:
Die Horden, die vom Mark des Landes zehrten,
Verscheucht er rastlos, treibt sie in die Enge
Und jagt in wilder Flucht sie vor sich her,
Von wo sie sich ergossen, bis ins Meer.

Zu neuen Taten wappnet sich der Held:
Nach Preußen eilt er, wo der Notschrei gellt.
Des Winters Strenge, die vereiste Flut
Schreckt ihn nicht ab, nein, dient dem Wagemut,
Und Thetis sieht, was nie sich zugetragen,
Feldlager auf des Eises Rinde schlagen.
Er kommt und siegt: sein bloßer Name schreckt;
Den frechen Räubern all ihr Mut entfällt;
Fast ohne Schwertstreich züchtigt sie der Held
Und ruht nicht, bis das Strafgericht vollstreckt408-2.

Ihm strebe nach, Du Heldensproß! Erringe
Durch hehre Taten Dir Unsterblichkeit!
Erwäge jeden Plan, daß er gelinge;
Die Phantasie ist allzu rasch bereit.
Mit jedem Lande mache Dich vertraut,
Wohin die Ehre ruft. Am Feinde miß,
Was immer Du entwirfst. Vorausgeschaut
Sei jedes Dir getürmte Hindernis.
Dein Plan muß scheitern, hast Du mit Bedacht
Des Heeres Unterhalt nicht aufgebracht.
Neun Jahre, reich an Siegeslorbeer, büßte
Der zwölfte Karl mit seinem Untergang
In der Ukraine schauerlicher Wüste,
Wo ihn der Hunger und der Zar bezwang408-3.

<409>

Dem Blitze gleich, der in der Wetterwolke
Verborgen ist dem ahnungslosen Volke,
Fahr nieder auf den Feind, eh er's gedacht.
Sei rasch bereit, doch nimmer unbesonnen.
Frohlocke nie zu früh: nichts ist gewonnen,
Bevor Du nicht das ganze Werk vollbracht.
Als unsre Welt durch Gottes Schöpfertat
Einst aus der Nacht des Chaos trat,
Sah er sie an, und siehe, sie war gut;
Von seinem Werke hat er da geruht.

409


402-1 Sebastien le Prestre de Vauban (1633—1707), der Schöpfer der neueren Befestigungskunst. Vgl. S. 411.

402-2 Nicolas Sanson (1600—1667), berühmter französischer Geograph.

404-1 Cäsar und Alexander der Große.

404-2 Miltiades schlug die Perser bei Marathon (490 v. Chr.), sein Sohn Kimon sie am Eurymedon (465 v. Chr.).

404-3 Lucius Ämilius Paullus, der durch den Sieg bei Pydna (168 v. Chr.) die mazedonische Monarchie vernichtete.

404-4 Vgl. S. 64.

404-5 König Heinrich IV. von Frankreich.

404-6 König Gustav Adolf.

404-7 Moritz von Sachsen, geb. 1696, starb am 30. November 1750. Vgl. Bd. I, S. 147; II, S. 207 f.; III, S. 16.

405-1 Schlacht bei Zama (202 v. Chr.).

405-2 Vgl. S. 254.

405-3 Die Schlacht bei Rocroy (vgl. S. 380 und 392).

406-1 Vgl. Bd. I, S. 41 ff.

406-2 Die Schlacht bei Turin, 7. September 1706 (vgl. S. 209 und Bd. I, S. 109).

407-1 Am 16, August 1717 (vgl. S. 210 und Bd. I, S. 132).

407-2 Vgl. Bd.1, S. 74 ff.

407-3 2. Buch der Könige, Kap. 19, Vers 35 f.

408-1 Vgl. Bd. I, S. 75 f.

408-2 Vgl. Bd. I, S. 81ff.

408-3 Vgl. S. 210 f. und 367 ff.