<394>

Zweiter Gesang
Ausbruch des Krieges, Lagerkunst, Schlachtordnungen, Stellungen, Märsche.

Wenn sich die Zwietracht, Unheil auszusäen,
Von ihren Ketten reißt am Höllenstrand,
Wenn aufgeschreckt sich ihre Schlangen blähen
Und sie die Fackel schwingt in ihrer Hand,
Daß Funken auf der Fürsten Dächer fallen,
Dann stammt ihr Hader fürchterlich empor.
Neid, Dünkel, Haß, sie finden fiugs ein Ohr,
Und Maß und Eintracht fiiehn aus ihren Hallen.
Vor ihren Augen lockend sieht die Rache;
Zum Kriege spitzt sich die geringste Sache.

Durch das Gelingen schwillt des Scheusals Mut:
Noch trunken, lechzt es schon nach frischem Blut.
Die Kriegesfurien lockt sein schriller Schrei;
Der Menschheit Plagen eilen fiugs herbei.
Mars öffnet rings im Land sein Arsenal;
Von Feuerschlünden starrt der Wall der Festen.
Auf schwerem Amboß ächzt der grause Stahl,
Und Pech und Schwefeldunst die Luft verpesten.
Der sanfte Bürger sieht die großen Städte,
Wo er des Friedens Künste froh genoß,
Erfüllt mit Kriegern, Waffen, Heerestroß,
Und durch die Lüfte schmettert die Trompete.
Man harrt nur, daß der Frühling wiederkehre.

Die Wonnezeit der friedlichen Cythere,
Die alle Welt mit Liebesdrang erfüllt,
Birgt nun für kühne Herzen nur Gefahr,
Die Ruhmesdurst noch ihrem Blick verhüllt.
Schon taut der Schnee und linder wird das Jahr.
Vom Bergeshang die Silberbäche fließen
Und schlängeln sich durch die geblümte Au.
Die jungen Gräser auf den Triften sprießen;
<395>Mit frischen Saaten schmückt sich rings der Gau.
Doch will auch Floras Huld uns Lust bescheren,
Gerüstet ziehen, Unheil abzuwehren,
Die Krieger in der Ehre Feld hinaus,
Vom Drang erfüllt, mit Ruhm sich zu bedecken,
Die Königsrache blutig zu vollstrecken;
Mit leichten Zelten tauschen sie das Haus.
Die Nachbarn zittern vor des Krieges Schrecken.
Der Landmann flieht; die Flur verödet sieht;
Von fremden Armen wird die Saat gemäht.

Zum Sammelplatze ziehn die Heeresmassen,
Zum Lager, das sie alle soll umfassen.
Ist nun der Platz gewählt und abgesteckt,
Siehst Du ihn bald wie eine Stadt bedeckt
Mit Häusern, Straßen und Palästen; hier
Wohnt nun des Staates Kraft und Zier.
Reg ist die Arbeit; bald die Dächer ragen,
Doch ohne Mörtel, Holz und Stein errichtet.
Jeder Soldat ist Maurer; aufgeschlagen
Ist rasch die Wanderstadt und flugs vernichtet.
Gar manches Wissen heischt die schwere Kunst,
Geländ' und Lagerplatz geschickt zu wählen;
Gar nützlich ist sie, sieht in hoher Gunst.

Soll es dem Heer an Sicherheit nicht fehlen,
So übt den Blick und lest in der Natur!
Lernt jegliches Gelände gut zu nützen:
Hier steile Höhn, die Eure Flanken schützen,
Dort Täler, Felder, wechselreiche Flur.
Je nach der Zeit und nach der Dinge Lauf
Schlagt hier und dort bedacht das Lager auf:
An seiner Wahl das Los des Kampfes hängt!
Ihr seid das Haupt, das für den Körper denkt,
Wacht, wenn er schläft, und handelt, wenn er ruht.
Auf Eure Weisheit jeder Krieger baut,
Und aller Schicksal liegt in Eurer Hut:
Lohnt's Eurem Heer, daß es auf Euch vertraut!
<396>Wollt Ihr das falsche Schlachtenglück erproben,
So schlagt das Lager auf im blachen Feld,
Wo sich kein Hemmnis Euch entgegenstellt,
Doch habt ein Korps zur Wache vorgeschoben.
Sorgt, daß ein Wald, ein Fluß Euch nahe liegt;
Deckt mit dem Lager Städte, die Euch nähren.
Zwei Treffen tief, so sieht in den Gewehren,
Klug dem Gelände angeschmiegt;
Das Fußvolk in der Mitte; an die Flügel
Stellt die Dragoner; sie sind rasch im Bügel.
Der Leib des Heeres ist die Infantrie;
Die Reiter sind die Arme: haltet sie
Zu beiden Seiten zwanglos ausgebreitet.

Der Art gemäß, wie jede Waffe streitet,
Stellt sie in günstigem Gelände auf.
Ein widriges Gefild die Kräfte bindet.
Blachfeld erheischt der Reiter schneller Lauf;
Die Erde unter ihren Hufen schwindet,
Und Wolken Staubes folgen ihrer Spur.
Doch ins Gebirge paßt ihr Stürmen schlecht.
Das Fußvolk nur wird jedem Ort gerecht,
Berg, Engweg, Hügel, Wald und Wiesenflur.
Mit kühnem Schritt durchmißt es ebnes Land,
Erklimmt den Bergeshang, der Schanzen Wall,
Stürmt und verteidigt, nutzbar überall,
Die festen Höhn, um die der Kampf entbrannt.

Wie wenn im Lenz die Wetterwolken grollen
Und plötzlich sich ihr dunkler Schoß entlädt,
Die Blitze zucken und die Donner rollen
Und Hagelschlag die Saaten niedermäht,
So schlägt der Wettersturm aus Euren Reihn
Verheerend in des Feindes Scharen ein.

Seid Ihr mit Schlacht und Stürmen wohl vertraut,
So lehnt Ihr klug des Heeres Flanken an.
Ein Wald, ein Fluß, ein Sumpf, ein Dorf, es kann
Dem Damme gleich, woran die Flut sich staut,
Dem Ansturm gegen Eure Stellung wehren;
Der Feind wird stutzen und die Schranke ehren.
<397>Der Stier, auf seiner Hörner Kraft vertrauend,
Streckt Rosse, Bären, Löwen in den Sand.
Trotzig und scharf auf ihre Sprünge schauend,
Stürmt in die Schranken er, hält plötzlich stand,
Deckt sich die Flanken, bietet stets die Stirn:
Prägt Euch dies Bild, Ihr Krieger, fest ins Hirn.
Achill, unsterblich in der Sänger Munde,
Trug an der Ferse seine Todeswunde.
Die Flanken sind bei Euch die schwächste Stelle;
Drum lehnt sie an, daß Euch der Feind nicht fälle!

Fortuna kann dem Gegner Hilfe senden
Und wider Euch den Lauf der Dinge wenden.
Tritt der verstärkte Feind Euch nun entgegen,
Dürft Ihr das Heer nicht in die Ebne legen.
Durch Kunst ersetzt die Minderzahl der Waffen;
Sucht Stellungen, zum Widerstand geschaffen.
Im Waldesdickicht, auf der Berge Kuppen
Und hinter Flüssen sammelt Eure Truppen.
Doch nicht genug! Sorgt auch, um Euch zu retten,
Daß Euch verborgne Rückzugsstraßen bleiben;
Dann seid Ihr sicher, das Geschick zu ketten,
Vermögt dem Feinde Regeln vorzuschreiben.

Doch nun erfahrt, wie nach des Mars Gesetzen
Ihr recht die Lagerstätte sollt besetzen.
Dem Feind müßt Ihr durch Feuer widerstehn;
Drum laßt verderbenspeiende Kanonen,
Die Tod und Schrecken in die Stürmer sän,
Auffahren zwischen Euren Bataillonen.
Doch hinter diesem Feuergürtel stellt
Der Kürassiere blanke Scharen auf.
Dringt dann der Gegner auch im Siegeslauf
Durch Cure Reihn und schlägt sie aus dem Feld,
So schickt die Reiter vor, den Schimpf zu rächen
Und seines Ansturms Wucht zu brechen.
So zwingt die Kunst das fügsame Gelände,
Euch in der Not gewissen Schutz zu leihn.
Geschicklichkeit ist alles Unglücks Wende,
<398>Doch selten ist sie und der Mut gemein.
Varro war nur Soldat, Fabius ein Held398-1.

Hoch ragt des Athos Gipfel ob der Welt,
Sieht drunten sich im Sturm die Wolken ballen,
Hört sich zu Füßen laut den Donner hallen.
Doch seine heitre Stirn die Winde bricht,
Und ihr ohnmächtig Wüten schreckt ihn nicht.
So von des Lagers Höhe schaut in Ruh
Der Held dem Ansturm seines Gegners zu,
Der seine Wut umsonst an ihm verschwendet.

Hat Mars Euch seine ganze Huld gespendet,
Flammt Euch der Blitz des Genius im Gemüte,
So findet Ihr der festen Burgen viel,
Die Menschenhand zu baun umsonst sich mühte,
Doch die Natur erschuf sie wie im Spiel.
Wohl sieht der Tor sie, doch mit trübem Blick;
Der Held benutzt sie flugs zum Meisterstück.

So trotzte einst mit seinem Häuflein lange
Leonidas beherzt dem wilden Drange
Der Perserscharen: ihre plumpe Kraft
Ward in der Thermopylen Enge hingerafft.
So setzten Xerres' raschem Siegeslauf
Durch ihre Kunst die Griechen einst ein Ziel.
So hielt Epirus einst das Schicksal auf,
Eh' um die Herrschaft Roms der Würfel fiel.
Dyrrhachiums Höhn, auf die des Volkes Held,
Der Abgott des Senates sich gestellt:
Ihr hieltet lange Cäsars Glück im Schach,
Und ohne Schwertschlag blieb Pompejus Sieger!
Doch unbesonnen, müd des Wartens stieg er
Von Euch herab, gab seiner Jugend nach.
Da ließ ihn Mars, der strenge Gott, im Stich;
Bezwungen ward er und sein Stern verblich!
O einzige Schlacht398-2, o schicksalsvoller Tag,
Da Rom besiegt zu Cäsars Füßen lag!

<399>

Du, Montecuccoli399-1, dem Römer gleich,
Der klug Du schirmtest Rhein und Kaiserreich,
Durch feste Lager hieltst Du mit Bedacht
Turenne in Schach trotz seiner Übermacht.
Versagt' ich Dir den Namen eines Helden,
Mars hieße selbst mich. Deinen Ruhm zu melden.
Staunt, junge Krieger, jenen Feldzug an,
Wo er durch Märsche, Lager Deutschland schützt,
Auf immer neue Stellung klug sich stützt
Und scheitern läßt dem Feinde Plan um Plan.
Wähnt nicht, daß er auf einem Fleck verweilt!
Wenn auch ein Lager einer Festung gleicht,
Mars will, daß Ihr von Ort zu Orte eilt,
Die Höhn und Pässe vor dem Feind erreicht,
Nach ihm Euch richtet, was Ihr auch beginnt,
Flugs Euren Vorteil wahrnehmt, schnell marschiert,
Vordringt zur Zeit, beim Rückzug nichts verliert
Und immer neue Pläne Euch ersinnt,
Durch die Ihr Euren Feind verwirrt.

Wenn nun das Lager abgebrochen wird,
So rückt ein jedes Korps für sich ins Feld;
Dann werden vier Kolonnen hergestellt,
Die Reiter seitwärts und das Fußvolk mitten.
Staubwolken wirbeln unter ihren Schritten.
Sieht waffenblinkend sie der Feind vom weiten
Sich in gewundnem Zug durchs Land verbreiten,
Wie Riesenschlangen fern am Tropenstrand In ihrer Schuppen blankem Panzerkleid,
So steht er starr und wie vor Schreck gebannt,
Und dem Verderben fühlt er sich geweiht.

Rückt Ihr in Ordnung vor, bereit zur Schlacht,
So muß, damit Bellonas Blick Euch lacht,
Dem Heer voraus ein starker Vortrab gehen.
Verlaßt ihn nie, wißt stets ihm beizustehen,
Sonst straft der Feind Euch! Gleich der Feuerwolke,

<400>

Die Herzog vor dem auserwählten Volke,
Schirmt Euch die Vorhut vor des Feindes Tücken.

's gibt manche Art, vom Lager abzurücken:
Die Treffen ziehn in parallelen Reihn,
Schlagt Ihr nach rechts, nach links die Richtung ein.

Das Schicksal kann dem Sieger sich versagen;
Turenne traf Unglück, Conde ward geschlagen.
Dann muß man seinem Mißgeschick sich fügen
Und kann im Rückzug doch den Gegner trügen.
Das ist des Feldherrn wahres Meisterstück,
Marschiert in guter Ordnung er zurück,
Voran der Troß, entrückt dem Untergang,
Das Heer durch starke Nachhut wohl geschützt.
Indes er sich auf Bergeshöhen stützt,
Zieht ungestört sein Heer das Tal entlang.
Also gewinnt mit gutem Ruf ein Held
Ein sichres Lager, wo er Ruhe hält.

Beim Zuge durch Germaniens Waldesnacht
War Varus schlecht auf seinen Schutz bedacht.
Den sichren Regeln handelt' er entgegen;
Die Lager waren falsch, sein Marsch verwegen.
In Schluchten mußten sich die Römer schlagen,
Wo sie den Scharen Hermanns bald erlagen400-1.
Schwer traf der Schlag den friedlichen August.
Er rief — und Tränen füllten seine Lider —
„O Varus, gib mir die Legionen wieder!“
Hätt' er der Römer falschen Stand gewußt,
„Tor“, rief' er, „was hieltst du die Höhen nicht,“
„Von wo der Feind auf Dich herniederbricht!“


Das sind der Kriegskunst bleibende Gesetze,
Wollt Ihr Euch lagern, zieht Ihr aus zur Schlacht.
Geschickte Märsche, gute Lagerplätze,
Planvoll besetzt, ein Rückzug, klug vollbracht:
Das ist's, woran der Staaten Schicksal hängt!

<401>

Ihr hohen Krieger, die Ihr Heere lenkt,
Lernt durch mein Lied die Regeln, wie man streitet,
Und von der Theorie zur Praxis schreitet.
Wollt Ihr durch des Triumphes Pforte gehn,
Und soll Euch einst der Heldenlorbeer zieren,
So müßt Ihr Fabius' Lagerkunst verstehn
Und Hannibal es gleichtun im Marschieren!

401


398-1 Cajus Terentius Varro wurde bei Cannä (216 v. Chr.) von Hannibal geschlagen, Quintus Fabius Maximus hielt diesen durch Vermeidung jeder Schlacht und durch Wahl fester lager auf Bergeshöhen in Schach.

398-2 Die Schlacht bei Pharsalos, 48 v. Chr.

399-1 Graf Raimund Montecuccoli, 1672/73 Heerführer der Kaiserlichen am Rhein. Vgl.Bd.I, S.70

400-1 Schlacht lm Teutoburger Wald, 9 n. Chr.