6. Kapitel Geländekenntnis

Es gibt zwei Arten, ein Land kennen zu lernen. Die erste, mit der man anfangen muß, ist, daß man die Landkarte der Provinz, in der man Krieg führen muß, genau studiert. Man merkt sich die Namen der großen Städte und der Flüsse und prägt sich die Gebirge ein. Nachdem man sich so einen allgemeinen Begriff vom ganzen Lande gemacht hat, muß man zur Kenntnis der einzelnen Gegenden schreiten. Da muß man wissen, wie die großen Straßen laufen, wie die Städte liegen, ob sie sich in verteidigungsfähigen Zustand setzen lassen oder nicht, von welcher Seite man sie angreifen kann, falls der Feind sich ihrer bemächtigt hat, und welche Besatzung zu ihrer Verteidigung nötig ist.

Man muß die Pläne der festen Plätze haben und deren Stärke und Schwäche daraus erlernen. Man muß den Lauf der Ströme und ihre verschiedene Tiefe kennen, wie weit sie schiffbar sind, wo sich Furten befinden, welche Flüsse im Frühjahr unbefahrbar und im Sommer ausgetrocknet sind. Diese Kenntnisse müssen sich bis auf die größten Moräste der Provinz erstrecken. Auf dem platten Lande muß man die fruchtbaren Gegenden von den unfruchtbaren unterscheiden und sich überlegen, welche Märsche der Feind machen kann, oder wie man selbst marschieren muß, um von einer großen Stadt zur andren oder von einem Fluß zum andren zu kommen. Auch muß man sich die besten Lager an jenen Straßen merken und aufzeichnen. Ebene Länder lernt man rasch kennen. Sie liegen wie eine ausgebreitete Landkarte vor einem. Dagegen sind waldige und bergige Länder schwer kennen zu lernen, weil die Aussicht stets beschränkt ist. Um sich aber diese wichtige Kenntnis doch zu erwerben, reitet man mit der Karte in der Hand auf die Berge und nimmt die Schulzen der benachbarten Dörfer, oder Jäger, Hirten und auch Schlächter mit sich. Trifft man einen Berg an, der die andern überragt, so muß man ihn besteigen, um sich einen Begriff von dem Landstrich zu machen, den man von dort übersehen kann. Man muß sich nach<21> allen Wegen erkundigen, sowohl um zu wissen, in wieviel Kolonnen man marschieren kann, wie auch, um im voraus Pläne zu machen, auf welchem Wege sich das feindliche Lager umgehen ließe, wenn es sich an der und der Stelle befände, oder wie man ihm in die Flanke kommen könnte, wenn es wo anders läge. Insbesondere muß man sorgfältig die Stellen auskundschaften, wo man defensive Lager beziehen könnte, falls das nötig wird, ferner Schlachtfelder und Orter, die der Feind besetzen könnte.

Vor allem aber muß man sich die wichtigsten Stellungen, die Schluchten gewisser Defileen und die günstigsten Positionen jener Gegenden einprägen und zugleich über alle Kriegsoperationen nachdenken, die dort stattfinden könnten, damit sich diese Vorstellungen so deutlich im Geiste ordnen, daß man nie in Verlegenheit kommt, wenn der Krieg sich dorthin zieht. Solche Betrachtungen müssen gründlich angestellt und wohl verarbeitet weiden, und man muß sich die nötige Zeit nehmen, die ein so wichtiger Gegenstand beansprucht. Hat man das erstemal nicht alles gut gesehen, so muß man zum zweitenmal hingehen und alles von neuem betrachten und prüfen.

Ich füge noch eine allgemeine Regel hinzu. Alle Lager, die man aussucht, mögen sie defensiv oder offensiv sein, müssen Holz und Wasser in der Nachbarschaft haben, und wenn auch die Front des Lagers stark ist, muß der Rücken doch offen bleiben, damit man leicht hinauskann.

Ist es erforderlich, die Kenntnis eines Nachbarlandes zu erwerben, wo man mit Anstand nichtderart reisen kann, so muß man geschickte Offiziere hinsenden, unter verschiedenen Vorwänden oder auch, wenn nötig, in Verkleidung. Man gibt ihnen an, worauf sie ihr Augenmerk richten sollen, und verzeichnet auf der Karte die Orte und Lager, über die sie Meldung abstatten. Kann man aber mit seinen eignen Augen sehen, soll man es stets tun.