<405>

Erfahrung ist's, die Euch vor Augen steht,
Den Leib bedeckt mit Narben und mit Wunden,
Doch ungebrochen von der Flucht der Stunden,
Vor denen alles Menschenwerk vergeht.
Was je sich zutrug — ihr ist es bekannt.
Heimisch in jeder Zeit, in jedem Land,
Erzählt sie, was sie weiß. Vernehmt, wie klug
Scipio nach Afrika die Waffen trug
Und Rom bewahrte vor dem nahen Fall;
Fort lockt' er so den grausen Hannibal
Zum Strand Karthagos, zwang ihn dort zum Streit1
Ein kleinrer Geist, ein Feldherr, minder groß,
Wär' ihm begegnet in Italiens Schoß
Und hätte kaum sein eignes Land befreit.
Und ward auch der verheerte Staat gerettet,
Doch nie gerächt und nie der Feind gekettet.

Die Zwietracht, neidisch auf der Römer Glück,
Erschuf der Helden viel im weiten Reiche.
Sertorius seht, gewachsen jedem Streiche;
Bald dringt er vor, bald weicht er klug zurück,
Und in Iberiens Felfenburgen hält
Er trotzig stand der Herrscherin der Welt2.
So weiß ein Held, in seiner Kunst erfahren,
Sich vor des Zufalls Tücken zu bewahren!
Doch wär' er hitziger und unbedacht
Von seinem Bergeswall herabgestiegen,
Erlegen wär' er bald der Übermacht
Und dem Pompejus, der gewohnt zu siegen.

Seht, wie Conde, Bellonas Lieblingssohn,
Der kühnen Feinde wandellosem Glück
Die Wage hält durch manches Meisterstück
Und Rettung bringt der Franken schwachem Thron!
Doch an dem Tag, der Frankreichs Los entschieden,
Gewann er nur durch Wagemut die Schlacht3.
Ein andrer, minder kühn und mehr bedacht,


1 Schlacht bei Zama (202 v. Chr.).

2 Vgl. S. 254.

3 Die Schlacht bei Rocroy (vgl. S. 380 und 392).