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Rußlands Einfluß auf Polen war unmittelbarer als auf seine andern Nachbarn. Diese Republik ward nach Augusts II. Tode (1733) gezwungen, August III. auf den Thron zu wählen, den sein Vater besessen hatte. Die Nation war für Stanislaus Leszczynski, aber die russischen Waffen stimmten das Volk um. Polen ist beständig in Anarchie. Die großen Familien sind sämtlich durch Interessengegensätze zersplittert; sie ziehen ihren Privatvorteil dem öffentlichen Wohle vor und sind nur einig in der harten Bedrückung ihrer Leibeigenen, die sie mehr als Lasttiere denn als Menschen behandeln. Die Polen sind eitel, hochfahrend im Glück, kriechend im Unglück, der größten Niedertracht fähig, um Geld zusammenzuscharren, das sie aber, sobald sie es haben, auf die Straße werfen; leichtfertig, urteilslos, stets bereit, ohne Grund eine Partei zu ergreifen und sie wieder zu verlassen und sich durch ihr planloses Betragen in die schlimmsten Händel zu verstricken. Sie haben Gesetze, aber niemand befolgt sie, da keiner sie dazu zwingt. Der Hof sieht seine Partei anwachsen, sobald viele Ämter frei werden; denn der König hat die Befugnis, sie zu vergeben und sich bei jeder Gunsterteilung neue Undankbare zu machen. Der Reichstag versammelt sich alle drei Jahre, bald in Grodno, bald in Warschau. Die Staatskunst des Hofes besteht darin, die Wahl zum Reichstagsmarschall auf eine ihm ergebene Person zu lenken. Trotz aller Bemühungen hat unter der Regierung Augusts III. allein der Pazifikationsreichstag etwas zustande gebracht. Das kann nicht wundernehmen, da ein einziger Landbote durch seinen Widerspruch gegen die gefaßten Beschlüsse den ganzen Reichstag sprengen kann: es ist das Veto der altrömischen Volkstribunen.

Die vornehmsten Geschlechter waren damals die Czartoryski, Potocki, Tarlo und Lubomirski. Der Geist ist in Polen das Erbteil der Frauen: sie spinnen die Intrigen und schalten über alles, indes ihre Männer sich betrinken.

Das Land hat viele Naturprodukte, aber nicht Einwohner genug, um sie zu verbrauchen, da der Boden im Verhältnis zur Einwohnerzahl zuviel hervorbringt. An Städten besitzt Polen nur Warschau, Krakau, Danzig und Lemberg; die übrigen würde man in jedem andern Lande nur schlechte Dörfer nennen. Da es dem Staate gänzlich an Manufakturen fehlt, so beträgt der Überschuß an Getreide, das nicht verzehrt wird, allein 200 000 Wispel. Dazu kommt Holz, Pottasche, Häute, Vieh und Pferde, womit die Nachbarn versorgt werden. So viele Ausfuhrartikel geben Polen eine vorteilhafte Handelsbilanz. Breslau, Leipzig, Danzig, Frankfurt und Königsberg verkaufen ihre Waren den Polen, gewinnen an den von dort bezogenen Naturprodukten und lassen sich die Erzeugnisse ihrer Industrie von diesem unkultivierten Volke teuer bezahlen.

Polen hält in Wirklichkeit 24 000 Mann schlechter Truppen und kann in dringenden Fällen seinen Heerbann aufbieten, der unter dem Namen Pospolite Ruszenie bekannt ist. Aber August II. rief ihn vergebens gegen Karl XII. zusammen. So sieht man denn, daß es für Rußland unter einer vollkommneren Staatsverwaltung leicht war, die Schwäche des Nachbarvolkes auszunutzen und einen überlegenen Ein-