<35>des. Aber dort ist alles wohlfeil. Die den Fürsten nötigste Ware, die Soldaten, kosten an Unterhalt nicht die Hälfte von dem, was die andern Mächte Europas zahlen: der russische Soldat bekommt jährlich nur acht Rubel und Lebensmittel, die billig gekauft werden. Diese Lebensmittel verursachen den ungeheuren Troß, der dem Heere nachfolgt: in dem Feldzuge, den der Marschall Münnich 1737 gegen die Türken führte, zählte man bei seinem Heere ebensoviel Wagen als Streiter.

Peter der Große hatte einen Plan entworfen, den vor ihm noch nie ein Fürst gefaßt hatte. Während die Eroberer sonst nur darauf bedacht sind, ihre Grenzen zu erweitern, wollte er die seinen einschränken. Der Grund war, daß seine Staaten im Verhältnis zu ihrer ungeheuren Ausdehnung zu dünn bevölkert waren. Er wollte die zwölf Millionen Einwohner, die in Rußland verstreut wohnten, zwischen Petersburg, Moskau, Kasan und der Ukraine ansiedeln, um diesen Teil gut zu bevölkern und anzubauen. Zu verteidigen wäre er leicht gewesen durch die Wüsteneien, die ihn dann umgaben und ihn von den Persern, Türken und Tataren trennten. Dieser Plan blieb durch den Tod des großen Mannes unausgeführt, wie so viele andre.

Zur Begründung des Handels hatte der Zar nur die ersten Schritte tun können. Unter der Kaiserin Anna hielt die russische Handelsflotte keinen Vergleich mit den südlichen Mächten aus. Trotzdem deutet alles darauf hin, daß die Bevölkerung, die Kräfte, der Reichtum und der Handel dieses Landes sich gewaltig entwickeln werden.

Der Geist der Nation ist ein Gemisch von Mißtrauen und Unredlichkeit. Die Russen sind faul, aber eigennützig, geschickt im Nachahmen, aber ohne Erfindungsgeist. Die Großen sind rebellisch, die Garde ist für die Herrscher eine stete Gefahr, das Volk dumm, trunksüchtig, abergläubisch und unglücklich. Die geschilderten Zustände sind ohne Zweifel schuld daran, daß die Petersburger Akademie der Wissenschaften bisher noch keine Erfolge in Rußland erzielt hat.1

Seit dem Untergang Karls XII., der Thronbesteigung Augusts von Sachsen in Polen und seit den Siegen des Marschalls Münnich über die Türken waren die Russen tatsächlich die Schiedsrichter des Nordens geworden. Sie waren so furchtbar, daß niemand etwas gewann, wenn er sie angriff; denn man mußte eine Art von Wüstenei durchziehen, um sie zu erreichen; wurde man aber von ihnen angegriffen, so war alles zu verlieren, selbst wenn man sich auf einen Verteidigungskrieg beschränkte. Diesen Vorteil verdanken sie der Menge von Tataren, Kosaken und Kalmücken, die sie in ihren Heeren haben. Diese herumstreifenden Horden von Plünderern und Mordbrennern können durch ihre Einfälle die blühendsten Provinzen verheeren, ohne daß die eigentliche Armee sie betritt. Alle Nachbarn schonten Rußland, um solchen Verwüstungen zu entgehen; und wenn die Russen mit anderen Völkern Bündnisse schlossen, so sahen sie das als einen ihren Klienten bewilligten Schutz an.


1 So hatte der König auch bei der Neubegründung der Berliner Akademie (1744) die Hebung der geistigen Kultur Preußens im Auge.