Beilage zum (16.) Mai dieses Jahres, betreffend die Audienz des etc. Diez bei dem König.

Als Gleim einst in einer Gesellschaft in Magdeburg mit gewohntem Enthusiasmus von Friedrich d. Gr. sprach, wurde ihm von Diez, der auch zugegen war, eben so lebhaft widersprochen und überhaupt dem König Allerlei zum Vorwurf gemacht etc. Später sprach und schrieb Diez jedoch ganz anders von Friedrich, und stimmte vollkommen mit Gleim's Ansichten und Urtheile über den König überein. Als Gleim dies erfuhr, schrieb er einen freundlichen Brief an Diez, worin er seine Freude über Diezen's Sinnesänderung bezeigte und den Wunsch zu erkennen gab, die Ursach davon zu erfahren. In der darauf erfolgten Antwort erzählt nun Diez zuerst, wie und wodurch er zu so falschen Ansichten und Urtheilen über den König verleitet worden, dann - wie er von den Ministem dem Könige zum Chargé d'Affaires in Konstantinopel mit vier oder fünf andern Personen vorgeschlagen worden, und fährt hierauf, zur Erläuterung I. seiner Sinnesänderung, fort:

"Indessen, der König greift mich heraus (aus den 5 vorgeschlagennen Personen), ich weiß nicht warum, ob ich gleich sagen muß, daß ich ihm nicht unbekannt geblieben bin, weil ich in eigenen Angelegenheiten mehrmals an ihn geschrieben habe. Er befahl aber, daß ich nicht abgehen sollte, bis er mich selbst gesehen und mir die Insituctionen selbst gegeben haben würde. Das Letztere war bis dahin immer Sache des Ministeriums gewesen. Ich mußte nun in Berlin dreizehn<319> Wochen warten, weil der König krank war; ein langer Zwischenraum, wo die Kabale noch alle Versuche machte, mich zu verdrängen. Auch war der König noch krank, als er in Potsdam den ersten Revuetag hielt: es war, glaube ich, der 29. Mai 319-+, und auf diesen Tag war ich bestellt. Ich war noch voll von den Ideen, welche Sie in Magdeburg von mir gehört hatten. Ich hatte überhaupt alle Schulideen von großen Königen verloren, nachdem ich über Friedrich weggekommen war. Ich hatte, wenn ich so sagen darf, mein System angenommen, welches mich pünktlich und fast ängstlich in Erfüllung der mir obliegenden Pflichten machte, aber auch gleichgültig, dreist und kühn gegen alle Leute, die man Große und Könige der Erde nennt. Dies hatte die Folge, daß ich vor Friedrich mit einer Fassung und Gleichmüthigkeit kam, welche er durch seine gewöhnlichen Ueberraschungen nicht aus dem Gleichgewicht werfen konnte, wie es z. B. schon bei meinem Erscheinen seine Absicht sein mochte; denn als ich in die Thür seines Kabinets eintreten wollte und den Fuß eben erst auf die Schwelle gesetzt hatte, kam er mit einer Heftigkeit auf mich los, daß er dicht vor mir zu stehen kam, ehe ich in die Stube einkommen konnte, so daß ich, wenn ich vor ihm die gewöhnliche Verbeugung hätte machen wollen, ich entweder ihn hätte vor den Kopf stoßen oder wieder zurücktreten müssen; ich that aber keins von Beiden, blieb auf der Schwelle stehen, ohne ihn zu grüßen, erwartete seine ersten Fragen, die er sehr eilig hervorbrachte, gab ihm, eben so gleichgültig als ehrerbietig, schnell meine Antworten, und so trat er selbst allmälig zurück und ich folgte ihm auf dem Fuße nach, bis er an seinen Tisch gelangte und sich in den Armstuhl warf, wo er sein Gespräch fortsetzte und ich dicht vor ihm stehen blieb. Ich bekenne, daß die Gleichgültigkeit, welche ich bewies, mit aus dem Gefühle herrührte, daß ich nicht gekommen war, um Brot zu suchen, welches ich hatte, sondern weil ich empfand, dem Staate auf dem neuen Posten im Großen besser dienen zu können, als auf meiner alten Stelle, die mich nicht mehr genug beschäftigte, nachdem ich hundertjährige Unordnungen aufgeräumt hatte. Ich nahm<320> auch Gelegenheit, dem Könige dies bemerklich zu machen und er sah mich darauf mit großen Augen an, vom Haupte bis zum Fuße, und sagte endlich: das ist lobenswürdig.

Genug, um zur Sache zu kommen; Friedrich hatte an jenem Tage früh um 4 Uhr seine Kabinets-Geschäfte verrichtet, war sodann zur Musterung gegangen, kam gegen 11 Uhr zurück, ließ sich sodann die fremden Officiere vorstellen, fetzte sich nach 12 Uhr zu Tisch, wo er bis um 2 Uhr bleiben mochte, und von da bis 3 1/2 Uhr hatte er Adjutanten bei sich, um ihre Berichte zu hören und ihnen seine Befehle für die Manoeuvres des andern Tages zu geben. Ich begegnete denen noch, als ich mit Herrn Laspeyres, der zum Schreiber bestellt war, hereingerufen ward. Hier stand ich nun neben dem Manne, der bis dahin, seit dem Augenblicke des Erwachens, vor Geschäften gleichsam nicht zu sich selbst gekommen war, und der noch krank sein sollte; nichts Krankes, nichts Müdes, nichts Erschlafftes, im Gegentheil alles an seinem Vortrag und an seinen Begriffen so frisch, so klar und durchdacht, daß, nachdem seine ersten Fragestücke vorüber waren, woraus ich im Grunde wenig machte, er meine ganze Aufmerksamkeit fesselte, als ich ihn in die Sache selbst, über den Zweck meiner Mission, über die Interessen von Preußen und anderen Mächten, auch über den Charakter und die Verfassung der Türken, mit einem Zusammenhang und Plan hineingehehörte, wovon ich bei jedem Andern, der sich sechs Monate dazu vorbereitet haben möchte, eine große Idee gefaßt haben würde. Endlich sing er an, die Instruction zu dictiren: bei jedem Absatz hielt er inne, machte Paraphrasen und spielte zugleich mit dem Windhunde, der ihm unterdessen auf den Schooß gesprungen war, und nachdem er mich jedesmal eins um das andre hatte sprechen lassen, um zu hören, ob ich seine Meinung recht verstanden, fuhr er fort zu dictiren, zu paraphrasiren, mit dem Hunde zu spielen und mich zu hören, und so ging es bis ans Ende einer zwei Bogen langen Instruction, ohne daß er sich von Laspeyres das, was geschrieben war, wieder vorlesen und sich in Zusammenhang bringen ließ, als dessen Faden er gar nicht verloren hatte. Die ganze Audienz dauerte zwei Stunden, bis gegen 5 1/2 Uhr, und ich war instruirt, wie man sein muß.

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Nun aber hatte sich meine erste Gleichgültigkeit in Bewunderung verwandelt, und ich bekenne, daß ich fähig gewesen wäre, mich in dem Augenblicke niederzuwerfen, und das Genie anzubeten, denn wahr ists immer und ewig, daß großer Verstand große Wirkung thut, und daß man alsbald wahrnimmt, daß für einen Kopf von solcher Ueberlegenheit Nichts unmöglich bleibe.

Wer Friedrich war, wußte ich nun von ihm selbst, und bald nach meiner Ankunft in Stambul empfing ich mit jedem Posttage neue Proben seines umfassenden und immer ins Große gehenden Geistes. Dies Alles mußte ich Ihnen erzählen, weil ich Ihnen schuldig zu sein glaubte, die Gründe meiner Überzeugungen aus zwei verschiedenen Zeiten anzugeben." (Mitgetheilt von N. T. Z.).


319-+ Es war der 16. Mai.