<96> berichtigte und das bewies, was Ptolemäos1 ein paar tausend Jahre vor ihm zu behaupten gewagt hatte. Derweil entdeckte am andren Ende von Deutschland ein Mönch durch seine chemischen Versuche die erstaunlichen Wirkungen des Schießpulvers, und ein andrer erfand die Buchdruckerkunst, diese glückliche Erfindung, die gute Bücher verewigt und dem Volke für geringes Geld Bildung ermöglicht. Dem erfinderischen Geiste Otto von Guerickes verdanken wir die Luftpumpe. Unvergessen ist der berühmte Leibniz, der Europa mit dem Rufe seines Namens erfüllte. Seine Einbildungskraft hat ihn zwar zu einigen Hirngespinsten in seinem Systeme verleitet, aber seine Irrtümer sind doch nur die eines großen Geistes. Ich könnte meine Liste durch die Namen Thomasius, Bilfinger2, Haller3 und viele andre erweitern. Allein die Gegenwart gebietet mir Schweigen. Das Lob der einen würde die andren zurücksetzen.

Ich sehe einen Einwand voraus. Man wird mir vielleicht vorhalten, es habe während der italienischen Kriegswirren einen Pico von Mirandola gegeben. Gewiß, aber der war doch nur ein Gelehrter. Man wird hinzufügen: wahrend Cromwell sein Vaterland umstürzte und seinen König4 auf dem Blutgerüst enthaupten ließ, veröffentlichte Toland seinen „Leviathan“5 und kurz darauf Milton sein „Verlorenes Paradies“. Ja selbst zur Zeit der Königin Elisabeth hatte der Kanzler Bacon6 schon Aufklärung in Europa verbreitet und war zum Orakel der Philosophie geworden, indem er die zu machenden Entdeckungen angab und den Weg zu diesem Ziele wies. Auch während der Kriege Ludwigs XIV. machten gute Schriftsteller aller Art Frankreich berühmt. Warum also, wird man sagen, sollten unsre deutschen Kriege der Literatur verderblicher gewesen sein als die unsrer Nachbarn?

Darauf kann ich leicht antworten. In Italien blühten die Künste und Wissenschaften eigentlich nur unter dem Schutze des Lorenzo von Medici, des Papstes Leo X. und des Hauses Este. Damals gab es wohl vorübergehende Kriege, aber sie waren nicht verderblich. Italien wachte eifersüchtig über den Ruhm, den ihm die Wiedergeburt der schönen Künste verschaffen mußte, und munterte sie mit allen Kräften auf. In England richtete sich Cromwells Politik, von Fanatismus geschürt, nur gegen den Thron. Er war grausam gegen seinen König, aber er regierte sein Volk mit Weisheit, und daher blühte der Handel nie mehr als unter seinem Protektorat. So kann man den „Leviathan“ denn nur als Schmähschrift einer Partei ansehen. Miltons „Verlorenes Paradies“ ist zweifellos besser. Der Dichter besaß stärkere Einbildungstraft. Er hatte den Stoff seiner Dichtung aus einem jener religiösen Spiele entlehnt,


1 Vielmehr schon Aristarch von Samos, der 281 v. Chr. den Stillstand der Sonne und die Bewegung der Erde um die Sonne lehrte.

2 Georg Bernhard Bilfinger (1693—1750), Anhänger der Leibniz-Wolffschen Schule.

3 Albrecht von Haller (1708—1777), Schweizer Dichter und Gelehrter, Anatom, Physiologe und Botaniker, 1736—1753 Professor in Göttingen. König Friedrich machte 1749 den vergeblichen Versuch, ihn für die Berliner Akademie zu gewinnen.

4 Karl I. († 1649).

5 Der Verfasser des „Leviathan“ (London 1651) war der Philosoph Thomas Hobbes und nicht John Toland.

6 Vgl. S. 58.