<97> die noch zu seiner Zeit in Italien aufgeführt wurden, und wie vor allem betont werden muß, herrschte damals Friede und Wohlstand in England. Bacon, der sich unter der Regierung Elisabeths hervortat, lebte an einem gebildeten Hofe. Er besaß den Scharfblick von Jupiters Adler zur Erforschung der Wissenschaften und die Weisheit Minervas zu ihrem reiflichen Durchdenken. Bacons Genie ist eine jener seltenen Erscheinungen, die von Zeit zu Zeit auftauchen und ihrem Jahrhundert so viel Ehre machen wie dem menschlichen Geiste. In Frankreich hatte Richelieus Regierung das große Zeitalter Ludwigs XIV. vorbereitet. Aufklärung begann sich zu verbreiten; der Krieg der Fronde war nur ein Kinderspiel. Ludwig XIV., nach jeder Art von Ruhm begierig, wollte, daß seine Nation in der Literatur und im guten Geschmack ebenso die erste wäre, wie in der Macht, in Eroberungen, in Politik und Handel. Er trug seine Waffen siegreich in Feindesland. Frankreich rühmte sich der Erfolge seines Monarchen, ohne die Verheerungen des Krieges zu spüren. Es ist also natürlich, daß die Musen, die sich nur in Ruhe und Überfluß wohl fühlen, sich in seinem Reiche niederließen.

Besonders aber sollte man eins beachten: in Italien, England und Frankreich schrieben die ersten Schriftsteller und ihre Nachfolger in der eignen Sprache. Das Publikum verschlang ihre Werke, und das Wissen wurde Allgemeingut des Volkes.

Bei uns lagen die Dinge ganz anders. Unsre Religionsstreitigkeiten brachten einige Zänker hervor, die in dunklen Ausdrücken unverständliche Dinge verfochten, stets die gleichen Argumente anführten oder bestritten und abwechselnd Sophismen und Beleidigungen gebrauchten. Unsre ersten Gelehrten waren wie überall Männer, die in ihrem Gedächtnis Tatsachen auf Tatsachen häuften, urteilslose Pedanten, wie Lipsius, Freinshemius, Gronovius, Graevius1, schwerfällige Wiederkäuer einiger dunkler Phrasen, die sie in den alten Handschriften fanden. Das mochte bis zu einem gewissen Grade nützlich sein, allein sie hätten nicht ihren ganzen Fleiß aufNebensachen und Nichtigkeiten verwenden dürfen. Das Ärgerlichste dabei war, daß diese Herren in ihrer pedantischen Eitelkeit den Beifall ganz Europas beanspruchten. Teils um mit ihrem schönen Latein zu prunken, teils um von fremden Pedanten bewundert zu werden, schrieben sie nur Lateinisch, sodaß ihre Werke für Deutschland fast ganz verloren gingen. Daraus entsprang ein doppelter Nachteil. Erstens wurde die deutsche Sprache nicht geformt und blieb in ihrem rohen Zustande stecken, und zweitens tonnte die Masse des Volkes, die kein Latein verstand, sich nicht bilden und verharrte nach wie vor in der tiefsten Unwissenheit. Das sind einwandfreie Wahrheiten. Möchten die Herren Gelehrten sich bisweilen erinnern, daß die Wissenschaften Nahrungsmittel des Geistes sind. Das Gedächtnis nimmt sie auf, wie der Magen die Speisen, aber sie ver-


1 Justus Lipsius (1547—1606), Jurist und Philologe, Professor in Jena, dann in Leiden und Löwen; Johann Freinsheim (1608—1660), Philologe, Professor in Upsala, dann in Heidelberg; Johann Friedrich Gronov (1611—1671), Philologe, Professor in Leiden; Johann Georg Graeve (1632 bis 1723), Professor der Beredsamkeit in Utrecht.