<85> dunkel werden. Um die Klarheit des Stils, die oberste Pflicht jedes Schriftstellers, zu bewahren, werden sie nie von den Regeln der Grammatik abweichen und die Zeitwörter, die die Sätze regieren sollen, so stellen, daß kein Doppelsinn möglich ist. Derartige Übersetzungen werden dann als Muster dienen, nach denen unsre Schriftsteller sich bilden können. Dann werden wir uns schmeicheln dürfen, die Vorschrift befolgt zu haben, die Horaz in semer Poetik den Schriftstellern erteilt: tot verba, tot pondera1.

Es wird schwer sein, die harten Laute zu mildern, an denen unsre meisten Worte reich sind. Die Vokale schmeicheln dem Ohr. Zu viele Konsonanten hintereinander verletzen es, da sie schwer auszusprechen sind und keinen Wohllaut haben. Auch haben wir viele Tätigkeits- und Hilfszeitwörter, deren letzte Silbe stumm und unschön ist, wie sagen, geben, nehmen. Man füge diesen Endungen ein a hinzu und bilde daraus sagena, gebena, nehmena: diese Laute tun dem Ohre wohl.2 Allein ich weiß auch: selbst wenn der Kaiser mit seinen acht Kurfürsten auf feierlichem Reichstage das Gesetz erließe, daß die Worte so ausgesprochen werden sollen, die eifrigen Deutschtümler würden sich doch darüber lustig machen und auf gut Lateinisch schreien: Caesar non est super grammaticos!3 Und das Volk, das in jedem Land über die Sprache entscheidet, würde nach wie vor sagen und geben wie gewöhnlich aussprechen. Die Franzosen haben durch die Aussprache viele Worte gemildert, die das Ohr verletzten. Kaiser Julian sagte einst, die Gallier krächzten wie die Krähen. Solche Worte sind nach der alten Aussprache cro-jo-gent, voi-yaigent. Heute spricht man croient und voient aus. Wenn das auch nicht schön klingt, so doch weniger unangenehm. Ich glaube, wir könnten es mit manchen Worten ebenso machen.

Es gibt noch einen Fehler, den ich nicht übergehen darf, nämlich die niedrigen und trivialen Vergleiche, die der Sprache des gemeinen Volks entnommen sind. So z. B. drückte sich ein Dichter aus, der seine Werke ich weiß nicht welchem Gönner widmete: „Schieß, großer Gönner, schieß deine Strahlen armdick auf deinen Knecht hernieder.“ Was sagen Sie zu diesen armdicken Strahlen? Hätte man zu jenem Dichter nicht sagen sollen: „Mein Freund, lerne erst denken, ehe du zur Feder greifst“? Ahmen wir also nicht die Armen nach, die reich scheinen wollen. Gestehen wir ehrlich unsre Dürftigkeit ein und lassen wir uns durch dies Geständnis lieber ermuntern, uns durch Fleiß die Schätze der Literatur anzueignen, deren Besitz unsren nationalen Ruhm krönen wird.

Nachdem ich Ihnen dargelegt habe, wie man unsre Sprache veredeln könnte, bitte ich Sie, mir die gleiche Aufmerksamkeit bei der Wahl der Mittel zu leihen, durch


1 „Soviel Worte, soviel Gewichte.“ Diese Vorschrift findet sich weder bei Horaz noch sonst bei einem römischen Autor.

2 Diesem Gedanken des Königs spricht Herder geschichtliche Berechtigung zu, indem er 1793 zum Ludwigslied und zu Otfrieds Evangelienharmonie aus dem 9. Jahrhundert bemerkt: „Flexionen hatte die Sprache damals, wie sie der unsterbliche König Friedrich für sein Ohr wünschen mochte.“

3 „Der Kaiser sieht nicht über den Grammatikern.“