<60> sein Buch von den Pflichten, seine Tuskulanen, sein unsterbliches Werk über die Natur der Götter schrieb, wo Varro seine „Origines“ und sein Gedicht über den Bürgerkrieg verfaßte1 wo Cäsar durch seine Milde das Gehässige seiner Gewaltherrschaft aus, löschte, wo Virgil seine Äneis vortrug und Horaz seine Oden dichtete, wo Livius die Namen aller großen Männer, die die Republik ausgezeichnet hatten, der Nachwelt überlieferte. Frage sich ein jeder, zu welcher Zeit er in Athen oder Rom hätte leben mögen, und er wird ohne Zweifel jene glänzenden Epochen wählen.

Auf jene glorreichen Zeiten folgte eine abscheuliche Barbarei. Wilde Völker überschwemmten fast ganz Europa. Sie führten Lasier und Unwissenheit mit sich, die dem übertriebensten Aberglauben die Wege ebneten. Erst nach elf Jahrhunderten der Verdummung konnte die Menschheit sich von jenem Roste reinigen, und in dieser Zeit der Wiedergeburt der Wissenschaften machte man viel mehr Aufhebens von den guten Schriftstellern, die Italien zuerst zierten, als von Leo X., der sie beschützte. Franz I. war neidisch auf ihren Ruhm und wollte ihn teilen. Er machte vergebliche Versuche, die fremden Gewächse in ein Erdreich zu verpflanzen, das für sie noch nicht vorbereitet war. Erst gegen Ende der Regierung Ludwigs XIII. und unter Ludwig XIV. begann für Frankreich das schöne Zeitalter, wo alle Künste und Wissenschaften in gleichem Schritt der höchsten Stufe der Vollendung entgegensirebten, die zu erreichen der Menschheit verstattet ist. Seitdem verbreiteten sich die verschiedenen Künste überall. Dänemark hatte bereits einen Tycho de Brahe erzeugt, Preußen einen Kopernikus, und Deutschland rühmte sich, einen Leibniz hervorgebracht zu haben. Auch Schweden hätte die Liste seiner großen Männer vermehrt, wären nicht die fortwährenden Kriege, in die die Nation damals verstrickt war, dem Fortschritt der Künste schädlich gewesen.

Alle aufgeklärten Fürsten haben Die beschützt, deren gelehrte Arbeiten dem menschlichen Geiste zur Ehre gereichen. In unsren Tagen ist es so weit gekommen, daß eine Regierung in Europa, die die Ermunterung der Wissenschaften im geringsten verabsäumte, binnen kurzem um ein Jahrhundert hinter ihren Nachbarn zurückstehen würde; Polen liefert ein handgreifliches Beispiel dafür. Wir sehen eine große Kaiserin2 es sich zur Ehrensache machen, Kenntnisse in ihren weiten Staaten einzuführen und zu verbreiten. Alles, was dazu beitragen kann, wird von ihr als äußerst wichtig behandelt.

Wer fühlte sich nicht bewegt und gerührt, wenn er vernimmt, wie man in Schweden das Gedächtnis eines großen Mannes ehrt? Ein junger König, der den Wert der Wissenschaften kennt, läßt dort gegenwärtig Descartes ein Grabmal errichten, um im Namen seiner Vorgänger die Dankesschuld abzutragen, die sie seinen Talenten


1 Varro hat weder ein Gedicht über den Bürgerkrieg noch ein Werk „Origines“ verfaßt. Das letztere, heute verlorene Werk, stammt von Cato. Aber Varro war einer der berühmtesten Gelehrten seiner Zeit, insbesondere ein großer Altertumsforscher.

2 Katharina II. von Rußland.