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Schelme und Betrüger sind also die einzigen, die sich den Fortschritten der Wissenschaften widersetzen und es sich zur Aufgabe machen können, sie zu verlästern; denn sie sind die einzigen, denen die Wissenschaft schaden kann.

In dem philosophischen Zeitalter, in dem wir leben, hat man nicht nur die hohen Wissenschaften verleumden wollen; es fanden sich auch Leute von so mürrischem Wesen, oder vielmehr so alles Gefühls und Geschmacks bar, daß sie den schönen Künsten den Krieg erklärt haben. Nach ihrer Meinung ist ein Redner ein Mensch, der mehr darauf ausgeht, schön zu sprechen als richtig zu denken. Ein Dichter ist ihnen ein Narr, der sich mit Silbenzählen abgibt, ein Geschichtsschreiber ein Zusammenstoppler von Lügen. Leute, die ihre Schriften lesen, sind Zeitvergeuder und ihre Bewunderer oberflächliche Geister. Sie möchten all die alten Dichtungen, die geistreichen, sinnbildlichen Fabeln, die soviel Wahrheit enthalten, in den Bann tun. Sie wollen nicht begreifen, daß, wenn Amphion die Mauern Thebens mit den Klängen seiner Leier erbaute, das bedeuten soll, daß die Künste die Sitten wilder Völker milderten und die Entstehung gesellschaftlicher Zustände herbeiführten.

Es gehört eine sehr fühllose Seele dazu, dem Menschengeschlecht den Trost und Beistand rauben zu wollen, den ihm die schönen Wissenschaften in den Bitternissen des Lebens gewähren. Man befreie uns von unsrem elenden Schicksal oder gestatte uns, es zu versüßen. Nicht ich will den gallsüchtigen Feinden der schönen Wissenschaften antworten, sondern ich berufe mich auf die Worte des philosophischen Konsuls, des Vaters des Vaterlandes und der Beredsamkeit. „Die Wissenschaften“, sagt Cicero1, „bilden die Jugend und erheitern das Alter. Sie verleihen Glanz im Glück und bieten Zuflucht und Trost im Unglück. Sie erfreuen daheim und belästigen uns nicht außer dem Hause. Sie durchwachen mit uns die Nächte, begleiten uns auf Reisen und wohnen mit uns auf dem Lande. Ja, wären wir auch selbst unfähig, sie zu erlangen oder ihren Zauber recht zu genießen, wir müßten sie doch stets bewundern, wenn wir sie nur bei andren gewahren.“

Möchten die, die so gern eifern, Achtung vor dem lernen, was Achtung verdient, und statt ebenso ehrenhafte wie nützliche Beschäftigungen zu bekritteln, ihre Galle lieber über den Müßiggang ergießen, der aller Lasier Anfang ist. Wie hätte wohl Griechenland in den denkwürdigen Zeiten, da es einen Sokrates, Plato, Aristides, Alexander, Perikles, Thukydides, Euripides und Xenophon hervorbrachte, den hellen Glanz ausgestrahlt, der noch jetzt unsre Augen blendet, wenn Wissenschaften und Künste für die menschliche Gesellschaft nicht notwendig und unentbehrlich wären und ihre Pfiege weder Nutzen noch Annehmlichkeit noch Ruhm brächte? Gewöhnliche Handlungen entschwinden dem Gedächtnis, aber die Taten, Entdeckungen und Fortschritte der Großen hinterlassen bleibenden Eindruck.

Nicht anders war es bei den Römern. Ihr großes Zeitalter war dasjenige, wo der stoische Cato mit der Freiheit unterging, wo Cicero den Verres niederschmetterte und


1 Pro Archia poeta, Kap. 7.