<264> sähe. Aber was würde erst Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, sagen, er, das Haupt eines männlichen Volkes, der mit Männern die Schweden aus seinen Staaten trieb, die sie verwüsteten! Was ist aus den zu seiner Zeit so berühmten Familien geworden, und was sind ihre Sprößlinge? Ja, was wird erst aus denen werden, die in unsren Tagen blühen? Jeder Vater muß sich mit ähnlichen Betrachtungen zur Erfüllung all der Pflichten ermutigen, die er der Nachwelt schuldet.

Ich komme nun zum weiblichen Geschlecht, das einen so bedeutenden Einfluß auf das andre ausübt. Hier siechen die Frauen von reiferem Alter, die eine höhere Bildung erhalten haben, von denen ab, die erst jetzt in die große Welt treten. Jene besitzen Kenntnisse, geistige Reize und eine stets gemessene Heiterkeit. Der Gegensatz zu den jungen Frauen schien mir so auffällig, daß ich einen meiner Freunde nach der Ursache fragte. Er antwortete mir: „Früher gab es talentvolle Frauen, die Mädchen von Stand in Pension nahmen. Jedermann bemühte sich, seine Töchter bei ihnen unterzubringen. In solchen Ansialten wurden die von Ihnen gelobten Damen erzogen. Aber jene Schulen haben nach dem Tode ihrer Begründerinnen aufgehört. Niemand hat sie ersetzt, und so sah jeder sich genötigt, seine Töchter zu Hause zu erziehen. Die meisten Methoden, die man befolgt, sind tadelnswert. Man gibt sich nicht die Mühe, den Geist der Mädchen zu bilden, läßt sie ohne Kenntnisse und flößt ihnen nicht einmal Gefühl für Tugend und Ehre ein. Die Erziehung dreht sich gewöhn, lich um äußeren Anstand, Manieren und Kleidung. Dazu kommt eine oberflächliche Kenntnis der Musik, die Bekanntschaft mit ein paar Theaterstücken oder Romanen, Tanz und Spiel. Damit haben Sie in kurzem alle Kenntnisse des weiblichen Geschlechts.“

Ich gestehe Ihnen, ich war erstaunt, daß Leute der ersten Stände ihre Töchter wie Theatermädchen erziehen. Sie buhlen schier um die Blicke der Menge, begnügen sich damit, zu gefallen, und scheinen nicht nach Achtung und Ansehen zu trachten. Wie? Ist es nicht ihre Bestimmung, Familienmütter zu werden? Sollte man nicht ihre ganze Erziehung auf dies Ziel richten, ihnen beizeiten Abscheu gegen alles Entehrende einflößen, sie die Vorzüge der Tugend lehren, die nützlich und dauerhaft sind, während die der Schönheit welken und vergehen? Sollte man sie nicht befähigen, ihre Kinder dereinst in guten Sitten aufzuziehen? Aber wie kann man das von ihnen verlangen, wenn sie selbst keine Sitten haben, wenn sie aus Neigung zu Müßiggang, Oberflächlichkeit, Luxus und Verschwendung, ja durch Erregung von öffentlichem Ärgernis ihrer Familie kein gutes Beispiel geben können? Ich gestehe Ihnen: die Nachlässigkeit der Familienväter erscheint mir unverzeihlich. Wenn sich ihre Kinder zugrunde richten, so tragen sie die Schuld daran.

Man hat Nachsicht mit den Zirkassiern, denn sie sind Barbaren, wenn sie ihre Töchter in allen Schlichen der Gefallsucht und Wollust erziehen, um sie dann für teures Geld an das Serail in Konstantinopel zu verkaufen: das ist Sklavenhandel.