<265> Wenn aber bei einem freien und gebildeten Volte der höchste Adel sich diesem Brauche anzuschließen scheint, wenn er aus Mangel an Selbstachtung den Tadel geringschätzt, den das Betragen eines Mädchens ohne Tugend und Sitte auf seine Familie bringt, so wird ihm das noch die fernste Nachwelt immer wieder vorwerfen.

Doch zur Sache! Die Sittenlosigkeit der Frauen kommt viel mehr von ihrem müßigen Leben als von der Glut ihres Temperaments. Wenn eine Frau zwei oder drei Stunden vor dem Spiegel zubringt, um über ihre Reize nachzusinnen, sie zu erhöhen und zu bewundern, wenn sie den ganzen Nachmittag mit Klatsch vertut, dann ins Theater geht, am Abend spielt, soupiert und wieder spielt —hat sie dann noch Zeit zur Selbstbesinnung? Und reizt die Langeweile dieses weichlichen, müßigen Lebens sie nicht zu Zerstreuungen andrer Art, und wäre es nur der Abwechslung halber, oder um ein neues Gefühl kennen zu lernen?

Die Menschen beschäftigen, heißt sie vom Lasier abhalten. Das einfache, gesunde und arbeitsame Landleben ist viel unschuldiger als jenes, das ein Haufen Müßig, gänger in den großen Städten führt. Es ist ein alter Grundsatz der Generale, daß man die Soldaten beschäftigen muß, um Unordnungen, Ausschweifungen und Aufruhr im Lager zu verhüten. Die Menschen ähneln sich alle. Wenn man nicht so dumm ist, den schamlosen Wandel seiner Nächsien oder ihr züchtiges und gesittetes Betragen mit gleichen Augen anzusehen, so lehre man sie, sich zu beschäftigen. Ein Mädchen kann sich mit weiblichen Arbeiten, mit Musik, ja mit Tanzen unterhalten. Vor allem aber trachte man danach, ihren Geist zu bilden, ihr Geschmack für gute Werke beizubringen, durch die Lektüre ernster Dinge ihr Urteil zu üben und ihren Geist zu nähren. Sie soll sich nicht schämen, in der Wirtschaft Bescheid zu wissen. Es ist besser, seine Haushaltungsrechnungen selbst zu regeln und in Ordnung zu halten, als sinnlos nach allen Seiten Schulden zu machen, ohne daran zu denken, wie man die Gläubiger bezahlt, die so lange Zeit in gutem Glauben liehen.

Ich gestehe Ihnen, ich war oft empört bei dem Gedanken, wie gering man in Europa diese Hälfte des Menschengeschlechts schätzt. Das geht so weit, daß man alles vernachlässigt, was ihren Verstand ausbilden kann. Es gibt so viele Frauen, die den Männern nicht nachstehen! Es gibt in unsrem Jahrhundert große Fürstinnen, die ihre Vorgänger weit überragen. Es gibt deren — doch ich wage sie nicht zu nennen, aus Furcht, ihnen zu mißfallen und ihre außerordentliche Bescheidenheit zu verletzen, die ihren Talenten und Tugenden die Krone aufsetzt. Männlichere, kraftvollere Erziehung würde dem weiblichen Geschlecht das Übergewicht über das unsre verleihen; denn es besitzt schon die Reize der Schönheit. Aber sind die Reize des Geistes ihnen nicht vorzuziehen?

Doch zurück zum Gegenstand! Die Gesellschaft kann nicht bestehen ohne rechtmäßige Ehen, durch die sie sich fortpflanzt und verewigt. Man muß also die jungen Pflanzen, die die Stämme der Nachwelt werden sollen, pflegen und bilden, sodaß Mann und Weib die Pflichten als Familienhaupt gleichermaßen erfüllen können. Vernunft,