<204> Fortschritte entsprachen seinem Entschluß. Er betrieb das Studium nicht wie die leichtfertige und verdorbene Jugend, die nur aus Furcht vor den Lehrern arbeitet und rasch die lästigen Pflichten erfüllt, um sich dann dem Müßiggang oder besser gesagt, zügellosen Ausschweifungen hinzugeben, wozu schlechtes Beispiel ihr nur allzu oft den Weg weist.

Unser Prinz blickte klarer. Er wußte, daß die Natur ihm, wie allen Menschen, nur die Fähigkeit, sich zu unterrichten, verliehen hätte, daß er daher alles lernen müßte, was ihm unbekannt wäre. So füllte er denn sein Gedächtnis, diese kostbare Vorrats, kammer, mit Kenntnissen an, von denen er sein Leben lang Gebrauch machen konnte. Er war überzeugt, daß die Einsicht, die man durch das Studium gewinnt, die Erfahrung frühzeitig reift, und daß eine gründlich durchdachte Theorie die Praxis leicht macht. Wollen Sie wissen, welch weites Gebiet von Kenntnissen er umfaßte? Er beherrschte die Geschichte von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Mit besonderem Fleiße hatte er sich die Charaktere der großen Männer, die wichtigsten, auffälligsten Ereignisse eingeprägt. Er wußte, was zum Aufstieg und Untergang der Reiche am meisten beigetragen hat. Diese kostbare, erlesene Auswahl aus der Geschichte hatte er sich ganz zu eigen gemacht.

Es gab kein militärisches Werk von einigem Rufe, das er nicht studiert und über das er nicht die Meinung erfahrener Leute eingeholt hätte. Wollen Sie noch unzweideutigere Zeugnisse für seinen Eifer, sich gründlich zu unterrichten? Vernehmen Sie denn, meine Herren: er hatte die verschiedenen Befestigungssysteme durchgenommen; da er sich aber auf diesem Gebiet noch nicht so erfahren fühlte, wie er gewünscht hätte, nahm er sechs Monate lang Unterricht bei Oberst Ricaud1, ohne daß ihn jemand dazu angeregt hätte, ja, ohne Vorwissen seiner Eltern! O Jüngling! Welch ein Beispiel gabst Du der schlaffen und trägen Jugend, die man zum Lernen zwingen muß! Was durfte man sich von Deinen glücklichen Anlagen nicht alles versprechen! Wollen Sie schlagende Beispiele für die Gründlichkeit seines Geistes? Verkünden wir offen die Wahrheit. Sprechen wir es vor dieser erlauchten Versammlung aus, was wenigstens einem Teil ihrer Mitglieder schon bekannt sein muß! Mit achtzehn Jahren wußte der Prinz die Systeme von Descartes, Leibniz, Malebranche und Locke darzustellen. Ja, sein Gedächtnis hatte nicht allein alle diese abstrakten Dinge erfaßt; seine Urteilskraft hatte sie auch geläutert. Er war erstaunt, in den Forschungen dieser großen Geister weniger Wahrheiten als geistreiche Voraussetzungen zu finden2, und er war mit Aristoteles zu der Ansicht gelangt, daß der Zweifel der Vater der Weisheit sei.

Sein gesundes Urteil, das ihn bei allen seinen Schritten leitete, hieß ihn in der Mathematik sich auf das Studium der Elemente des Euklid beschränken. Die höhere Geometrie überließ er, wie er sagte, müßigen Köpfen, die sie als eine Art geistigen


1 Pierre Ricaud de Tiregale, Oberst im Ingenieurkorps.

2 Vgl. S. 40f. 90. 96.