<203> fehlten? Nein, meine Herren, das alles ist roher Stoff, der nur so weit Wert und Bedeutung hat, als Klugheit und Geschicklichkeit ihn zu kneten weiß. Die Stärke der Staaten beruht auf den großen Männern, die ihnen zur rechten Stunde geboren werden. Man durchlaufe die Weltgeschichte, und man wird sehen, daß die Zeiten des Aufstiegs und des Glanzes der Reiche die waren, wo erhabene Geister, tugendhafte Seelen, Männer von hervorragendem Talent in ihnen glänzten und die Last der Regierung unter hochherzigen Anstrengungen trugen.

Ein unbestimmtes Gefühl durchbebt die Welt, wenn Männer von hoher Geburt sterben; denn man erwartete wichtige Dienste von ihnen. Vernichtet ein rauher Winter eine zarte Pflanze kurz vor ihrer Blüte, so beklagt man das mehr als den Fall eines alten Baumes, dessen Säfte eingetrocknet sind und dessen Äste verdorren. Ebenso, meine Herren, empfindet es die Menschheit schmerzlicher, wenn ihre Hoffnungen ihr kurz vor der Erfüllung geraubt werden, als wenn ein Greis die Welt verläßt, von dessen gebrechlichem Alter wir nicht mehr so viel erwarten durften wie von seiner Jugend.

Auf wen hätten wir je festere Hoffnungen gründen können, als auf einen Prinzen, dessen geringste Handlungen uns seinen bewunderungswürdigen Charakter enthüllten, der bereits ahnen ließ, was er eines Tages leisten könnte? Ach, wir sahen den Keim von Talenten und Tugenden wachsen und gedeihen, auf einem Felde, das reiche Ernte versprach.

Die aufgeklärtesten und welterfahrensten Leute, die viel in den Herzen der Menschen geforscht haben, wissen tief in den Seelen zu lesen, welche Taten man von ihnen erwarten kann. Was fanden sie nicht alles bei dem jungen Prinzen? Eine Seele, die den Stempel der Tugend trug, ein Herz voll edler Gefühle, einen wißbegierigen Geist, einen Genius von höchstem Schwunge, ein männliches und vor der Zeit gereiftes Urteil. Wollen Sie Beispiele dafür, wieviel die Vernunft in einem so zarten Alter über ihn vermochte? Meine Herren, gedenken Sie an jene sturmbewegten, unglücksreichen Tage, da das betörte Europa sich verschworen hatte, unsre Monarchie zu stürzen, da wir rings nur Feinde sahen und es schwer war, die Freunde herauszufinden. Damals verließ der Prinz von Preußen Magdeburg, dessen Wälle der königlichen Familie als letzte Zuflucht dienten, um den König in den Feldzug von 1762 zu begleiten. Prinz Heinrich brannte darauf, wie sein Bruder in den Krieg zu ziehen; aber er begriff nicht nur, daß seine Jugend den Strapazen nicht gewachsen war, sondern auch, daß der König, sein Oheim, nicht leichtfertig alle Hoffnungen des Staates auf einmal offenen Gefahren aussetzen durfte1. Diese Erwägungen bestimmten ihn, sich ganz dem Studium hinzugeben. Er sagte, er wolle jeden freien Augenblick, den er nicht dem Ruhme weihen könnte, nutzbringend anwenden. Seine


1 Die Ehe der Brüder des Königs, Heinrich und Ferdinand, war kinderlos oder noch ohne männliche Nachkommenschaft. So ruhte nach dem Tode August Wilhelms (1758) die Zukunft der Monarchie nur auf dessen Söhnen Friedrich Wilhelm und dem jüngeren Heinrich.