<187> Ruf des Nächsten zerfetzt oder meuchelt. Seine Einfalt war so groß, daß er Ratschläge mit Dankbarkeit, Lehren mit Demut, Vorwürfe mit Ruhe entgegennahm und Beleidigungen verzieh.

Welch ein Beispiel der Mäßigung für Euch, Ihr Mächtigen der Erde! Welche Lehre gibt Euch hier ein armer, aber frommer Handwerker! Ein Mann, den Euer Hochmut vielleicht verachtet und dessen Name, so wähnt Ihr, Euer Gedächtnis bestecken würde, wenn Ihr ihn behieltet, dieser Mann lehrt Euch, daß man mit seinen Nächsten in gutem Einvernehmen leben kann. Sein Rechtsgefühl, grundverschieden von dem Euren, zeigt Euch, daß es Mittel gibt, Hader zu vermeiden, Streitigkeiten aus dem Wege zu gehen und Frieden und Ruhe zu wahren, daß es eine seelische Hochherzigkeit gibt, die weit mehr taugt als hitzige Rachsucht und unsre Menschenliebe so weit steigert, daß wir Schimpf und Kränkung vergeben. Bei Euch dagegen werden die geringsten Streitigkeiten gleich giftig, und kleine Zänkereien führen zu blutigen Kriegen. Eure Eitelkeit, grausamer als die Barbarei der Tyrannen, opfert abertausende von Bürgern dem falschen Ruhme, und für ein vom Ehrgeiz und Haß gedeuteltes Wort werden ganze Provinzen verheert und zugrunde gerichtet. Eure Wut gibt die Erde der Raubgier wilder Bestien preis, die Ihr gegen sie loslaßt. Alle Plagen, alles Elend folgen ihnen zur Verzweiflung der Welt, und soviel Jammer und Not entsteht nur aus Euren unheilvollen Feindseligkeiten. Wie weise war Mathias Reinhart! In goldenen Lettern sollte man über die Königspaläsie die schönen und denkwürdigen Worte setzen: „Man gewinnt viel, wenn man zur rechten Zeit nachzugeben weiß.“

Doch wohin reißt mich der Übereifer fort? Hemmen wir unsre Begeisterung für das öffentliche Wohl. Werfen wir den Schleier der Ehrfurcht über die Taten der Großen, die die Vorsehung auf die Throne der Welt gesetzt hat. Verehren wir schweigend die Wege, auf denen sie den Umsturz oder die Erhebung der Reiche herbeiführt. Ohne ihre unerforschlichen Ratschlüsse ergründen zu wollen, verlassen wir die Paläste der Großen, in denen Ehrgeiz und Hoffahrt herrschen, und kehren wir zur Hütte des Armen zurück, in der Fleiß und Tugend wohnen. Ja, meine Brüder, wir sind sicher, sie dort wiederzufinden.

Dieser Gerechte, der so weise in Eintracht und gutem Einvernehmen mit denen zu leben wußte, die das Schicksal zu seinen Gefährten machte, liebte auch die Gesetze und kam ihnen durch sein ebenso billiges wie rechtschaffenes Betragen zuvor. Er fürchtete die Obrigkeit nicht, wie so viele lasterhafte Menschen, sondern er war ihr gehorsam und Untertan. Dank seiner anerkannten Redlichkeit, die ihm aller Herzen gewann, vertraute man ihm insgemein Wertstücke zur Aufbewahrung an. Das Schicksal, das so großen Einfluß auf alle Ereignisse hat, wollte, daß Leute, die er garnicht kannte, ihm Geldsummen und Wertsachen aller Art übergaben. Wie nachher herauskam, waren diese Unseligen Diebe, die ihren Raub seiner Obhut anvertraut hatten. Als sie ergriffen wurden, erfuhr die Obrigkeit das Versteck ihrer Schätze und beschlagnahmte sie. Aber der gottselige Mann war durch seine Fröm-