<183>sprächen und so seltsamen Gegensätzen, daß Pascal überzeugt war, sie hätten zwei Seelen. Wenden wir uns zu den Künstlern, so finden wir unter den trefflichsten wenige, die nicht von Launen genarrt wurden, die oft ans Maßlose und Tolle streiften. Ihre Kunst verschlingt ihre ganze Spannkraft, und so bleibt ihnen keine mehr übrig, um ihre Sitten zu bessern und über ihre Fehler zu wachen. Von solchen Leuten unterschied sich Mathias Reinhart gewaltig. Sein Fleiß war zuerst auf sich selbst gerichtet. Erst war er ein guter Bürger und ein Ehrenmann, dann erst pflegte er sein Talent.

Wer in der vornehmen Welt lebt, wähnt, nur bei Hof und im Getriebe der großen Städte sei die Jugend gefährlichen Versuchungen ausgesetzt; da werde sie durch die Gelegenheit verlockt, durch das Beispiel ermuntert. Aber wenn die dort Lebenden heftig angefochten werden, so haben sie auch starke Waffen zur Abwehr. Der Zügel der Erziehung hält sie zurück, das Elternauge schüchtert sie ein, ihre Freunde raten ihnen ab. Nicht so der Sohn eines armen Handwerkers, dessen Erziehung nicht so sorgfältig geleitet werden kann wie bei jenen, die die Hoffnung reicher FamUien bilden. Ja, ich sage dreist: er ist mehr gefährdet, als die Leute der großen Welt. Denn ist auch das Lasier das gleiche, so hüllt es sich doch bei den Vornehmen in keusche Schleier und zeigt sich immer nur insgeheim. Es sucht unverletzliche Freistätten, um sich hervorzuwagen, und entzieht sich stets der Öffentlichkeit. Beim Volke jedoch schäumt die zügellose Begier oft über. Die Völlerei wird bis zum Übermaß des Ärgernisses getrieben; die Leidenschaften toben in ihrer ganzen Heftigkeit. Etwas Wildes und Rohes herrscht bei allen Freuden, und sie arten in Schlemmerei aus. Da muß man einen festen Charakter haben, um dem bösen Beispiel zu widerstehen, das wie ein wütender Bergstrom Tag für Tag so viele unglückliche Opfer fortreißt.

Mathias Reinhart hat diese gefährliche Klippe vermieden. Selbst in seiner ersten Jugend sah man ihn nie in jenen schlechten Häusern verkehren, wo die Freude der Wut gleicht, wo die unersättliche Habgier Piraten anlockt, die alle weniger Durchtriebenen zugrunde richten, wo so häufig Streit ausbricht und so barbarisch gelärmt wird. Seine Sittsamkeit bewahrte ihn vor diesen und vielen andren Gefahren. Sein Fleiß, sein Aufgehen in seiner Arbeit verbot ihm jeden Verkehr in jenen gefährlichen Kreisen, die seine Sitten hätten verderben können. Diese besondere Gnade, die der Höchste nach seinem stets heUigen Ratschluß austeilt, war Reinhart beschert. Er hatte sein Herz seinem süßen Heiland geweiht; das war der Quell seiner Tugenden, wie der Psalmist sagt: „Gib mir, mein Sohn, Dein Herz und laß Deinen Augen meine Wege Wohlgefallen.“1

Ja, das Herz, das ist das Entscheidende. Aus dem Herzen kommt der Friede im Hause, die eheliche Treue und Elternliebe, das gute Einvernehmen mit den Nachbarn, der Gehorsam gegen die Gesetze, die Anhänglichkeit an das Vaterland. Und wenn das Herz in heiliger Glut brennt, sind es Inbrunst, Glaubenseifer und Gottes-


1 Sprüche Salomonis XXIII, Vers 26.