<179> jagen oder um eine menschliche Gesellschaft zu regieren? Bekamt Ihr den Verstand, um durch ein Leben voller Zerstreuungen zu verblöden? Erhieltet Ihr Herrschaft und Macht, um alle Tage Eures Lebens zu verlieren?

Ach, verehrte Leidtragende, wieviel Anlaß zu Schmerz und Trübsal bringt die verderbliche Pflichtvergessenheit, die auch die besten Einrichtungen ihrem ursprünglichen Zweck entfremdet! Wie hochachtbar ist dagegen Mathias Reinhart! Wie wenig Menschen sieht man den Weg einschlagen, den die Ehre ihnen vorzeichnet, den ihr Stand ihnen weist, den die öffentliche Wohlfahrt erheischt, den aber ihre Verderbtheit nicht einschlägt! Diesen verhängnisvollen Mißbräuchen ist es zuzuschreiben, daß ein einfacher Mann unter den Großen und Herrschern sieht. Denn, meine Lieben, wen nennen wir groß? Nicht die Geburt macht den Menschen groß, das habe ich Euch bewiesen. Nicht die Herrschaft, die nur verdienstvoll wird, wenn man sie gut zu nützen weiß; nicht der Reichtum, der die Menschen bald geizig, bald verschwenderisch macht. Groß ist, wer uns in derselben Laufbahn überholt, wer Schweres vollbringt, das Glück sich zu Willen zwingt, sich einen Namen macht und durch seine Tüchtigkeit selbst seine Neider zum Beifall nötigt.

Wer konnte sich solcher Vorzüge je mit größerem Rechte rühmen, wer erwarb sich in seinem Leben mehr selbstloses und folglich jeder Schmeichelei bares Lob, als dieser emsige Handwerker, um den wir trauern? Er hat sich über seine Zunftgenossen erhoben, wie die stolzen Palmbäume über andre Bäume hinauswachsen, sie überschatten, ersticken und zu ihren Füßen verdorren sehen. Gleich bekam er Kundschaft; jedermann war mit seiner Arbeit zufrieden; er überteuerte keinen, war beharrlich, geschickt und fiink. Einer rühmte dem andren seine Dienste. Er verstand es, dem Schuhzeug eine vor ihm unbekannte Anmut zu geben; er machte es bestrickend. Sein Schuhwerk vereinte alle Vollkommenheiten: Schönheit, Bequemlichkeit, Dauerhaftigkeit, Undurchlässigkeit. Sein Ruf wuchs rasch. Frau Fama, die von Schuhen so gut wie von Gesandtschaften, Verträgen oder Siegen spricht, verkündete alsbald, daß ein Wundermann lebte, der in seinem Fach alle überträfe und vollkommenes Schuhzeug machte. Man sprach fast nur noch von unsrem Schuster. Seine Berühmtheit verbreitete sich über seine Vaterstadt. Ja, was alles übertrifft: seine Zunftgenossen spendeten ihm Lob, räumten ihm einstimmig den Vorrang ein und schämten sich des Geständnisses nicht, daß sie hinter ihm zurückblieben. Spräche ich hier vor Unbekannten, man würde mir schwerlich glauben, daß Nebenbuhler und Mitbewerber Dem Beifall spenden, der mit ihnen nach dem gleichen Kranze strebt! Das ist so erstaunlich, so unerhört, daß es ans Wunderbare grenzt. Aber Ihr, meine Lieben, Ihr, dies zahl, reiche Volk, das mich anhört, ja selbst wenn die Menschen ihr Zeugnis versagten, diese Wölbungen, diese stummen Mauern rufe ich zu Zeugen an. Sie werden bekunden, wie hoch der Ruhm unsres trefflichen Mathias Reinhart gestiegen ist!

Welch gewaltiger Abstand liegt zwischen einer dunklen, unbekannten Herkunft und einem bekannten und berühmten Namen! Die Schwierigkeit wird noch größer, wenn