<152>spalten, einer verdammenswerten Philosophie huldigten und als Pharisäer, Sadduzäer, Essäer und Therapeuten1 auftraten, Sekten, die den Glauben ihrer Voreltern so völlig untergruben und zerstörten, daß der Herr Zebaoth fast keine wahren Diener mehr hatte. Die Gefahr war groß und rasche Hilfe vonnöten, oder die junge Gattin wäre erwürgt und die Kirche vernichtet worden. Aber der Herr verläßt die Seinen nicht. In dem Augenblick, da Blaubart das Schwert nach dem Nacken seiner jungen Gattin zückt, siehe, da naht der Heiligste der Heiligen, wirft ihn zu Boden und erschlägt Luzifer zu seinen Füßen. Die Kirche ist gerettet, und die Hölle bebt vor Wut.

Man sieht, wie genau dies Gleichnis zutrifft und wie unfehlbar die Worte des heiligen Verfassers sind. Die Heiligen und Propheten, denen der Himmel die künftigen Ereignisse offenbarte, haben sie verkündet. Die schwache menschliche Vernunft konnte nur die äußere Schale dieser göttlichen Wahrheiten durchdringen. Alles mußte erst in Erfüllung gehen, um sie zu überzeugen. Diesen mystischen Sinn muß man w der Heiligen Schrift suchen, oder man wird nie das volle Verständnis für Jeremias, Jesaias, Hesekiel und Daniel haben, noch für „Blaubart“ und das Hohelied Salomonis2. Sobald die beiden Reiter erscheinen, ist die junge Gattin gerettet. Sobald der Messias auf die Welt kommt, ist der Teufel auf ewig in Ketten geschlagen, die christliche Religion, allzeit streitbar und siegreich, wird begründet, und unser Heilswerk vollendet sich.

Doch setzen wir unsren Kommentar fort. „Die Witwe des verstorbenen Blaubart kauft ihrem Bruder eine Kompagnie.“ Welche Kompagnie ist gemeint, wenn nicht die Heerschar der Gläubigen, die die Kirche in ihrem Schoße hegt, die wahren Streiter Christi, bereit, für die Ausbreitung des wahren Glaubens zu kämpfen und zu sterben, bereit, mit der Schärfe des Schwertes die Menge der Ketzer oder vielmehr der Verdammten auszurotten, die sich wider ihre heilige Mutter empören und ihren Busen zerreißen? Und in noch erhabnerem mystischen Sinne deutet diese Kompagnie auf das Schwert hin, das unsrem Heiligen Vater, dem Papste, verliehen ward, um die Sache Gottes zu verteidigen und ihre Feinde auszutilgen.

Fahren wir aber fort: „Blaubarts oder vielmehr Beelzebubs Witwe heiratet nachmals einen sehr ehrenwerten Mann.“ Sie heiratet den Papst. Bekanntlich ist die Kirche mit dem Papste vermählt, welcher der Stellvertreter Christi ist. Möge nun ein Luther, ein Calvin, ein Socinus3 oder irgend ein Ketzer ihres Schlages, wöge all dieser Unflat der Hölle kommen. Möge man noch das Geschmeiß der Dissidenten und das ruchlose Gelichter der PHUosophen hinzunehmen, die ebenso verworfen sind wie jene: welches Mittel bleibt ihnen noch zur Auflehnung gegen die Oberhoheit unsres Heiligen Vaters, des Papstes, oder zu weiteren Angriffen auf die


1 Wörtlich Diener, eine jüdische Sekte in Ägypten.

2 Mit Absicht ist „Blaubart“, die theologische Ausdeutung eines Ammenmärchens, hier neben das „Hohelied“ gestellt, ein altjüdisches Liebeslied, das dle Theologen bekanntllich als Liebeslied des „himmlischen Bräutigams“ (Christus) an die Kirche ausgelegt haben.

3 Faustus Socinus (1539—1604) leugnete die Gottheit Christi.