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Borgia griff mit seiner sorgenden Voraussicht bis über den Tod seines Vaters, des Papstes, hinaus und machte sich daran, alle die, denen er ihre Habe geraubt hatte, aus dem Wege zu räumen, auf daß der neue Papst sich ihrer nicht gegen ihn bedienen könne. So türmt sich Verbrechen auf Verbrechen: um seine Aufwendungen zu bestreiten, bedarf es großer Mittel; um diese zu bekommen, muß man die rechtmäßigen Besitzer ausrauben; um den Raub in Sicherheit zu genießen, müssen sie aus der Welt geschafft werden. Graf Horn1 hätte, als er hingerichtet wurde, ein Lied davon singen können. Mit den Untaten ist es wie mit einem Rudel von Hirschen: sobald einer durch die Lappen geht, folgen alle andern nach. Hütet euch also vorm ersten Schritt.

Um etliche Kardinäle zu vergiften, ladet Borgia sie bei seinem Vater zu Tisch. Der Papst und er genießen versehentlich von jenem Trank, Alexander VI. stirbt daran, und Borgia kommt glücklich davon, um ein jammervolles Leben weiterzu-schleppen — ein wohlverdienter Lohn für Giftmischer und Mörder.

Das wäre also die Klugheit, die Weisheit, die Geschicklichkeit und die menschliche Tüchtigkeit, die Machiavell nicht genug loben kann. Der berühmte Bischof von Meaux2, der gefeierte Bischof von Nimes3, der beredte Verherrlicher Trajans4 konnten ihre Helden nicht besser Herausstreichen als Machiavell seinen Cäsar Borgia. Wenn's bei diesem Preislied eine Ode gegolten hätte, eine rhetorische Figur, so würde man vielleicht seine findige Kunst bewundern, wenn man auch die Wahl ihres Gegenstandes mißbilligte; aber nein, es handelt sich um eine Staatslehre, die auf die fernste Nachwelt kommen soll, ein höchst ernst gemeintes Werk, in dem Machiavell sich nicht entblödet, das scheußlichste Ungeheuer, das je die Hölle auf die Erde gespieen hat, mit Lob zu verherrlichen. Das heißt doch, sich kaltblütig dem Hasse des Menschengeschlechtes und dem Abscheu aller Redlichen bloßstellen.

Cäsar Borgia wäre nach dem Urteil Machiavells vollkommen gewesen, hätte er nicht zur Papstwahl des Kardinals von San Pietro ad vincula5 seine Zustimmung gegeben; „denn“, sagt er, „bei den großen Männern können Wohltaten in der Gegenwart niemals Unbilden der Vergangenheit ungeschehen machen“. Mein Begriff eines großen Mannes deckt sich keineswegs mit dem des Verfassers. Alle rechtlich Denkenden würden wohl für immer für den Namen eines Großen danken, wenn er nur durch Rachgier, Undank und Falschheit zu verdienen wäre. Die Mühen und Sorgen Cäsar Borgias um Erweiterung seiner Macht und seines Ansehens fanden schlimmen Lohn: nach dem Tode des Papstes büßte er die Romagna und all seine Güter ein, mußte zum König von Navarra6 nach Spanien flüchten, wo er durch einen jener verräterischen Streiche, wie er sie so gern im Laufe seines Lebens geübt hatte, umkam.


1 Graf Horn wurde nach dem Verlust seines Vermögens 1568 mit dem Grafen Egmont in Brüssel hingerichtet.

2 Bossuet.

3 Fléchier.

4 Der jüngere Plinius.

5 Julius II. (1503—1513).

6 König Johann von Navarra (1484—1516).