<109> Luzzara und Cassano1, Turennes Vorstoß über Thann und Belfort2 usw. List mit Stärke gepaart, macht den vollkommenen Feldherrn. Es ist eine große Kunst, den Feind zu täuschen, aber es muß auf glaubwürdige Art geschehen. Beispiele: Star-hembergs Übergang über die Adda, um dem König von Sardinien zu Hilfe zu kommen (1704); Prinz Eugen vor der Schlacht von Turin (1706); der Marschall von Luxemburg bei Neerwinden3 — NB. ein Meisterstück. Das sind die großen Vorbilder, die man studieren muß. Aber der Krieg mit leichten Truppen, wie ihn die Österreicher führen, legt dem Heerführer Fesseln an. Er wird dadurch auf die Defensive beschränkt und hat große Mühe, seinen Feinden Respekt abzunötigen.

II. Defensivkriege

Pläne zu einem Defensivkrieg stützen sich auf feste Lager in vorteilhaftem Gelände, die man mit der Armee bezieht, und auf Detachements, die man rechts und links vom Feinde ausschickt, um ihm seine Lebensmittel wegzunehmen, seine Fouragierungstruppen zu schlagen, ihn zu schwächen und allmählich zu vernichten, durch Wegnahme der Lebensmittel Mangel bei seinen Truppen herbeizuführen, sie zur Desertion anzureizen und nach der Kriegsraison Vorteil daraus zu ziehen. Man darf sich nie völlig auf die Defensive beschränken, noch sich des Vorteils begeben, aus den Fehlern des Feindes Nutzen zu ziehen. Dazu wurde die Armee Catinats gezwungen, als sie die Provence, Savoyen und das Dauphiné decken sollte und an Proviantwagen und Maultieren Mangel litt, sodaß sie, um nicht zu verhungern, an ihre Stellung festgenagelt war (1701).

Eine gut geleitete Defensive muß ganz das Aussehen einer Offensive haben. Unterscheiden darf sie sich von ihr nur durch die festen Lager und die vorsichtige Vermeidung jeder Schlacht, wenn man seiner Sache nicht ganz sicher ist. Gerade bei dieser Kriegsart muß man alles anwenden, was Belästigung des Gegners, Schlauheit und Kriegslist heißt. Ein Heerführer, der dies Spiel versteht, wird seine Defensive bald in eine kühne Offensive verwandeln. Er muß dem Feinde nur zweimal Gelegenheit bieten, Fehler zu machen, um sie gleich auszunutzen und dadurch dem Krieg eine andre Wendung zu geben.

Für uns Preußen ist es sehr schwer, einen solchen Defensivkrieg gegen die Österreicher zu führen, und zwar wegen ihrer großen Überlegenheit an leichten Truppen zu Fuß wie zu Pferde. Unsre Infanterie gleicht den römischen Legionen: sie ist für Schlachten geschaffen und ausgebildet; ihre Stärke liegt in ihrem Zusammenhalt und in ihrer Widerstandskraft. Ganz anders ist die Fechtweise der leichten Truppen. Leichte Infanterie haben wir überhaupt nicht, und unsre Husaren sind nicht zahlreich genug, um sich im Kleinkriege mit denen der Königin von Ungarn zu messen. Um


1 Am 15. August 1702 und am 16. August 1705.

2 Vgl. S. 31. 83.

3 Vgl. S. 38.